Für die Musik der Perlenfischer
Angefangen hat es auf der Architekturbiennale in Venedig in 2010. Jetzt betreut das Büro von Kersten Geers und David van Severen ein Projekt mit zwei kleinen, aber ausgesprochen innovativen und außergewöhnlichen Gebäuden im Königreich von Bahrain. Wir haben mit David van Severen über Architektur gesprochen, die dabei hilft, das Erbe und die Tradition der Perlenfischerei von Bahrain zu beschützen, die einst die wichtigste Quelle für den Wohlstand in diesem Land war.
Florian Heilmeyer: Im Gegensatz zu vielen anderen Architekturbüros haben Sie bislang keine Projekte im arabischen Raum betreut. Nun arbeiten Sie an gleich drei Projekten in Bahrain, wie kam es dazu?
David van Severen: Das war im Grunde genommen Zufall. Wir hatten auf der Architekturbiennale in Venedig 2010 für unseren Beitrag zur Hauptausstellung “People Meet in Architecture” den Silbernen Löwen bekommen. Da standen wir plötzlich mit den Vertretern des Länderpavillons von Bahrain auf dem Podium, die hatten für ihren Beitrag gerade den Goldenen Löwen erhalten. Das Projekt war vom
Ministerium für Kultur und Altertum in Bahrain beauftragt und organisiert worden und alle freuten sich außerordentlich, da Bahrain überhaupt das erste Mal in Venedig teilgenommen hatte. Eines führte zum anderen und am Ende fragten sie uns, ob wir nicht Interesse hätten, nach Bahrain zu kommen und mit ihnen zwei kleine Projekte zu diskutieren, bei denen es um die Erhaltung des Kulturerbes von Bahrain gehen würde. So fing das an.
Gab es zu diesem Zeitpunkt schon präzise Vorstellungen, was das Projekt betraf?
David van Severen: Ja, die gab es. Man zeigte uns zwei Orte in Al-Muharraq, einer Hafenstadt im Nordosten Bahrains und eine der ältesten Siedlungen im Land. Bis in die 1920er Jahre war sie Hauptstadt von Bahrain und eines der bedeutendsten Zentren für die Perlenfischerei. Sie hat in Bahrain eine sehr große Tradition und reicht bis in assyrische Zeiten zurück. Während der Hochphase in den 1920er und 1930er Jahren gab es schätzungsweise 30.000 Perlentaucher in Bahrain. Das war natürlich vor der Entdeckung der Ölvorkommen; heute gibt es nur noch wenige Perlentaucher.
Man möchte aber die Tradition der Perlentaucherei – oder jedenfalls was davon übrig ist – bewahren und fördern. Die beiden Areale, die uns gezeigt wurden, sind Teil des „Perlenweges“, der seit 2012 auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes steht. Er erstreckt sich von drei Austernbänken entlang der Küste bis zur Bu Mahir Festung und führt weiter zu 17 Gebäuden und öffentlichen Plätzen in der alten Stadt Al-Muharraq, das sind vor allem historische Häuser und Plätze, wo die Perlenfischer gelebt, gearbeitet, sich versammelt und gefeiert haben. Der Perlenweg dokumentiert die Geschichte der Perlenfischer von ihren Anfängen bis heute.
Was waren das für zwei Orte, die Ihnen gezeigt wurden?
David van Severen: In beiden Fällen ging es um ein ‘Dar’, was im Arabischen einfach so viel wie ‘Haus’ bedeutet. Beide mussten saniert und vergrößert werden, denn es sollten nun Räume als Versammlungsorte angefügt werden, um ein größere Öffentlichkeit zu den traditionellen Musikveranstaltungen einladen zu können, die hier stattfinden werden. Das eine dieser beiden Projekte, Dar al Jinaa, ist gerade fertig geworden, während Dar al Riffa noch im Bau ist.
Diese Versammlungsräume konnten nicht in den alten Häusern untergebracht werden?
David van Severen: Bei beiden Gebäuden handelt es sich um typische, kleine arabische Häuser mit Innenhöfen mit zwei oder drei Geschossen und sehr kleinen, einfachen Räumen. Sie zeichnen sich durch eine unspektakuläre und schlichte Schönheit aus, die ich sehr mag. Wir dachten, das könnten auch Häuser sein, die wir selbst in diesem Kontext entworfen hätten. Für die neue Nutzung waren sie jedoch deutlich zu klein. Außerdem zeigten sie sich relativ verschlossen; viele Häuser mit Innenhöfen haben fast keine Fenster oder Türen zur Straße, da alle Räume entlang des Innenhofs angeordnet sind. In Gesprächen wurde dann relativ schnell deutlich, dass wir entweder wesentliche Teile des bestehenden Dar einreißen müssten, was wir keinesfalls wollten, oder ein neues Nebengebäude mit einer eigenen Konzeption hinzufügen konnten.
Heißt das, die neuen Gebäude sind jetzt Ergänzungen für das, was die alten Häuser nicht leisten konnten? Gewissermaßen eine Architektur des Yin und Yang?
