ein Möbelstück
Peter-Philipp Schmitt: Herr Jain, Sie nehmen in diesem Jahr an der Ausstellung „Wo Architekten leben“ während der Mailänder Möbelmesse teil. Wie kam es zu dem Kontakt?
Bijoy Jain: Francesca Molteni, die für Cosmit die Ausstellung kuratiert, wandte sich im Dezember an mich. Sie wolle einen Film über unser Zuhause drehen.
Wie würden Sie Ihr Zuhause beschreiben?
Jain: Am besten lässt es sich als offener Raum beschreiben, frei zugänglich für Luft, Licht, Wetter, Menschen, Tiere.
Sie leben auf dem Land?
Jain: Ja, mitten im Wald. Das Haus ist außerhalb von Mumbai an der Westküste unweit der kleinen Küsten- und Hafenstadt Alibag im Bundesstaat Maharashtra. Mit einem Boot sind es 45 Minuten von Mumbai aus und dann noch einmal 45 Minuten mit dem Auto. Allerdings ist das Gebiet dicht besiedelt, was typisch ist für ländliche Gegenden in Indien, auch wenn Landwirtschaft noch vorherrschend ist.
Arbeiten Sie dort auch?
Jain: Ja. Ich habe dort 2005 das Studio Mumbai gegründet. Wir sind eine Gemeinschaft von an die 60 Architekten, aber auch Handwerkern aus der Region. Gemeinsam entwickeln wir Ideen, indem wir uns treffen, austauschen, Projekte voranbringen.
Im Garten gibt es auch ein großes Schwimmbad.
Jain: Arbeit ist Teil meines Zuhauses. Ich spreche hier von der Idee der Domestizität, einer neuen Form von Häuslichkeit. In meinen vier Wänden hängt alles zusammen – Arbeit, Leben, Vergnügen.
Aber Sie haben auch Ihre Privatsphäre?
Jain: Grundsätzlich ist jeder willkommen. Eine strikte Unterscheidung zwischen Drinnen und Draußen gibt es nicht. Je nach Bedarf können öffentliche Räume in unserem Haus aber auch zu bestimmten Zeiten privat genutzt werden.
Das heißt, einen eigenen privaten Bereich haben Sie nicht?
Jain: Es ist ein Zuhause für jeden. Auch für Sie, wenn Sie wollen.
Francesca Molteni war zu Gast bei Ihnen und hat eine Dokumentation über Sie, Ihr Haus und wie Sie in ihm leben gedreht. Wie war das für Sie?
Jain: Es war ganz locker und formlos. Wir hatten Freunde da, um Silvester zu feiern. Ich selbst hatte ein paar Tage frei, und Francesca war einfach da und nahm an allem teil. Ihre Dokumentation entstand also eher beiläufig.
Auf dem „Salone del Mobile“ geht es vor allem um Möbel. Auf der Messe sollen Produkte verkauft werden. Ist das auch ein Grund für Sie, sich an dem Projekt zu beteiligen?
Jain: Ich bin wahrscheinlich nicht der ideale Kunde einer Messe mit Neuheiten. Natürlich kaufe ich auch neue Sachen ein, wenn mir etwas gefällt und es Sinn macht. Aber wir sind in der Lage, unsere eigenen Möbel herzustellen. Da sind wir gewissermaßen autark.
Ihre Möbel werden nicht auf dem „Salone“ angeboten?
Jain: Nein. Für mich ist auch die Absicht eines Möbels wichtiger, warum und für wen entsteht es, ist es überhaupt notwendig? Auch ein Möbel sollte wohlüberlegt sein. Und damit meine ich nicht allein die Funktion. Natürlich muss man auf einem Stuhl sitzen, an einem Tisch schreiben und auf einem Bett liegen können. Aber ich erwarte mehr. Ein Stuhl sollte hier in Mailand zum Sitzen da sein, aber in Indien ist das vielleicht schon nicht der Fall.
Aber auch in Indien sitzen die Menschen, und das Land ist ein Riesenmarkt. Der Einfluss des Westens, wenn es um Möbel geht, dürfte also groß sein.
Jain: Das ist gewiss so. Der Regisseur Roberto Rossellini hat Indien mal als riesigen Magen bezeichnet. Damit meint er natürlich, dass das Land die Fähigkeit hat, viel in sich aufzunehmen. Gleichzeitig hat Indien seine eigene Kultur. Mich persönlich interessiert weniger, was von außen kommt, sondern was hier vorhanden ist. Denn damit müssen sich sehr viele Menschen in Indien zufrieden geben. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht auf einem Stuhl, sondern auf dem Boden sitzt: Wir Inder essen auf dem Boden, wir schreiben auf dem Boden, wir schlafen auf dem Boden. Der Boden ist für Inder ein Möbelstück.
Was heißt das für einen Architekten, einen Designer in Indien?
Jain: Ich entwerfe nicht einfach ein Objekt, für mich geht es immer um den Raum selbst, egal ob ich als Architekt oder Designer arbeite. Den Raum gilt es zu definieren, was stelle ich damit an. Dafür muss ich beobachten und mich an den realen, jeweils vorhandenen Bedingungen orientieren. An Massenware bin ich nicht sonderlich interessiert, sondern an individuellen Lösungen, die genau zum jeweiligen Raum passen, mit dem ich mich beschäftige.
› Lesen Sie mehr über die Ausstellung "Where Architects Live"
Where Architects Live
Salone Internazionale del Mobile, Halle 9
Messegelände in Rho
8. bis 13. April 2014