top
Der Farbrausch ging den „Spiegel“-Leuten auf den Geist
von Thomas Edelmann | 15.11.2011

„Troglodytenschwemme", „Kotlettennische" – wie anders als mit Ironie kann der „Spiegel" seinem eigenen Bürogebäude samt innovativer Inneneinrichtung begegnen? Als das Hamburger Nachrichtenmagazin das historisch gesehen dritte Domizil bezog, mobilisierten die Redakteure ihren „Erfindungsgeist", um die „Dekorations-Extravaganzen" aus „Geometrie und Farbe, aus Muscheln, Glas und Lampenschimmer" zu charakterisieren, nachzulesen in der „Hausmittelung" des „Spiegel" vom 3. Februar 1969. Am südlichen Rand der Hamburger Altstadt entstand damals ein neuer Baukomplex aus dem „Spiegel"- und dem benachbartem IBM-Hochhaus. Geplant und realisiert wurden die Bauten von Werner Kallmorgen, der in jener Zeit das Stadtbild Hamburgs maßgeblich prägte. Er löste sich, wie es dem Zeitgeist entsprach, von der Blockrandbebauung und platzierte am Rande des Terrains zwei Solitäre. Dazu wurde zunächst ein historisch äußerst bedeutsamer, gut erhaltener Bau in der Brandstwiete beseitigt: Der Dovenhof, Hamburgs erstes „Comptoirhaus" zugleich der erste reine Bürobau des Kontinents, um 1885 entworfen von Martin Haller – Architekt des Hamburger Rathauses – im Stil der Neorenaissance. Der Bau gruppierte viele Einzelbüros, um repräsentative mehrgeschossige Atrien und verfügte über etliche technische Neuerungen, von der ersten Beleuchtung mit elektrischen Glühlampen bis zum Paternoster.

Das Alte muss weg...

Ohne Widerspruch der Denkmalpflege wurde der Dovenhof 1967 abgerissen. „An der Ost-West-Straße brechen Wände, bersten Balken, stürzen eiserne Träger in die Tiefe", berichtete das Hamburger Abendblatt. Die äußere Form des Nachfolgebaus war eher unscheinbar: Ein sichtbares Stahlbetonskelett mit vorgelagerten Fluchtbalkonen. Die Struktur der Räume beschrieb Erich Kuby in seinem Buch „Der Spiegel im Spiegel" so: „Dieser Wabenbau ist durch bewegliche, am Stahlgerüst angeschraubte Zwischenwände unterteilt. Die einzelnen Zellen sind so klein, dass sie nicht noch kleiner montiert werden könnten. (...) Die Spiegel-Arbeiter sind einzellige Wesen, je ein Mann, eine Frau in einer Zelle, und so ist die Innenstruktur des Turmes nicht mehr einem personalen Wachstum der Redaktion anzupassen."

Auf Vermittlung der Zeitschrift „Schöner Wohnen" schuf der dänische Architekt und Designer Verner Panton in Gemeinschaftsbereichen, Fluren, Konferenzräumen, in Wartzonen, der Kantine und Snackbar sowie dem im Keller gelegenen Schwimmbad ein Feuerwerk aus Farben und Formen. Pantons Auftraggeber war der damalige „Spiegel"-Geschäftsführer Hans Detlev Becker. Der Gestalter wurde darauf verdonnert, dass wir „in keiner Weise Experiment machen wollen (...), sondern dass wir vielmehr in der Gestaltung des Hauses zur Seriosität und Ernsthaftigkeit verpflichtet sind", wie es in einem Besprechungsprotokoll heißt, das Sabine Epple in ihrem Beitrag über Panton als Raumgestalter im Katalog des Vitra Design Museums 2000 ausführlich zitiert. Zehn der zwölf Stockwerke umfasste die ursprüngliche Ausstattung, für jedes gab es eine eigene Farbe, nur die Chefetagen blieben ausgespart. „Die Fahrstühle durchqueren zwischen Keller und Dach einen verlagseignen, wetterfesten Regenbogen", hieß es in der besagten Hausmitteilung. Für die Redaktionsetagen sah Panton eher kühle, für die Verwaltung warme Farbtöne vor.

...zu Neues aber auch!

