Mit Feuer und Pfanne
"In der Kunst", stellte Karl Kraus einst klar, "kommt es nicht darauf an, dass man Eier und Fett nimmt, sondern dass man Feuer und Pfanne hat". Dass gute Zutaten allein nicht reichen, gilt auch fürs Design. Ein spannender Fokusbezirk, originelle Passionswege und ein Gastland – die stets frischen Zutaten der Vienna Design Week haben sich bewährt und Österreichs größtem Designfestival eine eindrucksvolle Kontinuität beschert. Nicht weniger wurde bewiesen, dass man auch mit Feuer und Pfanne umzugehen weiß.
Im 11. Jahr seines Bestehens hat sich das Team des von Lilli Hollein mitbegründeten und geleiteten Festivals, was die Zutaten angeht, für den 15. Wiener Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus, das Gastland Rumänien und jede Menge spannender Kooperationen im Rahmen der Passionswege entschieden. Statt nur isolierte Objekte bestaunen zu lassen, wird Design im Alltag der Stadt verortet. Mittels Ausstellungen, Workshops, partizipativen Projekten, Talks, Kooperationen und Führungen wird die aktuelle Produktproduktion ausgelotet. Dazu werden nationale und internationale Projekte, Positionen, Entstehungs- und Produktionsprozesse sowie experimentelle Ansätze in Architektur, Grafik-, Produkt-, Möbel-, Industrie- und Social Design ausgebreitet. Die meisten Beiträge werden eigens für die Vienna Design Week geschaffen.
Fokusbezirk: Rudolfsheim-Fünfhaus
Fokusbezirk ist diesmal der 15. Wiener Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus, ein westlich des Stadtzentrums – zwischen Hofburg und Schloss Schönbrunn – gelegener Außenbezirk, der als aufstrebender Multi-Kulti-Bezirk zwischen Kebab-Standl und gentrifiziertem Stehcafé gilt. Hier werden Räume erschlossen und die Aufmerksamkeit auf ortsansässige Traditionsunternehmen gelenkt. Wer aus der Ferne anreist, lernt ein Wien jenseits der touristischen Zentren kennen, die Wiener selbst können einen Teil ihrer Stadt neu entdecken.
Nord und Süd: Zwei Festivalzentralen
Wie üblich befindet sich die Festivalzentrale im Fokusbezirk. Weil Rudolfsheim-Fünfhaus aber von den Gleisen der Westbahntrasse durchschnitten wird, gibt es diesmal gleich zwei: Erste Anlaufstation ist die Festivalzentrale Nord im Blauen Haus direkt neben dem Westbahnhof am Europaplatz 1. Hier befindet sich der Dreh- und Angelpunkt des Festivals mit Infopoint, Pop-Up Café sowie eine Vielzahl von Beiträgen. Die Festivalzentrale Süd liegt am hübschen Sparkassaplatz 4 in einem Architektur-Juwel, dem kuppelbewehrten gründerzeitlichen Bau der 1881 gegründeten Kommunalsparkasse Rudolfsheim, deren unterste Geschosse der Architekt Johann Georg Gsteu Anfang der 1970er Jahre umgestaltet hat. Hier finden sämtliche Festivaltalks statt.
Das Herzstück: Die Passionswege
Wie bisher bilden die Passionswege als kuratiertes Format so etwas wie das kreative Herzstück des Festivals. Dazu werden auch diesmal internationale und österreichische Designschaffende eingeladen, in einem offenen Prozess gemeinsam mit Wiener Manufakturen außergewöhnliche Projekte zu entwickeln. Die Unternehmen der Passionswege sind 2017 im 1. Bezirk und im Fokusbezirk Rudolfsheim-Fünfhaus angesiedelt. Eine Station befindet sich zudem im Bezirk Mariahilf. Das Tolle an den Passionswegen sei, so die Projektleiterin Julia Hürner, "dass es immer noch viele spannende Handwerksbetriebe zu entdecken gibt. Diese Vielfalt möchten wir den Besucherinnen und Besuchern zugänglich machen und damit das Bewusstsein für Produktionsprozesse sowohl aus Perspektive des Designs als auch aus Sicht der Manufakturen in der Stadt stärken."
Originelle Kooperationen
Und was haben die Passionswege zu bieten? Der niederländische Objektdesigner Jólan van der Wiel bildet ein Team mit dem Traditionsunternehmen J. & L. Lobmeyr. Als Familienbetrieb in sechster Generation schreibt man bei Lobmeyr seit 200 Jahren Glasgeschichte und erforscht die Eigenheiten des Materials. Die Wiener Silber Manufaktur teilt ihre Leidenschaft für Silber mit den auf traditionelle Handarbeit spezialisierten Designern Nadja Zerunian und Peter Weisz, die seit 2014 für die "Erste Foundation Roma Partnership" in Zusammenarbeit mit Roma-Familien in Transsilvanien tätig sind. Die Saint Charles Apotheke Wien kooperiert mit Moya Hoke, Kristin Weissenberger und Günter Seyfried vom pavillon 35, der sich unter anderem mittels molekularbiologischer Prozesse dem Kunst- und Designfeld annähert. Gemeinsam mit der seit 1862 bestehenden Petz Hornmanufaktur erarbeitet die österreichische Designerin Katharina Eisenköck ein Projekt, und die Kupferschmiede Hegenbart kooperiert mit dem Münchner Designer Matthias Lehner.
Social Design
"Stadtarbeit" heißt das Format, in dessen Rahmen Designschaffende die Möglichkeit erhalten, mit einem Projekt im Bereich des Social Design am Festival teilzunehmen. Dazu hat eine Jury aus 58 Einreichungen fünf vielversprechende Konzepte ausgewählt, die – zum Teil in Kooperation mit der Caritas Wien – während der Design Week verwirklicht werden. So erkundet das Social Lab "Admirabel – Was kostet" in einem temporären Wettbüro neue Perspektiven auf das Thema Glücksspiel, indem dazu aufgefordert wird, Einsätze individuell auszuhandeln. Die Architekturbüro- und Forschungsplattform Ecòl wird im Rahmen des Projekts "Drawing Public Space" ein großflächiges Muster auf einem Platz im Fokusbezirk entstehen lassen, um den Geist der Nachbarschaft zu stärken. "Lebenswelten" ist Teil des künstlerischen Forschungsprojekts Dementia. Arts. Society. (D.A.S.), das mit partizipativen Workshops im öffentlichen Raum die Lebenswelten von Menschen mit Demenz stärker ins Bewusstsein der Gesellschaft rückt. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise entwickelt das Kollektiv "Guerilla Architects" gemeinsam mit Migrantinnen und Migranten experimentelle Alternativen zur gängigen Flüchtlingsarchitektur. Und Alexandra Trofin und Farkas Pataki laden für "Vitamin Architects" unter dem Titel "Tischlein deck dich" zu einem Food Sharing Event ein, das zu sozialer Interaktion motivieren soll.
Und last but not least wurden unter dem Stichwort "Debüt" wieder nationale und internationale Universitäten eingeladen, um ihre Projekte im Rahmen des Festivals vorzustellen – diesmal der Werkraum Bregenzerwald gemeinsam mit dem Royal College of Art aus London sowie die Fakultät für Architektur und Urbanismus der Polytechnischen Universität von Timisoara. Glaubt man Robert Musil, so ist es "die Wirklichkeit, welche die Möglichkeiten weckt", zumal dann, wenn man gute Zutaten hat, aber eben auch Feuer und Pfanne.
Vienna Design Week
29. September bis 08. Oktober 2017