Mit seinen rund 500.000 Exponaten gehört das Museum für Gestaltung in Zürich zu den bedeutendsten Designsammlungen der Welt. Vom werbenden Plakat über den Jugendstilzierrat bis zum Möbelklassiker, von der zweiten bis zur dritten Dimension - das Haus beherbergt bekannte und weniger bekannte Materialisierungen individuellen wie kollektiven Gestaltungswillens aus drei Jahrhunderten. Das Anliegen, eine zeitgemäße Erfassung des Bestandes in Buchform vorzulegen, erscheint damit mehr als gerechtfertigt. Deutlich in der dritten Dimension ist denn auch das Ergebnis angekommen. Und ewig lebe die Haptik: Das Buch ist ein Buch ist ein Objekt. Ein stattlicher handgroßer Klotz, jedes nennenswerte Exponat ausgebreitet auf einer fast pappdicken Seite, ist das Buch damit ebenso bildlastig wie schwergewichtig. Leichtes Umblättern und einfaches Lesen gehört mithin nicht zu seinen Stärken. Lektüre muss eben wehtun. Auch der Umwelt? Doch soll diese kleine Randnotiz nicht von den Stärken dieser Publikation ablenken. Denn es gibt sie tatsächlich. Die Inhalte - sprich die Texte - werden der Qualität der Sammlung, bestehend aus Kunstgewerbe, Grafik, Plakat und Design, durchaus gerecht. Das 1875 gegründete Haus gehört in die Tradition der akademisch-pädagogischen Sammlungen - ganz dem Vorbild des Victoria and Albert Museums in London folgend, das 1899 aus dem Kensington Museum hervorging, das wiederum als praxisbezogene Lehranstalt des Royal College of Art gegründet wurde. Das Züricher Modell sah den engen Dialog zur ortsansässigen Hochschule der Künste vor. Zeitlich gesehen war dieser gründerzeitliche Aufbau alles andere als ein Zufall: Mit den Weltausstellungen und anderen frühglobalistischen Errungenschaften - etwa der 1866 hergestellten transatlantischen Telegrafenverbindung - war es auch für die Schweiz allerhöchste Eisenbahn, seine Fühler aus dem alpinen Schneckenhaus hervorzustrecken und sich wirtschaftlich zu erneuern. Mit der typisch schweizerischen Präzision, bekannt durch Uhrwerk und Messer, und in absolut identischer Fotosprache, reiht nun der Katalog die erworbenen Errungenschaften auf und lenkt den Blick in visuellem Pro- und Epilog auf formale Korrespondenzen. Jenseits der Chronologie löst sich die klassische bibliothekarische Verschlagwortung auf in moderne „Vergoogelisierung" - offen für alle Überraschungen. Bildkultur versus Schriftkultur, Sehen versus Verstehen: Die Texte liefern die inhaltlichen Korrespondenzen nach und arbeiten die polaren Fragestellungen ab, um die bis heute der moderne Design-Diskurs samt seinen Sammlungs- und Selektionskritierien kreist - allen voran der an der Praxis geschulte von Paola Antonelli, die als Kuratorin seit vierzehn Jahren am Museum of Modern Art in New York für die Design-Sammlung zuständig ist. Wie lassen sich Qualität der Ästhetik und Relevanz des Objektes ausmachen? Wie lassen sich objektive Lücken und subjektive Entscheidungen vertreten? Wie folgt man plausibel dem Wechsel vom Seltenen zum Alltäglichen? Wie stellt man Prozesse und deren Erfolge, aber auch die Ergebnisse „genialen Scheiterns" dar? So statisch der kleine Wälzer auch daher kommen mag, so beinhaltet er doch ein deutliches Plädoyer für ein Design in Bewegung, für einen entgrenzten, ja „explosiven" Design-Begriff (wie Paola Antonelli schreibt), der sich mehr als offenen Prozess denn als abgeschlossenes Projekt versteht. Buchgestaltung ist ein wichtiger Bestandteil der Sammlung. Käme dieses Buch als relevant ins Haus, wenn es nicht zufällig aus ihm hervorgegangen wäre? Die saubere gestalterische Aufbereitung im Inneren gibt ihm gute Chancen. Doch insgesamt gesehen ist und bleibt es eher ein schicker Briefbeschwerer denn ein nützliches Buch.
Every Thing Design. Die Sammlungen des Museum für Gestaltung Zürich. Herausgegeben von Christian Brändle und Verena Formanek. Texte von Glenn Adamson, Paola Antonelli, Irma Boom, Christian Brändle, Verena Formanek und Renate Menzi. Hatje Cantz, Ostfildern, 2009.
Gebunden, 864 Seiten, 30 Euro
Designdiskurs hoch drei
von Luz Kathrin | 20.08.2009
All photos © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
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