Ein Sessel ist immer Single, ein Vereinzelter. Das Sofa – ob als Einzelstück oder als Teil einer Sitzgruppe – erst stiftet Gemeinschaft; man sitzt in einer gemeinsamen Sphäre, wie auf einem Boot. Der Einzelsessel, stellt auch der Kunsthistoriker Martin Warnke fest, „gibt im Sofa seinen zeremoniellen Solitäranspruch auf". Im „Salon bildete das Sofa den programmatischen Kern einer geöffneten Zelle: Es stand mitten an der Längswand des Saales und hatte Einzelsessel neben sich, an die gleiche Wand gestellt. So war die Gruppe zum Gesamtraum hin exponiert und nach allen Seiten hin mitteilungsbereit. (...) Das Ensemble, das nur eines der im Raum verstreuten Konversationsangebote war, erlaubte den freien Aus- und Zutritt." Wie einst im Salon, so stellen Polstermöbelgruppen auch heute noch Sitzrechte und -ränge zur Disposition. Und immer häufiger sind sie im sogenannten Wohnzimmer, das mit der Hausbar die Kneipe integrierte und mit der Stereoanlage den Konzertsaal, ausgerichtet auf den Fernseher als Medienfenster auf die globalisierte Welt. Nur in Interieurs, die gehobenen Ansprüchen genügen müssen, tritt der Kamin an dessen Stelle und zentriert das Ensemble auf eher archaische Weise.
Was die Typologie angeht, so erweist sich das Sofa durchaus als Problemfall. Sieht man von Spezialfällen oder hybriden Ausreißern wie dem Schlafsofa oder dem Daybed ab, so lassen sich überraschend wenige Brüche in der Kontinuität feststellen. Die mikrologische Struktur der typologischen Ordnung bleibt somit subjektiven und funktionalen Kriterien unterworfen, ist im Kern also willkürlich. Ein Sofa, das sich nicht einer Bank annähert, dient mehr oder weniger immer dem Sitzen und dem Liegen – samt allerlei Zwischenstufen bequemen und entspannten Lagerns. Der Rest, sprich die Organisation des entspannten Sitzens, ist eine Frage von Geschmack und Zeitgeist, verwendeten Materialien und guter Verarbeitung, verweist also auf formale und historisch bedingte Differenzen einzelner Exemplare. Das hat zur Folge, dass die Typologie des Sofas statt zu einer Chronologie mit einzelnen Zäsuren eher zu einem Potpourri individueller Lösungen (samt gelegentlicher Anspielungen auf historische Vorbilder) gerät.
Kubus oder freie Form
Beginnen wir deshalb ohne Rücksicht auf eine Chronologie mit einigen gegensätzlichen Modellen, die wie Springsteine im Fluss der Zeit liegen und weniger Wendepunkte oder Brüche in der Entwicklung des Sofas als Variationen des Themas markieren: Hier das „LC2" von Le Corbusier, Jeanneret und Perriand, das – Josef Hoffmanns „Kubus" von 1910 lässt grüßen – im Grunde den kubischen Einzelsessel vervielfältigt, die Kissen fixiert und ihrerseits geometrisiert, und somit auf eine rationale Konstruktion des Sitzens verweist, dort das „Freeform Sofa" von Isamu Noguchi, das in einem freien, biomorphen Bogen plastisch in den Raum ausgreift. Mit „Do-Lo-Rez" greift auch Ron Arad den Kubus als Grundelement auf, lässt ihn nun aber als farbiges Pixel erscheinen. Oder hier das aus dem Geist der Pop-Art geborene „Marshmallow Sofa" von George Nelson, das die Sitzfläche in eine bunte Serie aus Einzelkissen auflöst, dort das „Worker Sofa" von Hella Jongerius, das sich zugeknöpft gibt und ein aufrechtes Sitzen wiederbelebt. Hier „Clou" von Wulf Schneider und Partner, das Rücken- und Seitenlehnen an kleine, wie Dominosteine wirkende Kuben hängt, dort das Le Corbusiers Kuben wellenförmig in Schwung bringende und seine Ordnung relativierende „Onda" von De Pas, D'Urbino und Lomazzi. Und natürlich, wahrlich ein Extrem, darf Verner Pantons psychedelische Wohnhöhle „Phantasy Landscape Vision 2" nicht fehlen, die das Sofa zum kompletten Innenweltraum erweitert, in dem man sich wie in einer Uterushöhle einnisten und nahezu jede Sitz- oder Liegeposition einnehmen kann.