Ein zentrales Element der Raumgestaltung waren die so genannten „Spiegel-Armaturen", plastische Paneel-Module, großenteils mit indirekter Beleuchtung ausgestattet, die etwa in der Lobby an Wand und Decke montiert waren, aber auch an der Begrenzungsmauer des Eingangshofs. „Der Farbrausch ging den Spiegel-Leuten auf den Geist", schrieb Redakteur Stephan Burgdorff 1995 im Editorial des „Spiegel"-Special „Das Jahrhundert des Design". Wenn heute von der „Spiegel"-Kantine als Designikone oder als „Meisterwerk der Designgeschichte" die Rede ist, gerät leicht in Vergessenheit, dass sie der letzte Rest eines umfassenden Gestaltungskonzepts war, in das sich die „Spiegel"-Redakteure und Mitarbeiter ungern fügten. „In den eher zum Dezenten neigenden achtziger Jahren", hieß es 1998 im „Spiegel"-Nachruf auf Panton, „fiel jedoch ein Großteil seines innenarchitektonischen Werkes Presslufthämmern zum Opfer." Hellmuth Karasek, „Spiegel"-Redakteur von 1974 bis 1996, sprach kürzlich von einer psychedelischen Inneneinrichtung, die in einem Spannungsverhältnis zur ernsten Aufgabe der Redakteure stand. „Ein Spannungsverhältnis, das wir durch Alkohol und Animositäten abzumildern versuchten."

Ganz neu: Das Alte lebt irgendwie weiter

Während vergangene Jahrzehnte zu Abrissbirne und Presslufthammer griffen, hat sich das Bewusstsein seither verändert. Nicht alles, was überholt ist, muss weg. Die Folgen sind dennoch eigenartig. Die Bauten von Werner Kallmorgen liegen nun verlassen da. Ihre Nachnutzung ist ungewiss. Für dringend benötigte Wohnungen – ein Umbau wäre denkbar – ist die Gegend zu verkehrsreich und laut. Eben noch konnten die Mitarbeiter Stehleuchten des Modells „Jil" mit blauem Kopf von Perry A. King, Santiago Miranda, G. Arnoldi und Tischleuchten des Modells „Daphine" von Tomasso Cimini aus den siebziger Jahren aus ihren alten Büros erwerben. Eine Initiative auf Facebook forderte den Erhalt der denkmalgeschützten „Spiegel-Kantine" an Ort und Stelle. Die zuletzt glücklose Kultursenatorin Karin von Welck des mittlerweile abgelösten CDU-Grünen-Senats hatte durchgesetzt, dass das Hamburger Kulturgut nicht auf den internationalen Design- und Auktionsmarkt kommt, sondern der Hansestadt erhalten bleibt. Ein Teil soll nun bis Herbst 2012 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe neu entstehen. Erstmals werden Teile von Pantons Raumgestaltung dann öffentlich zugänglich. Doch die Verbindung einer spezifischen Architektur und eines bestimmten Raumes ist unwiederbringlich zerstört. Der Hamburger Kunsthistoriker Hermann Hipp sprach – in anderem Zusammenhang – von einem platonischen Begriff des Denkmals. Dieser interessiere sich bestenfalls für Formen und Farben, nicht aber für originale Texturen, Oberflächen und Kontexte. So bleiben lediglich Versatzstücke erhalten, werden neu arrangiert. Selbst der einstige „Freiraum" des Museums, in dem sich bislang Gestalter unterschiedlichster Herkunft in Kabinett-Ausstellungen selbst darstellen konnten, dürfte nur Platz für einen kleinen, dann funktionslosen Teil von Kantine und Snackbar bieten. Einige „Spiegel-Armaturen" wurden als aufragendes Wandelement der Cafeteria im fünften Stock des „Spiegel"-Neubaus im „Fenster zur Stadt" eingebaut und um neue „Amoebe"-Sessel von Panton ergänzt. Was mit den restlichen Elementen geschieht, ob sie demnächst auf Designausstellungen weltweit unterwegs sein werden, ist noch unklar.

Mut für Zeitgenössisches?

Verglichen mit dem Vorgängerbau ist der am 7. November feierlich eingeweihte Neubau ein Palast. Sicher ungewöhnlich angesichts des Wandels, der Medien – ganz gleich ob Print, Online oder Fernsehen – vor unabsehbare Herausforderungen stellt. War das alte „Spiegel"-Haus ein vergleichsweise konventioneller Verwaltungsbau, strahlt das neue Erhabenheit aus, als wäre es ein Bankhaus oder eine Versicherungsgesellschaft. Der Ausbruch aus dem alten Wabenbau dürfte für dessen einstigen Nutzer angenehm sein. Aber ist die neue Architektur- und Formensprache tatsächlich passend für ein Medienunternehmen?

