Objekte im embryonischen Entwicklungsstadium wie hier Korken, die sich noch am Block befinden, zeigen Barber Osgerby in „In the Making“ im London Design Museum.
Foto © Mirren Rosie/ Design Museum London Der Charme des Unfertigen
|
von Antje Southern
14.02.2014 Das vielfach ausgezeichnete britische Designduo Barber Osgerby richtet sein Augenmerk gerne auf den Entstehungsprozess des Objekts an sich. Die beiden Designer haben nun ihre technische Wissbegierde zum Anlass genommen und präsentieren eine äußerst anregende Auswahl von Objekten, die sich noch im embryonischen Entwicklungsstadium ihrer Herstellung befinden. Einer der simpelsten Gegenstände in der Ausstellung ist ein Korken. Der unfertige Korken steckt noch in der zylindrisch ausgestanzten Öffnung des Korkeichenblocks. In der Verbindung der Derbheit des natürlichen Materials und der maschinellen Präzisionsbearbeitung entwickelt das Korkobjekt eine ganz eigene und unerwartete Schönheit. Es ist ein ehrgeiziges Vorhaben, eine Ausstellung zu konzipieren, die lediglich der Ästhetik unfertiger Objekte gewidmet ist, dem Design Museum London ist dies jedoch auf wunderbare Art und Weise gelungen. Die in samtiges Tiefschwarz gehüllte Ausstellung befindet sich in einem kleinen Raum im Obergeschoss des Museums und erlaubt eine geradezu intime Beschäftigung mit der Gedankenwelt, wie sie der kreativen Praxis von Barber Osgerby zugrunde liegt. Die Fabrik als riesige Bäckerei Der Grundsatz von „Form folgt Funktion” wird hier für kurze Zeit auf den Kopf gestellt und die Aufmerksamkeit auf die abstrakte Schönheit des Objekts gerichtet, bevor der abschließende Produktionsschritt seine endgültige Form und Funktion definiert. Dies erklärt auch, warum die Erläuterungen zu den Exponaten nicht etwa technischer Natur sind; vielmehr dokumentieren sie anhand der persönlichen Bemerkungen der Designer deren visuelles Vergnügen angesichts der Herstellungsprozesse. So vergleicht Barber Osgerby die Atmosphäre in der Fabrik, in der der in Spritzgusstechnik gefertigte Polyurethankern des „Charles Sofa” von B&B Italia produziert wird, mit einer „riesigen Bäckerei”. Hier wurde der Produktionsprozess auf halber Strecke bewusst angehalten, um die „bestechende türkise Farbe” und die Aushärtung des Schaumkerns in den riesigen Formen zeigen zu können. Das Ziel, die „Herstellung dieser Produkte zu entmystifizieren”, wird durch die unterbrochene Bleistiftproduktion sehr anschaulich vorgeführt. Zu sehen ist hier eine Reihe noch zusammenhängender Zedernholzlatten nach dem ersten industriellen Zuschnitt, bevor diese zu erkennbaren einzelnen Bleistiften zerschnitten werden. Die minimalistische Ästhetik der Zedernholzlatten zeigt sehr schön den effizienten und erfindungsreichen Herstellungsprozess. Die Tatsache, dass die beiden Designer uns den formgebenden Prozess der Fertigung eines Cricketschlägers vor Augen führen, spricht für ihre Wertschätzung von Holz und Handwerk. Auf der Rückseite ist hier bereits deutlich die für den Weidenholzschläger typische Abkantung zu sehen. Die Kombination aus Schneiderhandwerk und Technologie offenbart sich im gestanzten Schnittmuster des Obermaterials eines Fußballschuhs. Die abstrakte Form verleiht dem Objekt eine gewisse Vieldeutigkeit und lässt an entsprechende Kunstwerke denken. Ein Bogen aus britischen 50-Pfund Banknoten, die in einem komplexen Bogenoffsetverfahren gedruckt, bevor sie zugeschnitten werden, besitzt die Qualität eines Multiples von Andy Warhol. Die in einem Stück gegossene Hans Grohe Armatur hat mit Speiser und Anguss, die das geschmolzene Messing in die Gussform strömen lassen, die Ästhetik einer