Gleich vorneweg: In ihrer Gesamtheit illustrieren die Inhalte der neu konzipierten Schau „John Pawson" in der Münchener Pinakothek der Moderne – Architekturmodelle, Designentwürfe und Fotografien – die ganz eigene, besondere Sichtweise des „Masters of Minimalism". Muss man diesen kontemplativen Ansatz erst erklären? Der weltweiten Fangemeinde sicher nicht. Allen anderen sei zugerufen: Bis heute wird Minimalismus – oberflächlich betrachtet – gerne missverstanden und mit Leere gleichgesetzt. Pawsons Form der Reduktion handelt jedoch nicht von der Abwesenheit der Dinge. Stattdessen thematisiert sein Werk den Raum an sich, in einer Purheit, Klarheit und Konsequenz, die verblüfft und stets mit Harmonie einhergeht. Im Zentrum stehen hier Licht und Schatten, Fläche und Proportion, Material und Form. Das sollte man wissen, wenn man sich im dritten der vier Ausstellungsräume den Fotos widmet, die dort auf eine Leinwand projiziert werden. Diese Eindrücke zeigen neue, detailreiche Facetten der Gedankenwelt des Briten, der mit seinem 25-köpfigen, Londoner Büro Projekte rund um die Welt realisiert. Pawson selbst ist selten ohne seine Digi-Cam anzutreffen – auch am Tag der Eröffnung in München, hat er sie dabei. Mit ihr fokussiert er Dinge am Wegrand, architektonische Details, das Zusammenspiel von Materialien, Perspektiven aus dem Flugzeugfenster oder Regenwasser auf einer Straße. Doch nie ist es nur Regenwasser auf einer Straße: Die Aufnahme dokumentiert die verzerrte, abstrahierte Spiegelung eines Baumes, gleichzeitig erhebt sie die konzentrischen Kreise aufschlagender Tropfen zum Motiv. Sich auflösende Formen, verwitternde Oberflächen und eindringliche Licht-und-Schatten-Spiele bilden überhaupt einen roten Faden und ein stets wiederkehrendes Thema. Hat man alles schon gesehen – könnte man meinen. Doch ihre eigentümliche Spannung beziehen die Abbildungen aus den perfekt gewählten Bildausschnitten, die dem Proportionsgefühl des Meisters geschuldet sind. Paarweise angeordnet, stehen die übrigens gänzlich unbearbeiteten Motive in einem lebendigen Dialog zueinander. So thematisieren sie Kontraste und Analogien, Strukturen und Texturen, Details und Nuancen, Natur und Geometrie. Originell und poetisch, subtil und ästhetisch erzählen die mit einem persönlichen Kommentar versehenen Motive ihre Geschichten. Ihre Bildsprache ist leise. Manchmal sind es Bilder für den zweiten Blick, die erst bei näherem Hinsehen beginnen, Wirkung zu entfalten. Um dann umso nachhaltiger auf dahinter liegende Ebenen zu verweisen. Bleibt die Frage: Was wollen Pawsons Bilder sein – Kunst? Die beste Art, die Momentaufnahmen einzuordnen, ist, sie am eigenen Anspruch zu messen. „Ich fotografiere für mich und für die Mitarbeiter meines Büros, um Dinge festzuhalten, um sie aufzuzeichnen", sagt Pawson. „Es sind Schnappschüsse. Später dienen die Aufnahmen für meine Arbeit, zur Inspiration. Und manchmal entdecke ich erst im Nachhinein, was sich auf den Bildern alles abspielt und welch eigene Lesart sie oft entwickeln". Das ist britisches Understatement. Die Fotos sind weit mehr als spontane Schnappschüsse oder ein Ausgleich zu den oft langwierigen Planungsphasen der Bauprojekte, wie der Architekt im Vorwort des begleitenden Buches anmerkt. Alle 136 Bildpaare, die der parallel erschienene Bildband „A Visual Inventory" umfasst, sind sozusagen unterwegs entstanden, im Vorbeigehen, im Blick zur Seite. Nichts ist inszeniert. Doch dieser scheinbar zufällige Blick zeichnet die Motive aus. Er ist eine Schule des Sehens. „Es geht nicht um Perfektion. Nicht darum, was ich sehe, sondern wie ich sehe", sagt Pawson später im Interview. Sein Credo: „Beauty is everywhere!". Dem einen oder anderen Besucher wird sich die Schönheit rauer Betonruinen oder überwucherter Gartenmauern nicht gleich erschließen. Doch wer sich auf Pawsons Beobachtungsgabe und den visuellen Subtext einlässt, gewinnt Einblick in die detailreiche Ästhetik des Alltags, in das Besondere im vermeintlich Banalen. Und außerdem in die persönliche Welt eines der größten Minimalisten unserer Zeit. John Pawson Zum Weiterlesen: A Visual Inventory. John Pawson. Katalog John Pawson. Plain Space
Von 1. März bis 20. Mai 2012
Pinakothek der Moderne, München
www.architekturmuseum.de
www.pinakothek.de
Von John Pawson
Hardcover, 320 Seiten, Englisch
Phaidon, Berlin, 2012
39,95 Euro
www.phaidon.com
Herausgegeben von Winfried Nerdinger
Hardcover, 128 Seiten, Deutsch
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2012
29,80 Euro
www.buchhandlung-walther-koenig.de
Von Alison Morris
Hardcover, 240 Seiten, Englisch
Phaidon Press, London, 2010
75 Euro
www.phaidon.com
Der minimalistische Blick
von Franziska Horn | 18.03.2012
Pawson Office, London, England, Mai 2010, Foto © John Pawson
Pawson Office, London, England, Mai 2010, Foto © John Pawson
Santa Barbara, Kalifornien, Vereinigte Staaten, Oktober 2007, Foto © John Pawson
Near Prague, Tschechische Republik, März 2006, Foto © John Pawson
New York, Vereinigte Staaten, August 2004, Foto © John Pawson
Universal Studios, Culver City, Kalifornien, Vereinigte Staaten, August 2003, Foto © John Pawson
Castle of Good Hope, Kapstadt, Südafrika, Dezember 2004, Foto © John Pawson
Hoover Dam, Arizona/Nevada Grenze, Vereinigte Staaten, Februar 2005, Foto © John Pawson
Arizona, Vereinigte Staaten, Februar 2005, Foto © John Pawson
Buchcover, A Visual Inventory, Foto © John Pawson