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Gut aufgelegt: Claesson Koivisto Rune haben bei ihrem neuen Sofa “Gate” für Offecct Stecker für Smartphones und Tablet-PCs integriert. Foto © Martina Metzner, Stylepark
Der Trick mit dem Lebensgefühl
von Martina Metzner
10.02.2015

Pünktlich zur Stockholm Design Week hatte es geschneit, wobei der Schnee in der trockenen Kälte besonders leicht und freundlich, ja fast etwas wärmend wirkt. Das rötlich-warme Licht der Straßenbeleuchtung tut ein Übriges, und so eilt man vor winterlicher Kulisse beschwingt von einem Showroom zum anderen, von einem Designbüro zum nächsten.

Zu bestaunen gibt es einiges: Etwa welche Trümpfe Monica Förster als neue Art Directorin der kroatischen Marke Zanat aus der Kiste zieht und wie sie aus dem Mineralwerkstoff Dekton von Cosentino Windlichter formt. Oder wie Claesson Koivosto Rune in ihrem Büro Holzbretter mit schrägen Kanten und weitere Haushaltshelferchen drapieren und wie die drei Herren, die sich zu Beginn ihrer Karriere einmal geschworen hatten, nie eine eigene Marke zu gründen, bekennen, dies sei ihre erste eigene Accessoires-Linie. As time goes by. Dass Accessoires ein gutes Nebengeschäft für Designer sein können – die Mode und ihre Parfums und Taschen machen es vor –, hat auch Alexander Lervik für sich entdeckt: Zur Premiere seiner Linie Tingest hat er Designerfreunde wie Färg & Blanche, Broberg & Ridderstråle und Modeschöpferin Astrid Olsson gebeten, sympathische Kleinigkeiten wie Kerzenständer, Sofadecken, Halsketten und Garderoben zu entwerfen.

Überhaupt kommt es einem beim Besuch der Stockholm Design Week immer wieder so vor, als sei man bei Freunden eingeladen. Geselligkeit steht im Vordergrund. In den Messehallen selbst fühlt man sich aufgrund der unkomplizierten Struktur ebenso schnell heimisch. Alles ist hell, offen, und einen Hallenplan braucht man auch nicht. Eröffnet der Norden also tatsächlich eine andere Perspektive auf die Welt? Die Stockholm Furniture Fair bietet da eine gute Gelegenheit, nachzuschauen und herauszufinden, was das neue nordische Design im Kern ausmacht? Welche Tendenzen gibt es? Und wie antwortet es auf die internationale Nachfrage?

Bitte Ruhe!

So wie der Schnee außerhalb der Messehallen für eine gedämpfte Geräuschkulisse sorgt, so wird auch in den Hallen A und B alles dafür getan, Lärm zu reduzieren. Schallabsorption ist der auffälligste gemeinsame Nenner der diesjährigen Stockholmer Möbelmesse. Mit viel Fantasie gestalten Hersteller wie Offecct, Kinnarps, Blå Station oder Abstracta Akustikpaneele für Decke, Wand und Tisch, die keineswegs nur im Büro, sondern nunmehr auch im Schlafzimmer ihren Platz finden. Dass man solche Platten auch modisch gestalten kann, zeigt etwa der Tisch „Avant“ von Materia, dessen großzügige Einschalung so abgesteppt ist, dass man unweigerlich an ein französisches Luxusbett denken muss – und die umstehenden Frauen auch gleich anfangen, das gute Stück zu streicheln.

