„Der Teppich ist heute wieder ein Designerlebnis – und das selbst für Leute, die seit Jahrzehnten keinen textilen Bodenbelag mehr wollten“, sagt Jan Kath. „Ich versuche das Produkt mit in unser Jahrhundert zu nehmen und konsumierbar zu machen.“ Der Designer aus Bochum, der einer Familie von Teppichhändlern entstammt, ist Mitinitiator der Teppich-Renaissance. Durch seine handgeknüpften Kunstwerke, in denen sich die traditionellen Muster der Orientteppiche auflösen und die durch neue Finishing-Techniken des Abbrennens und Waschens einen ganz eigenen (Vintage-) Look erhalten, finden hochwertige Bodenbeläge immer mehr Beachtung.
Zur Domotex, der international führenden Messe für Bodenbeläge, kamen im Januar rund 40.000 Besucher nach Hannover. 1.350 Aussteller aus mehr als 60 Ländern zeigten alles, was die Branche zu bieten hat, wobei die Messe selbst den Schwerpunkt auf Teppichböden, Parkett und Laminat aus dem Premium-Segment legte.
Souk Deluxe
Bereits zum vierten Mal realisierte Jan Kath gemeinsam mit den Veranstaltern die Sonderschau „Souk Deluxe“, deren Name auf die Betitelung arabischer Einkaufsviertel anspielt. Auf dieser Fläche, die wie ein Marktplatz gestaltet ist, waren die Trends im Bereich der handgefertigten Teppiche zu sehen. Dazu zählen Fotodruck-Optiken und dreidimensionale Oberflächen. Drumherum zeigten Top-Label wie Hossein Rezvani aus Hamburg, Reuber Henning aus Berlin und Floor to Heaven aus Köln ihre Teppiche, die Tradition mit Innovation und Handwerk mit Hightech zusammen bringen.
Blending
Einer, der dieses „blending“ aus dem effeff beherrscht, ist Jürgen Dahlmanns. Vor elf Jahren gründete der Architekt seine Firma Rug Star in Berlin. Produzieren lässt Dahlmanns in Nepal und dem indischen Rajasthan. Er setzt auf die Darstellung von Bewegung auf textiler Oberfläche und sieht im Trend zum Teppich, besonders dem von Hand geknüpften, ein Verlangen unserer Zeit, sich mit Dingen zu umgeben, die Individualität und Charakter haben. Dazu gehören für den Berliner leuchtende Farben – und Fransen. Seit drei Jahren hat er dieses früher so gängige Element, das durch den Kettfaden gebildet wurde und deshalb immer weiß war, für seine Modelle wiederentdeckt. Allerdings nutzt Jürgen Dahlmanns dafür Kunstseide in allen möglichen schillernden Farben und fügt die Fransen dem Teppich erst nachträglich hinzu. Mit einem Augenzwinkern sagt er: „Mit den Fransen kann man sich trauen, Spießigkeit in seiner eigenen Wohnung zuzulassen.“
Die Kunst des Knüpfens
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Arman Vartian, der kreative Kopf hinter Vartian Rugs aus Wien. Der Sohn armenischer Eltern hatte zunächst in dem traditionsreichen Familienbetrieb Gebrüder Vartian mit klassischen Orientteppichen zu tun, bevor er vor fünfzehn Jahren einen neuen Stil entwickelte. Er begann seine eigenen Kollektionen zu entwerfen und diese in Nepal produzieren zu lassen – heute sind dort sechshundert Knüpfer für ihn tätig. „Knüpfer sind Künstler“, sagt Arman Vartian. „Gute Teppiche sind eine optische Freude, genau wie ein Gemälde.“ Schaut man sich seine Werke an, versteht man seinen Standpunkt: Aus Tibetwolle, Hanf, Brennnessel, Seide und Leinen lässt er klassisch anmutende Teppiche fertigen, die bei genauerem Hinsehen mit Street Art oder Graffitti-Mustern überraschen, mit Henna-Ornamentik, Damask-Mustern oder Motiven des Wiener Siebdruck-Künstlers Andreas Reimann. „Das schwierigste Muster ist der Kreis“, sagt Arman Vartian – und hat gleich mehrere Teppiche mit diesem Motiv vorzuweisen. Knüpfen ist von der Unesco zum Welterbe erklärt worden und am Stand von Vartian versteht man auch wieso: Auf diese Art und Weise besteht die Chance, ein wirklich hochwertiges und uraltes Handwerk zu bewahren.
Laminat und Parkett
Ebenfalls kein bisschen gestrig, sondern aufgeschlossen und trendbewusst präsentieren sich die Hersteller im Laminat- und Parkettbereich. Power Dekor Europe, Tochter eines chinesischen Unternehmens, produziert Böden aus Bambus, deren Optik sehr unterschiedlich ausfällt. Ob hell oder dunkel, mit mehr oder weniger strukturiertem Oberflächenlook hängt davon ab, wie lange die aufgespaltenen Bambustriebe bei hoher Temperatur gedämpft werden. Der Vorteil von Bambus liegt darin, dass die Pflanze extrem schnell wächst, das Material schon nach drei bis fünf Jahren geerntet und verarbeitet werden kann. Ein weiteres Plus von Bambus sind die extreme Strapazierfähigkeit und die Unempfindlichkeit der Oberfläche.
