Ein Vorhang ist ein Vorhang ist ein Vorhang ist ein Vorhang, hätte Gertrude Stein gesagt. Der neu gestaltete historische Metzler-Saal im Frankfurter Städel-Museum wirkt trotzdem nicht, als wären seine Wände von einem in Falten liegenden Vorhang verkleidet. Denn Thomas Demand hat gar keinen Vorhang aufgehängt. Vielmehr hat der Vorhang selbst sich verkleidet und ist zu seinem eigenen fotografischen Bilde geworden, das den schlichten Titel „Saal" trägt. Überrascht das? Nicht wirklich. Zumindest nicht, wenn man das Werk des 1964 in München geborenen Thomas Demand kennt, der sich nicht gern Fotograf nennen lässt, aber eben auch kein gewöhnlicher Bildhauer und schon gar kein Maler ist. Vorhänge sind seit einigen Jahren in Demands Arbeiten verstärkt in Erscheinung getreten. So etwa bei seiner großen Schau in der Berliner Neuen Nationalgalerie, wo sie auf ein Konzept von Mies van der Rohe anspielten, den transparenten Bau bei Bedarf zu gliedern und die Fenster zu verhängen. Waren reale Vorhänge also bereits Teil der Gesamtinszenierung seiner Fotografien, so ist der Vorhang im Metzler-Saal nun selbst Gegenstand einer künstlerischen Arbeit geworden. Magritte hätte das Kunststück sicher gefallen, das ganz sicher keine Pfeife ist, aber ebenso sicher auch kein Vorhang. Oder sollten wir eher mit Thomas Bernhard fragen: Ist es eine Tragödie oder ist es eine Komödie?
In einem Podiumsgespräch mit Martin Engler, dem Sammlungsleiter für Gegenwartskunst, hat Demand kurz vor Weihnachten sein Werk im Metzler-Saal vorgestellt. Oder eher: Er hat es umkreist und sich dabei auf überaus geschickte Weise aus der Affäre gezogen, was nichts anderes hieß, als sich als Künstler zu präsentieren, der sich in den Diskursen über den Status von Dingen und Bildern ebenso auskennt wie mit Fragen der Authentizität. Demand wäre nicht Demand, wäre er nicht mit allen Wassern der Selbststilisierung gewaschen, wobei das Raffinierte seiner an Referenzen und Wendungen reichen Plauderei darin lag, dass er – ähnlich wie in seinen Werken – den Gestus des stets gelehrten Künstlers beständig behauptete und zugleich zurückwies.
Was den Auftrag und dessen Besonderheit angeht, den Vortagssaal künstlerisch zu bespielen und ihn zugleich funktionsfähig zu halten, so hatte es Max Hollein, der Direktor des Städel, in seiner Einführung bereits auf den Punkt gebracht, als er sagte: „Im Grunde war die Aufgabe eine Zumutung." Also sprach auch Demand davon, weshalb es sich bei seiner einen Vorhang abbildenden Wandbespannung unbedingt um einen Hintergrund handeln müsse, der die Differenz zu – anderen, aber auch eigenen – Werken in der Sammlung des Museums wahren müsse. Ein Saal, so Demand, werde ja nicht durch ein Kunstwerk, sondern durch seine Benutzung gefüllt. Schließlich solle eine Veranstaltung, die hier stattfinde, nicht „zermürbt werden durch den Anspruch des Kunstwerks".
Und wieder steckte der Zuhörer fest, sah sich abermals in einem unauflösbaren Paradox gefangen. Der Anspruch, bei dem Dekorwerk handele es sich um ein Kunstwerk, nicht etwa um ein Werk der Innenausstattung, wurde permanent untermauert, während Demand zugleich keine Gelegenheit ausließ, eben diesen Anspruch zu dekonstruieren. Also sprach er von die Wände verkleidenden Vorhängen, die er in der Galleria dell' Accademia in Venedig gesehen habe, von altmeisterlichen Gemälden, die den Faltenwurf von Gewändern ebenso wie den von Samtvorhängen zeigen und als Zeichen der Meisterschaft gelten, von Herrschaftsgesten und der Macht der Verhüllung, schließlich von der Verheißung, es könne sich doch noch zeigen, was sich hinter dem Vorhang verborgen halte. Auch sprach er von der langen Tradition der Farbkodierung, davon, dass er für sein Vorhangbild ein – etwas verwaschen und artifiziell wirkendes – Purpur nur deshalb gewählt habe, weil er nicht mit der Ikonographie eines „göttlichen Rots" habe konkurrieren wollen und eine kräftige Farbe leicht ordinär gewirkt habe. Ein Hauch von Festlichkeit, das sei es, was sein Vorhangbild auszeichne, das aus der Fotografie eines aus Papier gefertigten und im Atelier fotografierten Vorhangs entstanden sei. Bis auch er selbst feststellte: „Sie sollten nicht denken, es sei ein Vorhang; es ist das Bild eines Vorhangs."
Erstaunlicherweise war am gesamten Abend weder von „angewandter Kunst" noch von „Interior Design" oder „Raumausstattung" die Rede. Dass es sich um Kunst und nichts als Kunst handele, wurde nie in Zweifel gezogen. Wo der Unterschied liegt zu, sagen wir, einem das Bild eines in Falten liegenden Überwurfs zeigenden Sofa der Designerinnen von „Front" liegt, spielte keine Rolle. Schließlich waren wir ja im Städel und nicht im Museum für angewandte Kunst. In einem Kunstmuseum gibt es eben nur Kunst, und was ein Künstler macht, ist eben auch dann Kunst, wenn es auf der Basis eines Auftrags entsteht und als Wandverkleidung eingesetzt wird.
Lobend hervorgehoben wurde gleichwohl, dass das Wand-Vorhang-Bild in Zusammenarbeit und unterstützt von dem dänischen Textilunternehmen Kvadrat hergestellt wurde, dass es sich gerade nicht um eine Tapete, sondern um einen auf Stoff ausgeführten Textildruck handle. „Ohne Kvadrat", so Demand, „wäre das nicht realisierbar gewesen." Die Aufnahme aus dem Atelier wurde denn auch im Transferdruckverfahren auf eine textile Wandbespannung aus Kunstfaser übertragen und der bedruckte Stoff auf hochkantige Paneele gespannt, die mittels Magneten an den Wandflächen fixiert sind.
So reizvoll das künstlerische Spiel mit Paradoxien und Tautologien auch ist, am Ende bleibt nur festzustellen: Ein Künstler ist ein Künstler ist ein Künstler ist ein Künstler.
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