Der Voyeur im Käfig
Im Gespräch:
Lyndon Neri und Rossana Hu 12.01.2015 Messebesucher, die es sich in den vergangen Jahren in der Installation „Das Haus – Interiors on Stage“ auf der imm cologne bequem gemacht haben, werden in diesem Jahr andere Orte zur Entspannung aufsuchen müssen. Denn die Shanghaier Architekten Lyndon Neri und Rossana Hu von Neri&Hu Design and Research Office wollen die Besucher mit „Memory Lane” – so der Name ihres „Hauses“ – aus der Komfortzone locken und zu einem Diskurs über Wohnrituale anregen. Adeline Seidel hat mit Lyndon Neri und Rossana Hu in Shanghai über ihre Inszenierung und deren Symbolik gesprochen.
Rossana Hu: Für „Das Haus” standen zwei Fragen im Mittelpunkt: So haben wir uns schon immer gefragt, ob das Haus auch ein Käfig ist. Und: Wie können wir eine abstrakte Version unseres Wohnortes nach Köln bringen. Darüber hinaus wollten wir die Idee der herkömmlichen kommerziellen Messe hinterfragen. Wir sind die ersten außereuropäischen Designer für „Das Haus” und die ersten Architekten, die sich dieser Aufgabe widmen dürfen. Ich glaube, dass Architekten von je her die Last mit sich tragen, die Welt retten zu wollen. Das können wir hier jedoch nicht, daher möchten wir den Messebesuchern ein paar architektonische Denkanstöße liefern. Wir leben in Käfigen? Lyndon Neri: Viele Leute sind heute lieber drinnen als draußen – es gibt nicht genügend Gründe rauszugehen. Die Begriffe von Freiheit und „Befreitsein“ werden heutzutage nicht mehr klar voneinander abgegrenzt. Wenn wir unsere Häuser und Einrichtungen ansehen, dann stellen wir fest, dass es viel ungenutzter Raum und viele ungenutzte Möbel gibt – beides wird jedoch offenkundig zur Schau gestellt. Wenn man sie also nicht nutzt, was ist dann aber der Sinn all dieser schönen Möbel und Accessoires? Mit unserer Installation „Memory Lane“ für „Das Haus“ möchten wir insofern die Frage stellen: Wofür stehen diese Produkte eigentlich und brauchen wir sie tatsächlich? Warum zeigen Sie eine Reminiszenz an die engen Gassen in Shanghai? Lyndon Neri: Die Gassen in Shanghai sind ein urbanes Andenken und sind mit persönlichen Erinnerungen verbunden. In gewisser Weise erinnern sie mich an Hitchcocks Film „Das Fenster zum Hof“. Diese besondere Form des Voyeurismus ist ein wesentlicher Aspekt für unseren Entwurf. Das Öffentliche und das Private gehen heute ineinander über, das gilt auch für die Reihenhäuser in Shanghai. Wenn ich dort, wo ich und Rossana leben, morgens nicht aufpasse, kann mich der nur drei Meter entfernte Nachbar nackt im Badezimmer stehen sehen. Bei unserer Installation für „Das Haus“ wird man zwar in den Käfig hineingehen können, aber wir werden auch gespiegelt. Die Installation soll auf diese Weise an das urbane Umfeld erinnern. Die „Gasse“ in unserer Inszenierung ist ein choreografierter Weg, der dem Besucher verschiedene Perspektiven auf den Raum und die ausgestellten Möbel eröffnet – außerdem soll dadurch eine kritische Betrachtung der Kommerzialität des Ortes angeregt werden. Wie wichtig sind asiatische Gestaltungstraditionen für Ihren Entwurf? Rossana Hu: Sie sind außerordentlich wichtig, da sie uns geprägt haben. Wir haben hier nach einem Weg gesucht, unsere Kultur zu präsentieren. Die asiatische Kultur wird schon lange durch Symbole und Motive, vielleicht auch Farbe, repräsentiert. Diese Form der kulturellen Auslegung wollen wir abstrahieren. Was wir zum Beispiel von den Niederländern gelernt haben, ist die Art und Weise, wie sie ihren Produkten einen gewissen Humor befügen. Und auch in einigen unserer Produkte haben wir eine verborgene Bedeutung und auch Humor integriert. Können Sie