Beim Architekturwettbewerb 2007 gewann die dänische, international tätige Architekturfirma Henning Larsen, die den Bau nun realisierte. Die Website des Büros listet 128 Mitarbeiter auf, ein Großteil Architekten. Gründer Larsen ist Zeitgenosse Pantons, wie dieser arbeitete er zu Beginn der fünfziger Jahre bei Arne Jacobsen, in den achtziger Jahren entwarf und realisierte er das Außenministerium von Saudi-Arabien in Riad sowie die Silberlaube der Freien Universität Berlin. Seine Qualität ist nicht die spezifische Handschrift, eher die Versöhnung aktuellster Bautendenzen mit bewährten Tugenden der Architekturgeschichte. In den achtziger Jahren demonstrierte Larsen wie man zugleich postmodern, seriös und gradlinig sein kann. Zu seinem Werk zählen die Karlsberg Glyptothek und die Königliche Oper in Kopenhagen. Derzeit plant er die neue Hauptverwaltung von Siemens in München, die bis 2015 entsteht. Zeichenhaftes Bauen an markanten Orten überall auf der Welt ist das Markenzeichen des Büros.

Vorbei sind die Zeiten der „Mad Men von der Brandstwiete", wie sie Autorin Silke Burmester in der „Frankfurter Rundschau" beschwor. Die Atmosphäre beim „Spiegel" zeichnete sie nach als ein Gemisch aus fortgesetztem Alkoholkonsum und der ungebrochenen Vorstellung, die „Republik durch Sätze zu gestalten". Die „Spiegel-Kantine" spielte darin ihre besondere Rolle. Für das neue „Spiegel"-Restaurant zeichnet die Stuttgarter Ippolito Fleitz Group verantwortlich, die den Zeitgeist auf hohem, kühlem Niveau bedient. Neue Wienerwald-Restaurants entwerfen sie, ebenso den üppig-modernistischen Palace of International Forums in Usbekistan. Wie seit den Anfängen wird auch im neuen „Spiegel"-Restaurant am Platz bedient. Zumindest auf Fotos wirkt die neue, noch unbenutzte Kantine mit ihrem weißen Terrazzo-Boden und den 4.300 Aluminiumtellern der Akustikdecke wie eine Aufforderung, doch bitte zügig an den eigenen Schreibtisch zurückzukehren. Mut, Gegenwart, Risiko – das sähe womöglich anders aus.

Neuerscheinungen zum Thema:
Das Spiegel-Haus in der Hafencity Hamburg
Herausgegeben von Susanne Beyer und Martin Doerry
Hardcover, 144 Seiten, deutsch
Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2011
24,99 Euro

www.randomhouse.de

www.spiegelkantine.de

Historischer Vorgängerbau: Der gut erhaltene und bauhistorisch bedeutende Dovenhof an der Brandstwiete von Martin Haller 1885/86 (hier eine Postkarte von 1907) wich dem Spiegel-Hochhaus 1967.
Das Spiegel-Verlagshaus an der Brandstwiete vor dem Umzug in die Hamburger HafenCity
Das neue Spiegel-Haus in der Hamburger HafenCity, Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Empfangsbereich, Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Die neue Kantine von den Stuttgarter Designern Peter Ippolito und Gunter Fleitz, Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Snackbar, Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Abbau der Spiegel-Kantine von Verner Panton, Foto: Dennis Conrad, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2011
Spiegel-Kantine, Foto: Dennis Conrad, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2011
Abbau der Spiegel-Kantine, Foto: Dennis Conrad, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2011
Spiegel-Kantine von Verner Panton, Fotos: Michael Bernhardi, Spiegel Verlag, 2011
Spiegel-Kantine von Verner Panton, Fotos: Michael Bernhardi, Spiegel Verlag, 2011
Das neue Spiegel-Haus auf der Ericusspitze in der Hamburger HafenCity, Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Atrium des neuen Spiegel-Hauses, entworfen von Henning Larsen, Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Das neue Spiegel-Haus, Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Das neue Spiegel-Haus, Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Die neue Kantine von Ippolito Fleitz Group, Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Snackbar, Foto: Noshe/DER SPIEGEL
Abbau der alten Spiegel-Kantine, Foto: Dennis Conrad, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2011
Abbau der Spiegel-Kantine, Foto: Dennis Conrad, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2011
Spiegel-Kantine von Verner Panton, Fotos: Michael Bernhardi, Spiegel Verlag, 2011
Spiegel-Kantine von Verner Panton, Fotos: Michael Bernhardi, Spiegel Verlag, 2011