Dass, wo es um etwas Stille geht, auch die „Highback“-Sofas weiter forciert werden, liegt auf der Hand. Also entschließt sich nicht nur Lammhults aus dem Sofa „Portus“ ein Modell mit extra hoher Rücklehne zu machen. Noch weiter geht Skandiform, wo mit „Petals“ eine Stuhlvariante der „Highbacks“ vorgestellt und als schönste „Blüte“ unter all den Stühlen der Messe angepriesen wird. Die britische Designerin Ilse Crawford – sie ist in diesem Jahr Guest of Honour der Messe – fragt passend dazu in ihrer Ausstellung: „Do we need another chair“? Wenn wir einen neuen Stuhl brauchen, dann vielleicht einen, auf dem man nicht nur sitzen kann, sondern der obendrein auch noch Schall absorbiert? Mittlerweile ist er schon ein Erfolgsmodell, der „Akustik Chair“ mit seinem Geräusche schluckenden Doppelboden des schwedischen Designers Åke Axelsson für Gärsnäs. So gesehen bieten die Schweden dem Lärm schon länger die Stirn.
Dass man Lärm auch ganz anders reduzieren kann, entdeckt man an einem kleinen Stand am Rande: Marja-Iiisa Okko zeigt hier unter ihrem Label Okko dicke Wollfäden, die sie an der Wand aneinanderreiht. Eine willkommene Abwechslung zu all den dämmenden Platten, die noch einmal betont, wie sehr Textilien zur verbesserten Raumakustik beitragen können.

Nicht ohne mein Smartphone

Andernorts setzt sich Richard Hutten auf seinen neuen „Satellite“-Stuhl für Offect und hebt seine Beine in die Höhe, um den kleinen Tisch um die Sitzfläche kreisen zu lassen. Dieses kleine Tischchen ist als Ablage für Smartphones und Tablet-PCs gedacht – der heutzutage wohl unentbehrlichen, digitalen Erweiterung des Selbst. „Shima“ vom Designtrio Böttcher-Henssler-Kayser für Johanson Design geht in die gleiche Richtung: Es sind Loungemöbel, auf denen man sich entspannt für eine kurze Pause niederlassen und schnell mal die Emails checken kann. Das funktioniert im Büro nicht anders als Zuhause, meint Designer Moritz Böttcher. Sicher ist dies keine skandinavische Erfindung, doch liegt es nah, solche hybriden Sitzgelegenheiten zu zeigen, versteht man es in den nordischen Ländern doch allem Anschein nach, das Ineinanderfließen von Arbeit und Freizeit, Pflicht und Vergnügen, gut zu meistern.

Nordic und New Nordic

Wer nach Stockholm kommt, der will auch „New Nordic“ sehen – das Design, für das unter anderem dänische Anbieter wie Hay, Muuto und Normann Copenhagen stehen. Was genau macht dieses Design aus? Was ist mit den Schweden? Gehören auch ihre Möbel zu „New Nordic“? Und was eigentlich ist neu an „New Nordic“?

In Halle B drängen sich die Leute wie Ameisen auf den riesigen Ständen der „Neuen Nordischen“. Ihr Rezept ist ebenso schlicht wie erfolgreich: Ein ganzheitliches, leicht jugendliches Wohnkonzept aus unaufgeregten Modellen in hellen Farben vermittelt eine angenehme Frische. Produziert wird weltweit in Lohnfertigung. Nicht zu vergessen das besonders wirksame Marketing dieser Firmen – keine andere Goodie-Bag war solch ein „Must-have“ auf der Messe wie die gesprenkelte Stoff-Tasche von Hay.

Hinzu kommt: Die „New Nordics“ werden langsam erwachsen. Dazu passt: Hay stellt auch in Stockholm sein auf der Orgatec präsentiertes modulares Bürosystem „New Order“ vor, das Stefan Diez gestaltet hat. Rolf Hay sieht darin eine Nische, die noch nicht besetzt ist: ein attraktives Bürosystem für kleine Firmen und Agenturen, die flexibel auf Arbeitsweisen und Personalfluktuation reagieren müssen. Muuto zeigt einen schlichten Tisch als Ergänzung zu seinen Stühlen und allein der lange entwickelte und zu 100 Prozent aus recyceltem Material bestehende „Fiber Chair“ von Iskos Berlin hat etwas von „New“.

Als schwedische Antwort auf Hay und Muuto betritt nun Hem die Bühne: Vor rund einem halben Jahr gegründet und mit Sitz in Stockholm und Berlin, will das Unternehmen ausnahmslos über eigene Vertriebswege – vorwiegend per Internet und über eigene Stores – wachsen. Der erste Laden soll demnächst in Berlin eröffnet werden. Hinter Hem steckt eine geballte Portion Design-Kompetenz: One Nordic-Mitgründer Petrus Palmér ist Kreativdirektor, Investor unter anderen der britische Onlineversender Fab, der die finnische Möbelmarke One Nordic Mitte vergangenen Jahres übernommen hatte. Das Portfolio enthält One Nordic-Produkte und ist ähnlich unaufgeregt wie bei der Konkurrenz – aber gefällig und anders genug, um einer mit Ikea groß gewordenen Kundschaft eine Antwort bieten zu können. Möglicherweise wird nun die Übernahme von 200 Objekten vom italienischen Start-up Discipline, die kurz nach der Messe bekannt wurde, dem Programm mehr Tiefe verleihen.

