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Hella Jongerius, Vier Jahreszeiten, 2007, Foto © Porzellan Manufaktur Nymphenburg
Die Ästhetisierung des nur scheinbar Unvollkommenen
von Uta Abendroth
24.01.2013

Der Rückkehr des Emotionalen ins moderne Design huldigt die Sonderausstellung „Isn't it romantic? Zeitgenössisches Design zwischen Poesie und Provokation“ im Museum für Angewandte Kunst in Köln (MAKK). Die Kuratorin Tulga Beyerle hat Produkte und konzeptionelle Arbeiten von vierzig internationalen Designern ausgewählt, die nicht etwa historisierende Tendenzen in der aktuellen Gestaltung veranschaulichen, sondern sowohl die Gegensätze, als auch die Vereinbarkeit von Kunsthandwerk und Industriedesign, des Perfekten und Unperfekten thematisieren.

Andrea Branzi, von dem nicht ein Stück in der Kölner Ausstellung steht und der auch gut ein bis zwei Generationen älter ist als die meisten der Designer, deren Objekte bei der Romantik-Sonderausstellung zu sehen sind, könnte glatt als Ur-Vater dieses Design-Ansatzes bezeichnet werden. Schon 1985 zeigte er für seine Animali Domestici-Serie Bänke mit Rückenlehnen aus naturbelassenen Ästen; 1996 hantierte er in der Design Gallery Milano mit Kochtöpfen und Pfannen, aus denen sich wie Kochmützen geformte Lampenschirme aus Papier erhoben und die wieder aufladbaren Laternen „Wireless“ bildeten. Was Branzi, oft genug als Querdenker des italienischen Designs tituliert, in der Mailänder Galerie präsentierte, war gestalterisch oft genug Lichtjahre von dem entfernt, was es einige Kilometer weiter auf dem Salone del Mobile zu sehen gab ­– und gibt.

Doch zurück von den oberitalienischen „Navigli“ an den Rhein: Tulga Beyerle, Ausstellungsmacherin, Designexpertin, Autorin und Direktorin der Vienna Design Week, sagt, sie habe sich beim Reflektieren über Design, so wie sie es heute immer wieder erlebe, gefragt, „ist das nicht romantisch?“ Und: „Wie gehen diese zwei Dinge zusammen, wo doch nach meiner festen Überzeugung Design ein Kind der Moderne und Ausdruck eines Glaubens an eine moderne Gesellschaft ist, beginnend mit der Industrialisierung und der damit einhergehenden seriellen Produktion?“

Um es gleich klar zu sagen: Um sich die Ausstellung in Köln ganz unvoreingenommen anschauen zu können, sollte man – gerade als deutscher Besucher – die naiv-gefühlige Romantik-Brille abnehmen. Es geht nicht um den so oft überhöhten Begriff der traditionellen Romantik à la Caspar David Friedrich oder Philipp Otto Runge, geschweige denn um Schlegel oder Novalis. Was den begrifflichen Bogen von der kulturgeschichtlich so genannten Romantik, also vom späten 18. Jahrhundert bis weit ins 19. Jahrhundert, zu unserer Zeit heute schlägt, sind nicht die optischen oder künstlerischen Analogien. Vielmehr bündelt sich alles in einem Begriff: Sehnsucht.

In einer Welt, die die meisten von uns in ihrer Komplexität nicht mehr verstehen, wo die Wirtschaft die Politik dominiert und Menschen sich in Zwängen unterschiedlichster Couleur unfrei fühlen, entsteht der Wunsch nach Individualisierung, nach Freiheit, eventuell sogar nach einer Flucht aus der Realität. Eben diese Ideen geisterten durch die Köpfe der Romantiker von damals, es ging um die Utopie einer besseren Welt ­– und dieser Traum ist heute vielleicht ebenso präsent wie damals. Also ist der Begriff transferierbar, wenn auch in einem neuen Kontext zu sehen.