Nicht nur an der Wand lang
Einer anderen historischen Spur folgen Sofasysteme wie Tom Dixons „Serpentine", Christophe Pillets „Elysée" sowie Philipp Mainzers und Farah Ebrahimis „Shiraz". Sie versuchen allesamt den orientalischen Sitzgewohnheiten eine zeitgenössische Form zu geben, die langen Polsterbänke der Tradition aber von der Wand abzulösen und als Inseln der Behaglichkeit in den Raum zu entlassen. Das „Polder Sofa" von Hella Jongerius und Piero Lissonis „Alphabet" runden diese typologische Untergruppe ab. Selbst eine Sitzlandschaft wie „Lava" von Studio Vertijet spielt noch mit demselben Schema, so wie sich prinzipiell auch „Extrasoft" von Piero Lissoni, „Circle" von Ben van Berkel, „Patchwork" von Pascal Mourgue und das „Place Sofa" von Jasper Morrison hier einreihen lassen. Antonio Citterios „Suita", das aus einer Serie von Varianten besteht, nimmt weniger die langgestreckte, tendenziell a libitum erweiterbare Form orientalischer Sofas auf, kann aber, wird es mit Tablaren und Fußteilen ausgestattet, ebenso problemlos in die Raummitte wandern.
Kissen in Form gebracht
„Le Bambole" von Mario Bellini ist hingegen wie ein großes Kissen aufgebaut oder vereint mehrere Kissen zu einer Einheit, die etwas pausbäckig wirkt. Aus der Verselbständigung des Kissens ergibt sich somit eine weiter typologische Untergruppe. Ähnlich wie „Le Bambole" verfährt „Togo" von Michel Ducaroy, das aus einem großen, an die Wand gelehnten Kissen zu bestehen scheint. Bei „Cipria" haben Humberto und Fernando Campana hingegen aus lauter unterschiedlich bezogenen, farblich und von schrillen Bezugsstoffen akzentuierten Einzelkissen eine Einheit geformt, die entfernt auf Nelsons „Marshmallows" anspielt, aber weniger an eine serielle Ordnung als an einen Berg aus losen Kissen erinnert. Sogar extravagante Einzelstücke wie das „Quilt Sofa" und das „Ploum" der Gebrüder Bouroullec oder das „Ottoman" von Noé Duchafour Lawrance sind, trotz aller Unterschiede in Struktur und Erscheinung, typologisch betrachtet in erster Linie „große Kissen".
Was die Einkapselung der offenen Zelle angeht, so darf das „Alcove" der Gebrüder Bouroullec natürlich nicht unerwähnt bleiben, das vor allem in seiner Ausführung als „Highback" im längst ins Öffentliche erweiterten temporären „Wohnbereich" der Lounges, Büros und Empfangshallen für einen Rest an Intimität sorgt und deshalb in den vergangenen Jahren zahllose Nachahmer gefunden hat.
Auf Metaphern sitzen
Ganz andere Wege beschreitet Gaetano Pesce. Nicht unähnlich dem auf den Erzsurrealisten Salvador Dalì zurückgehenden Lippensofa „Bocca" von Studio 65, formt er aus Metaphern Möbel. Also wird mit „Tramonto a New York", „Notturno" oder „Montanara" das Sofa vollständig in ein ikonisches Objekt verwandelt, das Wahrnehmungen und Empfindungen ausdrücken soll. „Tramonto" stellt einen Sonnenaufgang über den Wolkenkratzern von Manhattan dar, und bei „Montanara" sitzt man gleichsam auf einem Wasserfall und lehnt sich an schneebedeckte Berge an. Auch im Fall von „La Fiorita" treibt Pesce sein lustig-raffiniertes Spiel mit der Metapher. Nun besteht das Sitzmöbel aus Rasen und Erde, ergänzt von Kissen in Form von bunten Blüten.
In dieselbe Schublade gehören auch die Experimente der Designerinnen von Front, die ebenfalls mit dem Prinzip des Bildes oder des Trompe l'oeil arbeiten. Wie es der Name „Soft Wood Sofa" bereits verspricht, erweist sich eine derbe Holzbank als weiches Polstermöbel, wodurch die mit der Säge zugerichtete Natur zum schaumstoffweichen Zitat im Interieur gerät. Das „Draped Sofa", ebenfalls von Front, sieht sodann aus wie ein einziger Faltenwurf, auch wenn es sich nur um das auf Stoff gedruckte Bild eines solchen handelt. „Cushion" schließlich präsentiert sich wie eine Ansammlung in die Luft geworfener und fotografisch fixierter Kissen, womit es ebenso gut in die Region „Kissen" des typografischen Feldes passt.
Unter der Decke
Ähnlich, wenn auch ganz ohne optische Tricks, verfährt Konstantin Grcic, der, wie er oft betont hat, lieber auf Stühlen sitzt, weil ihm das eine größere Bewegungsfreiheit verschaffe. Sein erstes, für Established & Sons entworfenes Sofa trägt denn auch den Namen „Cape", weil der Bezugsstoff als loser Überwurf konzipiert wurde, wie man das aus Hotels oder vorübergehend leerstehenden Wohnungen kennt, bei denen die Möbel mit Tüchern abgedeckt werden. Bei „Cape" kann man sogar zwischen einem schweren, weichen, warmen Überwurf für den Winter, einem leichten Stoff für den Sommer und einem Dritten, der dazwischen liegt, wählen. So verbirgt das Sofa seine amorphe Gestalt und damit sich selbst im Grunde und bewahrt sein Geheimnis unter einem Überwurf wie Marcel Duchamps Schreibmaschine unter der Haube mit der Aufschrift „Underwood". Ebenso, wenn auch weniger perfektioniert, verfährt Francesco Binfaré mit seinem Modell „Gran Khan".
