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"AH Outdoor series" by Alfred Homann

Holz, Handwerk, Hansen

Unsere Autorin Claudia Simone Hoff war zu Besuch bei Carl Hansen & Søn: Auf der dänischen Insel Fünen hat sie im Werk recherchiert, was hinter einem Möbelklassiker wie dem "Wishbone Chair" von Hans J. Wegner steckt, ein Stuhlbein glatt poliert und das Landgut von Knud Erik Hansen besucht.
von Claudia Simone Hoff | 03.07.2023

Gut zwei Stunden dauert die Fahrt mit dem Auto von Kopenhagen bis zur dänischen Insel Fünen, wobei man die Meeresstraße Großer Belt auf einer Brücke überquert. Wir sind unterwegs, um Knud Erik Hansen zu besuchen, der das Unternehmen Carl Hansen & Søn seit 2002 in der dritten Generation führt. Er wohnt mit seiner Frau Inger Marie Jensen Hansen und seinem deutschen Schäferhund Pauli in einem herrschaftlichen Gutshaus in Hellerup. Das Paar hat das Anwesen mit 42 Zimmern und einem 30.000 Quadratmeter großen Grundstück vor rund 20 Jahren gekauft und über die Jahre umfassend saniert. Sogar eine eigene Kirche gibt es hier – weiß getüncht wie auch das Hellerup Manor, dessen Ursprünge bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen.

Terrasse mit Teakholzmöbeln

Eigentlich würden sie sich meist nur in einem einzigen Raum des 1.500 Quadratmeter großen Hauses aufhalten, nämlich in der Wohnküche im Erdgeschoss, wo es einen Kamin gibt und behagliche Sitzgelegenheiten, erzählt Knud Erik Hansen. Zuweilen aber bekomme er von seiner Frau eine SMS, weil sie wissen wolle, in welchem Teil des Hauses er sich denn gerade aufhalte, ergänzt er lachend. Schnell wird klar: Knud Erik Hansen ist ein ziemlich kurzweiliger und charmanter Gesprächspartner, der gern Geschichten aus seinem (Unternehmer-)Leben erzählt. Wir sitzen auf der Terrasse des Landguts, der Blick schweift über eine Wiese mit schönem altem Baumbestand und einem Wasserlauf. Die Hansens haben den Tisch mit süßem dänischem Gebäck und selbst gemachter Marmelade gedeckt. Genau wie die stapelbaren Stühle und die Sonnenliegen stammt der Tisch aus der neuen Möbelkollektion "AH Outdoor", die der im letzten Jahr verstorbene Architekt Alfred Homann entworfen hat. Sie wird in der eigenen Fabrik für Outdoor-Möbel in Vietnam gefertigt, die einer der beiden Söhne des Paares leitet.

Der Garten des Gutshauses in Hellerup auf der Insel Fünen ist rund 30.000 Quadratmeter groß, umfasst riesige Bäume, einen Wassergraben und eine eigene Kirche.
Knud Erik Hansen wohnt mit seiner Frau Inger Marie Jensen Hansen, die als ausgebildete Ärztin nun als Director CCO im Unternehmen arbeitet, und ihrem deutschen Schäferhund Pauli seit über 20 Jahren in einem Gutshaus mit 42 Zimmern.
Das Haus ist eine Schatzkiste guten Designs. Knud Erik Hansen liebt es, auf Auktionen und in Antiquitätenläden Vintage-Stücke aufzustöbern.

1.500 Quadratmeter Designgeschichte

Dass Knud Erik Hansen nicht nur für die Möbelfertigung, sondern auch für die Geschichte(n) der Möbel brennt, lässt sich im Inneren des Gutshauses an vielen Stellen ablesen. In beinahe jedem der 42 Zimmer und Flure stehen Vintage-Stücke von Carl Hansen & Søn, aber auch von anderen skandinavischen Herstellern und mit der Familie befreundeten DesignerInnen – und werden munter gemixt mit Trouvaillen aus aller Welt. Manchmal ersteigert Knud Erik Hansen auch Stücke auf Auktionen. Immer dann beispielweise, wenn er ein neues Möbelstück auflegen will und es keine Originale mehr in den Archiven gibt. Im großen Esszimmer aber darf es nur einen Stuhl geben, auf dem man sitzt: den "Wishbone Chair" von Hans J. Wegener – das Möbelstück, das geradezu als Synonym für Carl Hansen & Søn steht und wahrscheinlich das wichtigste finanzielle Standbein des Unternehmens ist. Das jedenfalls mutmaßt man, wenn man in die rund 30 Autominuten entfernte Fabrik fährt, denn hier wird in einer Halle ausschließlich der "CH24" genannte Stuhl hergestellt. Allein in China gibt es mindestens fünf Fabriken, die den Wishbone Chair kopieren, erzählt Knud Erik Hansen. Sorgen macht ihm das nicht wirklich, denn an die Qualität des "Made in Denmark"-Stuhls reichen die Fälschungen bei weitem nicht heran.