Die Kölner Ausstellung ist in zwei Bereiche gegliedert. Im ersten Teil sind kommerzielle Produkte zu sehen, der zweite Teil ist konzeptioneller, künstlerischer vielleicht, es treten die derzeitigen zwei Strömungen im Designbusiness hervor: hier die Dinge, die in Geschäften auf der ganzen Welt zu kaufen sind, dort Objekte und Installationen mit Galerie-Charakter. Der Antagonismus von Industriedesign, also Perfektion, und dem Wunsch nach Natürlichkeit, wird im ersten Teil vor allem an einer Kanne, einer Tasse und einer Schale deutlich. Max Lambs schnitzte von Hand sehr grob wirkende, amorph anmutende Gipsmodelle für seine „Crockery“-Serie, die aus hochwertigem bone china gefertigt wird und damit den One-of-a-kind-Look konterkariert. Nichts deutet an den von „1882 Ltd“ ausgeführten Porzellanobjekten auf die Serie hin, vielmehr erscheinen sie wie die ersten Versuche eines Kindes, archetypische Formen von Kanne, Tasse und Schale aus Knete nachzuahmen. Die Feinheiten des Staffordshire-Knochenporzellans erschließen sich erst auf den zweiten Blick, mehr noch – doch das ist im Museum natürlich nicht möglich – beim Anfassen.

Tulga Beyerle hat im besagten Bereich Inseln arrangiert, die etwa einen Garten symbolisieren, ein Wohn-, Ess- und Badezimmer. Im „Garten“ thronen Patricia Urquiolas „Re-Trouvé“-Stühle und -Tische, die an die Fifities erinnern, eine Zeit, in der alles rund, bunt und optimistisch sein durfte. Im „Bad“ steht unter anderem die ebenfalls von Urquiola designte Wanne „Vieques“, die nicht mehr und nicht weniger zum Baden geeignet ist als jede andere Wanne. Aber ihre an einen alten Waschzuber angelehnte Optik deutet eben nicht nur auf die Funktion hin, sondern auf Emotionen und Nostalgie. Wir alle wissen, dass die „gute alte Zeit“ gar nicht immer so gut war, aber wir wollen es so gerne glauben. Wir sehnen uns nach weniger Komplexität, nach Einfachheit, nach Dingen, die sich aus sich selbst heraus erklären.

Ist deshalb ein Accessoire wie „L’Oiseau“ von Ronan und Erwan Bouroullec, das in seiner stilisierten Reduktion an die seit dem 17. Jahrhundert in Schweden geschnitzten Dalarnapferde erinnert, schon romantisch? Eben gerade hatten wir es doch noch als ein Design-Highlight im Sinne von maximaler gestalterischer Reduktion gesehen.

Friederich Schlegel hatte das „ewige Werden“ als einen Wesenszug der Romantik ausgemacht. Vielleicht ist die Gegenwart, in der nichts sicher ist, ein neuer Zustand des Werdens. Und da kann man Designobjekte ja auch mal unter neuen Gesichtspunkten anschauen: „Wir sehen hier so viel Vertrautes in einem anderen Kontext“, sagt Tulga Beyerle, „so dass manches aufgewertet wird oder wir es mit anderen Augen sehen.“

Jaime Hayons Vasen und Bonbonieren „Baccarat Zoo“ zum Beispiel. Die Gesichter der Bären, Affen und Enten sind fast schon clownesk, das Material dagegen sind hochwertigstes Kristall und Porzellan. Dass der Spanier aber mehr als nur „laut humorvoll“ sein kann, zeigt sich in seiner Kollektion für den japanischen Keramikhersteller Kutani Choemon, die auf eine subtil-ironische Weise daherkommt, ohne die reduzierte Ästhetik der Japaner zu veralbern. Von Hella Jongerius finden sich Wandteppiche in der Ausstellung, die sie im Auftrag des Ikea Unicef Projects gemeinsam mit indischen Handwerkerinnen entwickelte. Obwohl jedes Stück Teil der limitierten Serie eines weltumspannenden Konzerns ist, haben die Frauen, die daran mitgewirkt haben, ihre eigene Handschrift hinterlassen: auf jedem der Teppiche ist der Name der Stickerin zu lesen.