Historienfestspiele
Hier und da kehrt auch so manches historische Element oder Detail in zeitgenössischer Interpretation wieder, nicht nur was die Gestelle der Sofas angeht. An Alessandro Mendinis „Kandissi" lässt sich beispielsweise ablesen, wie sehr er, aber auch andere Vertreter der Gruppe Alchimia, und nicht zuletzt die Revoluzzer von Memphis, auf eine Revision historischer Muster erpicht waren. Ähnliches gilt für Hans Holleins postmoderne „Marilyn".
Reminiszenzen an die Zeit von Louis XVI., Louis-Philippe und die Salons der Aufklärung finden sich in „Bess" von Stefan Diez, bei dem sich kleine Kissen vor einer dünnen, schalenförmigen Rücklehne arrangieren lassen, und in „Ruché" von Inga Sempé, bei dem ein abgesteppter Überwurf über einem rechteckigen Holzgestell hängt. Auch Jaime Hayons neueste Kreation, das Sofa „Favn", verkörpert nicht nur das dänische Wort, das ihm den Namen gab und „Umarmung" bedeutet, es zitiert auch frech die erotische Komponente des Sofas und die geschwungenen Lehnen von Exemplaren, wie man sie beispielsweise aus dem Empire kennt. Selbst Jasper Morrison bezieht sich, wie auch Ron Arad in seinem „Victoria& Albert" genannten Sitzmöbel, mit „Three Sofa de Luxe Chaiselongue" auf historische Vorbilder.
Einfach klassisch
Auf ganz andere, klassisch modern wirkende Weise, zitiert die übereinander geschichteten Matratzen der Orientalen das elegante „William" von Damian Williamson. Auf Antonio Citterio – der zusammen mit Piero Lissoni einer der erfindungsreichsten Sofagestalter ist und in diversen Untergruppen der typologischen Ordnung unterschiedliche Akzente zu setzen weiß – und seine „Suita", mit der er den bedarfsgerechten Wandel des Sofas perfektioniert, haben wir bereits hingewiesen. Ferner gehören hierher „Moov" von Piero Lissoni, das ein rational-geometrisches Grundmuster mit legeren Kissen kombiniert, sowie „Mex Cube", das nahezu identische Elemente akzentuiert, ohne – wie LC – noch ein Gestell zu benötigen, das sie zusammenhält. Auch „John-John" von Jean-Marie Massaud und „Noe" von Lievore Altherr Molino gehören, wie viele andere Exemplare, die sich noch aufzählen ließen, in diese Rubrik.
Am Ende steht eine ganz andere Lösung für das Problem des Sitzens und Liegens. Sie stammt von Noé Duchaufour Lawrance und bringt uns abermals auf den Teppich zurück. Ihr „Tapis Plis", scheinbar nichts als ein flacher Teppich, lässt sich nämlich an den Ecken auffalten, wodurch eine Rückenlehne entsteht. Womit die Verlandschaftung der Sitzmöbel endgültig auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt wäre.
Eine umfassende Übersicht an Sofas finden Sie hier:
› Sofas bei Stylepark
In unserer Serie zu den Produkttypologien sind bisher erschienen:
› „Alles, was Möbel ist" von Thomas Wagner
› „Nicht anlehnen!" über Hocker von Nina Reetzke
› „Von Ruhe und Gemütlichkeit" über Lounge Chairs von Mathias Remmele
› „Schaumstoffwiese, länger frisch" von Markus Frenzl
› „Im Universum der Stühle" von Sandra Hofmeister
› „Alles, was Stuhl sein kann" von Claus Richter
› „Das Regal – ein Möbel der öffentlichen Ordnung" von Thomas Edelmann
› „Wie der Sessel Ohren erhielt" über Sessel von Knuth Hornbogen
› „Die Stütze der Gesellschaft" über Regale von Thomas Edelmann
› „Der Schaukelstuhl als Passagenphänomen" von Annette Tietenberg
› „ Die kleine Welt der Multifunktionsmöbel" von Nancy Jehmlich
› „Nun hopsen Sie doch nicht so!" über Betten von Annette Tietenberg
› „Es ist angerichtet" über Tische von Sandra Hofmeister
› „Die Couch. Eine psychoanalytische Fantasie" von Thomas Wagner
› „Ein Stuhl für vierzig Stunden" von Mathias Remmele