Beispiele nennen? Rossana Hu: Beispielsweise unser Aschenbecher „Shanshui“. Wenn man eine Zigarette auf den „Bergen“ ablegt, umgibt der Rauch diese wie Wolken. Das Bild bezieht sich auf ein chinesisches Gedicht, in dem ein Student auf einem Berg Ausschau nach seinem weisen Lehrer hält, aber nichts erkennt, als er dann auf dem Berg in den Wolken steckt. Die Wolken in den Bergen lassen alles diffus erscheinen. Um diese Form der Symbolik geht es uns. Die Leute kennen vielleicht nicht das Gedicht, aber sie können es nachempfinden, wenn sie den Aschenbecher benutzen. Es ist die in unseren Alltagsobjekten verborgene Idee des Erhabenen. Man muss nicht wirklich den Hintergrund kennen, es reicht den Moment zu erleben – das gefällt uns. Das ist eine ganz andere Vermittlung von Kultur, als ein Drache, ein Symbol oder ein chinesisches Schriftzeichen. Und welche Symboliken verstecken sich in Ihrer Inszenierung für „Das Haus”? Rossana Hu: Nehmen wir beispielsweise die Spiegel, die wir in unserer Installation einsetzen werden. Wir mögen Spiegeleffekte sehr, denn sie rufen uns unsere Vergangenheit in Erinnerung. In vielen unserer Projekte sind der direkte und der indirekte Blick wichtig. Die Spiegel in der Installation können die Wahrnehmung des Raums beeinflussen und den Raum reflektieren. Dies möchten wir auf der imm cologne erreichen. Die Installation von „Das Haus” wird insofern eine Abstrahierung des Sehens, der Reflektion und der Orientierung bewirken. Und dies wiederum wird vielleicht auch Anlass geben, über die Orte, die wir als Zuhause bezeichnen, neu nachzudenken. Lyndon Neri: Die Käfigkonstruktion besteht aus Metall. Und im Holz des Rundgangs befinden sich kleine Fenster um einen fokussierten Ausblick zu gewähren. Wir suchen den Kontrast, das Nebeneinander zweier Materialien: eines kalt, eines warm. Eines ist hart, das andere weicher. Überdies werden wir Recyclingmaterialien einsetzen, um Spuren der Geschichte in unsere Installation aufzunehmen. Wir hoffen, dass diese Bezüge zur Vergangenheit individuelle Erinnerungen heraufbeschwören werden. Der Installationsraum soll einen Diskurs darüber anstoßen, wie wir leben und welche Möbel wir benutzen – und nicht perfekte Produkte und Materialien zur Schau stellen. Wenn man „Das Haus” verlässt, sollte man die Bedeutung des Zuhauses in der heutigen Zeit – auch in China – hinterfragen.
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Rossana Hu und Lyndon Neri gestalten in diesem Jahr „Das Haus" auf der imm cologne. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
Die Idee für die Installation: Über einen hölzernen Pfad erhält der Besucher ungewöhnliche Ausblicke auf Wohnsituationen und Möbel, die in der Metallstruktur arrangiert werden. Foto © koelnmesse
Die Installation von „Das Haus” soll, so Neri und Hu, eine Abstrahierung des Sehens, der Reflektion und der Orientierung bewirken. Foto © koelnmesse
Ein hochgestecktes Ziel: Die Architekten aus Shanghai möchten die Besucher mit ihrer Installation „Memory Lane“ dazu anregen, über die Bedeutung des Zuhauses in der heutigen Zeit nachzudenken. Foto © koelnmesse
Der Aschenbecher „Shanshui“ von Neri und Hu erzählt die Geschichte eines Studenten, der bei der Suche nach dem weisen Lehrer auf dem Berg vor lauter Wolken nichts mehr deuten kann. Foto © Neri & Hu
Die Gassen des alten Shanghais waren Vorbild für den Pfad durch "Das Haus". Foto © Adeline Seidel, Stylepark
Shanghai heute: Von den alten Gassen ist nicht mehr viel zu sehen – Spuren der Geschichte lassen sich oftmals nur erahnen. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
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