David van Severen: Das könnte man so sagen. Tatsächlich haben wir zwei völlig neue, dezidiert moderne Gebäude entwickelt, die sich auch baulich ganz von den Dars lösen. Sie sind jeweils ein Geschoss höher, einerseits um die Grundfläche zu vergrößern, andererseits aber auch um eine direkte Sichtverbindung zu schaffen: Vom Innenhof aus sieht man nun das neue Gebäude und umgekehrt kann man aus dem Obergeschoss hinunter in den alten Innenhof schauen. Wir wollten die räumliche Einfachheit der alten Dars zu unterstreichen, daher sind auch die neuen Gebäude schlicht gehalten. Sie basieren auf Betonplattformen, die auf runden Betonstützen übereinander gestapelt und durch einfache Treppen verbunden sind. Obwohl es ursprünglich gar nicht unser Plan war, hatten wir am Ende diese Mischung aus einem Tempel und einem Maison Dom-Ino von Le Corbusier.
Im Gegensatz zu der betonten Schlichtheit der Konstruktion ist die Gebäudehülle aber in mehrere, teilweise bewegliche Schichten zerlegt.
David van Severen: Genau genommen gibt es vier Elemente. Der offene Innenraum ist von einklappbaren Glastüren umgeben, die entweder geöffnet oder komplett geschlossen werden können. Zudem verfügt jedes Glaselement über perforierte Holzpaneele, die bei Bedarf einen gewissen Sichtschutz gewähren. Hinter den Glastüren befindet sich ein Zwischenraum mit den tragenden Säulen und dann ist das gesamte Haus noch nahtlos in ein Metallnetz eingehüllt, das Schutz vor der Wüstensonne bietet. Sozusagen ein visueller Filter der die Gebäude in geheimnisvolle ‚verhüllte‘ Objekte verwandelt. Wenn es im Erdgeschoss eine Veranstaltung gibt und das Gebäude gerade genutzt wird, kann das Netz wie ein Theatervorhang nach oben gezogen werden. Auf diese Weise lässt sich das Erdgeschoss zu seiner Umgebung hin vollständig öffnen und wird Teil des öffentlichen Raumes. Und dank der möglichen Kombinationen der drei Schichten ist das Innere entweder sehr privat oder sehr öffentlich, oder eben etwas dazwischen.
Aus der Ferne kann man sich nur schwer vorstellen, wie die Gebäude mit ihrer Metallnetzfassade vor Ort tatsächlich aussehen.
David van Severen: Wir haben sehr viel Arbeit in dieses Element gesteckt, sehr viel experimentiert und überlegt wie es aussehen und wirken, wie der Mechanismus funktionieren soll. Jetzt gefällt uns das Ergebnis sehr. Das Metallnetz wirkt auf dem Maßstab des Hauses sehr abstrakt, mit den Lichtverhältnissen zeig es sich entweder als leicht transparente, textile Hülle oder fast so geschlossen und rau wie eine Putzfassade. Wenn sich das Lichtdann wieder ändert, wenn zum Beispiel in der Nacht das Innere erleuchtet ist, wird es plötzlich ganz transparent und man kann wie durch einen leichten Schleier direkt in die Innenräume schauen. Außerdem entwickelt das Netz einen leichten Glitzereffekt, das ist sehr schön und auch ein bisschen theatralisch.
Wie werden die Räume genutzt?
David van Severen: Das Erdgeschoss ist in beiden Häusern für die öffentlichen Veranstaltungen vorgesehen. Im ersten Geschoss, es ist fast genauso groß aber nicht so hoch, wird Musikunterricht abgehalten. Nur die beiden Obergeschosse sind
unterschiedlich: in Dar al Riffa werden Wohnungen und in Dar al Jinaa Büro- und Lagerräume eingerichtet. Um die Innenräume so klar und offen wie möglich zu halten, haben wir alle Treppen, Badezimmer, Toiletten und technischen Einrichtungen in der äußeren Schicht zwischen der Glasfassade und dem Metallnetz untergebracht.
Wie geht es mit dem Projekt weiter, wenn Dar al Riffa bald eröffnen wird?
David van Severen: Wir sind nun auch in die Neugestaltung des ganzen Perlenwegs eingebunden. Wir erarbeiten gemeinsam mit Bureau Bas Smets ein Konzept, das darauf zielt, die historischen Orte so beizubehalten wie sie sind und nur die notwendige Infrastruktur hinzuzufügen. Wir wollen entlang des Weges einen visuellen Zusammenhang schaffen, dazu gehören beispielsweise Elemente aus poliertem Beton, die auch ein Kühlungssystem enthalten. An diesen Orten können Besucher eine Pause einlegen oder die Einwohner von Al Muharraq können sie als Treffpunkt nutzen. Vielleicht vergleichbar mit kleinen Oasen in der alten Stadt.
Wir investieren sehr viel Zeit und Energie in diese Projekte in Bahrain. Außerdem verbringen wir viel Zeit vor Ort und besprechen den Fortschritt der Arbeiten mit den einheimischen Architekten und Behörden. Für derartig kleine Projekte ist das vielleicht etwas viel Aufwand, aber das Ergebnis gefällt uns sehr gut. Es ist unglaublich interessant, in ein solches Projekt eingebunden zu sein und zu sehen wie ernsthaft Bahrain die Erhaltung seines Erbes, seiner Kultur und Tradition nimmt. In einem Land, in dem es eigentlich nur um Öl und den plötzlichen Reichtum zu gehen scheint, der mit ihm einherging.