Metallskulptur. Das Waldhorn wirkt in der Phase, bevor es das erste Mal gebogen wird, ganz dadaesk und wurde aufgrund seiner „gefälligen etwas übertriebenen Proportionen” ausgewählt. Das Rätselraten um die Identität der Objekte, bevor sie ihre erkennbare Form annehmen, ist interessant und unterhaltsam zugleich, und glücklicherweise nicht durch die naheliegende Versuchung verdorben worden, auch das fertige Objekt zu zeigen. So ist das leuchtende Gelb der einzige Hinweis darauf, dass es sich bei dem fluoreszierenden Gewebe mit den gestanzten Rauten um jenen Filz handelt, mit dem Tennisbälle umhüllt werden. Die ursprüngliche Schönheit eines Materials Barber Osgerbys Idee, die CNC-Bearbeitung des MacBook Pro anzuhalten, belohnt uns mit dem Anblick des Rohzustands des Aluminiumblocks und den charakteristischen abgerundeten Ecken von Apple. Wir bekommen die markanten Eigenschaften des Materials ohne die Überfrachtung mit mechanischen Daten zu sehen. Die Flexibilität und Formbarkeit einer Aluminiumdose wird uns veranschaulicht, wenn wir eine gestanzte und zugeschnittene Getränkedose betrachten, die zu einer hauchdünnen, scheinbar nahtlosen Röhre geformt ist, während sie am Anfang doch nur eine nichtssagende flache Scheibe war. Das geringe Gewicht und die Stärke des Materials kommen insbesondere bei der von Barber Osgerby entworfenen Olympischen Fackel für die Olympischen Spiele 2012 in London zum Tragen. Wir sehen sie in ihrem ursprünglichsten, noch unausgereiften Zustand als flaches, lasergeschnittenes und perforiertes Aluminiumblech, das bereits den geschwungenen Umriss zeigt, bevor sie in ihre endgültige konische Form gebogen wird. Ein einzelnes Holzelement in Form der unter Dampf gebogenen Rückenlehne und des Beins des revolutionären Thonet Kaffeehausstuhls darf natürlich nicht fehlen. Als erstes Möbelstück, dessen Form durch ein industrielles Verfahren erzeugt wurde, hat man es hier unmittelbar schräg gegenüber vom legendären „Tip Ton Chair“ von Barber Osgerby positioniert. Bei diesem haben die beiden Designer die Produktion in dem Moment angehalten, in dem die Form vollständig mit geschmolzenem Kunststoff gefüllt war, dadurch entstand ganz gewollt dieser „skulpturale, doch unbrauchbare Stuhl”. Wir erleben hier auf sehr schlüssige Weise wie die Objekte sich selbst erklären, eine vielleicht vielversprechende Strategie, um die nachfolgende Generation für Produktionsprozesse zu begeistern. Diese Ausstellung ist einzigartig und inspirierend, sie wurde mit großer Hingabe von zwei Designern kuratiert, die “niemals ein Projekt beginnen, ohne zuvor die Fabrik besucht zu haben”. In the Making – Barber Osgerby MEHR auf Stylepark: 18 Millionen Münzen für den Underground: Uta Abendroth hat Jay Osgerby in Mailand getroffen, wo die Sofas, Tische und der Stuhl des Duos bei Knoll ihr Debüt feierten. |
Edward Barber und Jay Osgerby. Foto © Alisa Connan
Es werde ein Tennisball. Foto © Antje Southern
„Skulpturaler, doch unbrauchbarer Stuhl”: „Tip Ton“ von Barber Osgerby für Vitra.
Foto © Antje Southern Das erste Möbelstück, dessen Form durch ein industrielles Verfahren erzeugt wurde: der Thonet Kaffeehausstuhls. Foto © Antje Southern
|
Hier haben Barber Osgerby die CNC-Bearbeitung des MacBook Pro angehalten.
Foto © Antje Southern |
Erkennen Sie’s? Es ist das Blech für die Olympische Fackel für die Olympischen Spiele 2012 in London, entworfen von Barber Osgerby. Foto © Antje Southern
|
Flexibilität und Formbarkeit: gestanzte Getränkedose.
Foto © Design Museum London |
Schneiderhandwerk und Technologie vereint: Schnittmuster des Obermaterials eines Fußballschuhs. Foto © Design Museum London
|