Zum zweiten Teil der Schau: In den unabhängigeren Installationen und Objekten erschließt sich der beschworene romantische Geist im zeitgenössischen Design, weil sie per se freier wirken. Anstelle von Novalis’ blauer Blume, dem Symbol der Romantik für das Streben nach dem Unendlichen, gibt es hier einen nicht minder sehnsuchtsvollen blauen Teppich zu entdecken. Hermann August Weizeneggers „Ocean“ suggeriert Weite und ozeanische Tiefe zugleich. In die Schattierungen der Seide kann sich der Betrachter „romantisch“ versenken und gleichsam wissenschaftlich die Tiefenlinien des Meeres erforschen. Je nach Standort und Lichteinfall wirkt der Teppich aber auch wie eine gekräuselte Meeresoberfläche und spielt mit unserer Wahrnehmung.

Gleich daneben liegt ein Teppich, der beim ersten Hinsehen wie ein Wandbehang oder ein abgelegter und glatt ausgebreiteter Mantel erscheint. Formafantasma verzierte den Webteppich „Migration“ mit einem Vogelmotiv und verband die beiden Webkanten mit Holzknöpfen. Dieses Objekt, obwohl mit alten Techniken hergestellt, ist nicht retro, sondern viel mehr ein fantasievolles Adieu an das reine Lifestyle-Design. Auch die Objekte von Pieke Bergman setzen das Kopfkino in Gang: Bei ihren „Light Bulbs“ scheinen die Glühbirnen aus der Form geraten zu sein, als sei der Glaskolben ausgelaufen und habe sich über Stuhllehnen und Tischflächen ergossen. Ein Ende scheint fast nicht absehbar, es überrascht die Beweglichkeit eines sonst doch so starren Materials. Haben wir alles im Griff? Da blitzt die Angst durch: Was passiert, wenn sich all die Maschinen und Dinge, die wir doch beherrschen, selbstständig machen? Oder eine Leiter, ein doch sehr auf den rechten Winkel und die Zuverlässigkeit reduziertes Objekt, die sich plötzlich als krummes Etwas präsentiert? Julien Carretero setzte sein Modell „In Situ“ aus sechshundert Jahre altem Holz zusammen, das ursprünglich Teil der Stadtmauer von Eindhoven war. Führt es den Kletternden ans Ziel, trägt es ihn, ist es sicher?

Betrachtet man die Exponate im zweiten Teil von Tulga Beyerles Ausstellung, so ist klar: Nichts ist vollkommen, nichts ist starr – und allzu perfekt ist vor allem eins: langweilig. Die Suche nach einem neuen Zeitalter der Unschuld, nach Alternativen zu unserem jetzigen Lifestyle hat begonnen und die Designer sind mit dabei. Natürlich stehen sie in diesem Prozess nicht wie die Menschen auf romantischen Bildern am Fenster, blicken in die Richtung ihrer Sehnsucht und sehen am Horizont die Silhouette eines neuen Produkts. Aber mit Glück nehmen sie die Konsumenten an die Hand und zeigen ihnen die Schönheit unvollkommener Gestaltung. Ob man das für sich als „romantisch“ definiert oder nicht, hängt wohl von der eigenen Definition dieses Begriffes ab. Die Ausstellung ist so oder so absolut sehenswert.

Isn't it romantic? Zeitgenössisches Design zwischen Poesie und Provokation
Museum für Angewandte Kunst, Köln
bis zum 21. April
Di bis So 11–17 Uhr
www.makk.de

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Hella Jongerius, Vier Jahreszeiten, 2007, Foto © Porzellan Manufaktur Nymphenburg