Traditionell, modern, solide

Auf die alteingesessenen schwedischen Marken wie Bruno Mathsson, Gärsnäs, Källemo, Kinnarps, Johanson Design, Lammhults, Offecct, Skandiform oder Swedese trifft das Etikett „New Nordic“ kaum zu. Man könnte sie eher unter „Good-traditional-modern Nordic“ oder unter traditionell, modern und solide zusammenfassen. Eine Gemeinsamkeit ist die achtsame handwerkliche Machart der Möbel, die meist in unternehmenseigenen Produktionsanlagen in der südschwedischen Region Småland stattfindet. Das aktuelle schwedische Design ist nach wie vor pragmatisch, solide, aber auch fantasiereich – versprüht allerdings im Gegensatz zu den „New Nordics“ kein „neues Lebensgefühl“ – wenn es sich denn überhaupt um ein solches handelt und nicht nur um einen geschickten Marketing-Trick. Die Zutaten sind und bleiben: Holz in solider Verarbeitung, optimalerweise in Steckverbindungen; attraktiv gestaltete Textilien vorwiegend aus natürlichen Materialien sowie weiche, bunte Polstermöbel, denen oft eine humorvolle Note und eine gewisse kindliche Unbeschwertheit innewohnt. Von der Strenge und Eleganz der Dänen oder Finnen sind schwedische Möbel zumeist weit entfernt.

Dass man in Schweden den Dialog mit der eigenen Tradition sucht, offenbart ein Besuch im zentral gelegenen, nach Plänen des Architekten Peter Celsing erbauten und 1974 eingeweihten „Kulturhuset“: Dort wurde just zur Stockholm Design Week eine Dependance des Nationalmuseums eröffnet, die sich ausschließlich dem Design widmet. Für „Selectivities“ sind heimische Gestalter wie Note Design, Anna Kraitz oder Anton Alvarez in die Archive des Museums gegangen und haben sich ihre Lieblingsstücke herausgesucht, die nun neben ihren eigenen Entwürfen präsentiert werden. Einfach so. „Selectivities“, so erklärt Alexis Holmqvist von Note Design, „ist ein guter Versuch, Schweden einen Raum für seine Designgeschichte zu geben.“ Wenn auch vorerst nur temporär und als Miteinander von „Old“ und „New Nordic“.

Akustik-Platten, mal modisch: „Avant“ von Materia. Foto © Martina Metzner, Stylepark
Schallabsorption, anders: mit Wollfäden von Okko. Foto © Martina Metzner, Stylepark
Gärsnäs-Chef Dag Klockby zeigt den „Akustik Chair” von Åke Axelsson. Foto © Stylepark
Zur Ablage des digitalen Selbst: „Satellite” von Richard Hutten für Offecct. Foto © Stylepark
Mails checken: „Shima“ vom Designtrio Böttcher-Henssler-Kayser für Johanson Design. Foto © Martina Metzner, Stylepark
Muuto wird erwachsen: „Base Table” von Mika Tolvanen. Foto © Martina Metzner, Stylepark
Weich und bunt: Monica Förster auf ihrem „Retreat” für Fogia. Foto © Martina Metzner, Stylepark
Cool: Swedeses “Lamino” gibt es dank der Zusammenarbeit mit Nudie nun auch in einer Jeans-Edition. Foto © Martina Metzner, Stylepark
Hem ist die schwedische Antwort auf die dänischen “New Nordics”. Foto © Stylepark
Mit Humor: „Tornado” von Alexander Lervik für Johanson Design. Foto © Stylepark
Im Dialog mit der Designgeschichte: Designerin Anna Kraitz mit ihrem „Mama Look“ für Källemo. Foto © Martina Metzner, Stylepark