Möbelproduktion in Dänemark

Angefangen hatte alles 1908 mit einer kleinen Möbelwerkstatt, die der Tischler Carl Hansen auf der Insel Fünen gründete. Der Erfolg des Unternehmens fußt spätestens seit 1949, als die Zusammenarbeit mit dem dänischen Designer Hans J. Wegner begann, vor allem auf zwei Säulen: der Qualität der handwerklichen Fertigung, die kombiniert wird mit einer guten Form. "Eine Möbelproduktion lohnt sich heute finanziell nur noch in einem größeren Maßstab", sagt Knud Erik Hansen, als wir ihn in der Kantine der Fabrik in Gelsted zum Mittagessen treffen. Seit er das Unternehmen 2002 als CEO übernommen hat, ist es stetig gewachsen. Nicht nur werden weltweit jedes Jahr vier bis fünf neue Stores eröffnet. Auch die Produktionsfläche beträgt inzwischen rund 60.000 Quadratmeter, wobei in Gelsted gut 500 MitarbeiterInnen beschäftigt sind. Einige davon kommen von ziemlich weit her, erzählt uns ein Mitarbeiter bei einem Rundgang. Und zwar insbesondere in der Lehrwerkstatt, die "The Lab" genannt wird.

Kein Wunder, werden bei Carl Hansen & Søn doch Klassiker der Designgeschichte in bis zu 15 Produktionsschritten weitestgehend von Hand hergestellt – neben dem "Wishbone Chair" auch Couchtische, der "Safari Chair" von Kaare Klint oder die Möbelkollektion "Foyer" von Vilhelm Lauritzen. Das ist auch insofern besonders, weil viele dänische Möbelhersteller ihre Produktion längst ins asiatische Ausland verlagert haben. In Gelsted hingegen investiert man in die Ausbildung des Nachwuchses und will so dem Fachkräftemangel zuvorkommen. Das technisch mit CNC-Maschinen und Robotern gut ausgestattete "The Lab" fungiert als eigener Bereich innerhalb der Produktion. Hier beschäftigen sich die angehenden MöbeltischlerInnen und PolstererInnen auch mit Vintage-Modellen von Carl Hansen & Søn, denn der Hersteller bietet seinen KundInnen die Reparatur und Überarbeitung alter Möbelstücke an.

Im Lederatelier von Carl Hansen & Søn werden ausschließlich hochwertige Leder verwendet. Um den Abfall so gering wie möglich zu halten, kommt computergesteuerte Maschinentechnik zum Einsatz.
In der Halle am Produktionsstandort von Carl Hansen & Søn, in der das Flechthandwerk ausgeführt wird, ist es auffällig still. Es ist eine körperlich fordernde Arbeit, weshalb es für die MitarbeiterInnen regelmäßige Massagen gibt.
Der Herstellung des Wishbone Chair von Hans J. Wegner ist am Produktionsstandort auf der dänischen Insel Fünen eine ganze Halle gewidmet. Im Bild: Glattschleifen eines Stuhlbeins.
Wie alle Produkte durchläuft auch die Herstellung des Wishbone Chair mehrere Qualitätskontrollen. Im Bild: Making of … Holzgestell.

Möbelklassiker & neue Designstücke

Die Fabrik in Gelsted bildet den gesamten Produktionsablauf ab – vom Lager über die Fertigung bis zur Qualitätskontrolle. Wir laufen an einem Hochregallager vorbei, in dem sich die Holzvorräte stapeln – darunter Eichen-, Walnuss- und Eschenholz und seit kurzem auch Eukalyptusholz. Das wächst schnell, was gerade in Zeiten von Rohstoffknappheit ein entscheidender Vorteil ist. Man habe sich glücklicherweise rechtzeitig mit genügend Vorräten eingedeckt, erzählt Knud Erik Hansen. Das Unternehmen bezieht sein Holz aus nachhaltig bewirtschaften Wäldern und verwendet nur die besten Stücke eines Stammes. Damit aus einem Stück Holz ein Stuhl wird, braucht es viele einzelne Schritte und ein großes handwerkliches Know-how. Das erfahren wir in der Produktionshalle, wo der "Wishbone Chair" gefertigt wird. Hier ist jeweils ein/e MitarbeiterIn für einen Stuhl verantwortlich, was man auch an einem Prägestempel nachvollziehen kann. Zu den einzelnen Arbeitsschritten gehören das Glattschleifen der gebogenen Beine und das Zusammenleimen der einzelnen Stücke, aber auch die Qualitätskontrolle mit Hand und Auge unter UV-Licht. Rund 17 bis 30 Wishbone-Stühle schafft ein/e ArbeiterIn täglich herzustellen, erzählt Hussein, der uns anleitet das Glattschleifen selbst auszuprobieren. Spätestens in der Halle, in der die kunstvoll geflochtenen Sitzflächen entstehen, wird klar welche große körperliche Anstrengung für die Produktion eines Stuhls von Nöten ist, der Jahrzehnte hält.

Auch wenn Carl Hansen & Søn wohl immer mit dem Namen Hans J. Wegener und dem Wishbone Chair gleichgesetzt werden wird – längst arbeitet das Unternehmen mit zeitgenössischen GestalterInnen wie Ilse Crawford, EOOS und Rikke Frost zusammen. Und schreckt dabei auch vor komplexen Entwürfen nicht zurück, wie der "Dream Chair" (TA001P) von Tadao Ando zeigt. Ganze fünf Jahre hat der Entwicklungsprozess gedauert, erzählt Knud Erik Hansen. Und auch wenn der ungewöhnliche Sessel des japanischen Architekten nicht unbedingt zu den großen Verkaufsschlagern gehört: Man merkt dem Unternehmer an, wie stolz er über die technische und handwerkliche Umsetzung des diffizilen Entwurfs ist.