Baltic Wood aus Polen hat über dreihundert verschiedene Designs für Holzfußböden in seinem Sortiment und gehört zu den weltweit dynamischsten Herstellern des Dreischichtparketts. Dabei wird unter anderen Fichte im Aufbau verwendet, was insgesamt mehr Flexibilität in das Parkett bringt. Die Kollektionen werden ständig überarbeitet und alle zwei Jahre komplett erneuert.
Natur als Vorbild
Die Marke Kaindl, die 35 Prozent des Laminat-Weltmarktanteils bedient, beschäftigt sich 2013 vor allem mit neuen Oberflächenstrukturen ihrer Laminat-, Holzfurnier- und Korbböden. Die Österreicher nehmen sich die Natur zum Vorbild und bringen mehr Authentizität und Natürlichkeit auf ihre Böden als je zuvor. Vor allem der Used-Look ist gefragt. Und das in Verbindung mit Natural-touch-Oberflächen, die sich durch eine spezielle Technik genau so anfühlen, wie sie aussehen: natürlich.
Flooring Deluxe
Kaindl und Baltic Wood gehörten mit zu den Premium-Herstellern, die sich an der Sonderschau „Flooring Deluxe“ beteiligten, um die Grenzen der Raumgestaltung auszuloten und – möglichst – zu erweitern. Das ist in einigen Fällen gelungen, in anderen weniger. „Ich meine das nicht wertend, wenn ich das sage“, erklärt Stefan Diez, „aber bei den Firmen mangelt es teilweise an der Erfahrung mit solchen Projekten.“ Der Münchner Designer, der von der Domotex mit der Gestaltung der Installationen in den Hallen 6 und 9 beauftragt worden war, ist allerdings auch sehr pragmatisch an die Umsetzung gegangen: „Es ging ja von Anfang an nicht um Produkte, sondern darum, Perspektiven aufzuzeigen“, sagt Diez.
Vielleicht könnte man gerade unter diesem Gesichtspunkt die Kooperation von Baltic Wood und Mark Braun als Erfolg bezeichnen. Der Berliner Designer zeigte in dem ihm zur Verfügung stehenden „Concept Room“ Holzparkett, das er mit einem in Anlehnung an die irreguläre DNA-Struktur von Holz gestalteten Muster geprägt hatte. Stefan Diez gefiel der Entwurf schon im Entstehungsprozess: „Ein schön verlegter Parkettboden zeichnet sich auch dadurch aus, dass der Boden eben nicht unvermittelt auf die Wand trifft, sondern am Rand, am Ofen oder Kamin, eine Art ‘Moderation‘ stattfindet. Das ist den hohen Handwerkerpreisen zum Opfer gefallen und da könnte die Prägetechnik vielleicht einen neuen Ansatz bieten.“ Baltic Wood jedenfalls war begeistert von der Idee und ist sehr an einer weiteren Kooperation mit Mark Braun interessiert.
Auch die großen Teppichproduzenten Dura und Vorwerk zeigten sich ausgesprochen enthusiastisch. Beim hessischen Teppichbodenhersteller Dura ist der Teppich im Produktionsprozess ständig in Bewegung. Hunderte von Rollen tragen das eben erst getuftete Textil über einen langen Weg durch die Produktionshallen zur Färberei. Designer Steffen Kehrle durfte an dieser Stelle mit unkonventionellen Maßnahmen in die Herstellung eingreifen: Mit perforierten Rohren, Feuerwehrschläuchen und Farbrakeln (steuern die Farbmenge) verspritzte der Münchner reichlich Farbe über den Teppichen. Die dabei entstandenen Spritz- und Verlaufsmuster gaben den Bodenbelägen in Kehrles „Concept Room“ den Charme von Bildern des action painting.
Vorwerk hatte Normal Studio aus Paris als Designpartner. Jean-François Dingjan und Eloi Chafaï haben mit Bildern gearbeitet, etwa mit mikroskopischen Aufnahmen von Blutkörperchen und Meeresorganismen. Mit der CNC-Schneidetechnik kann man diese Muster aus Teppichen mit unterschiedlichem Flor ausschneiden, sie neu zusammensetzen und somit die Vorteile eines Teppichs, der von Wand zu Wand reicht, mit denen eines klassischen Läufers vermischen. Die Ergebnisse ähneln Korallen und bilden Designinseln. Damit schließen sie einen Kreis zu Diez’ Credo, dass ein Teppich einen Raum auf wunderbare Weise strukturieren kann.
Jägerstand und Baumstamm
Gerade das von den Holz- und Laminatherstellern beschworene Thema Natur – oder Natürlichkeit – hat zwei der originellsten „Concept Rooms“ inspiriert: Tomás Alonso kooperierte mit dem Unternehmen Classen, das Laminatböden produziert. Während der Zusammenarbeit ergab sich für den in London lebenden Designer die Frage, warum die Natur bei solchen Böden so perfekt kopiert wird, warum man nicht eine andere Perspektive einnehmen kann. Alonso hat schließlich Holzstrukturen und –maserungen überdimensional skaliert und dann aufdrucken lassen. Er hat jeweils zwei der Laminatdielen zu einer „Bohle“ zusammengesetzt, die dabei offen gebliebenen Seiten ringsum mit einem grünen Kunststoffprofil verschlossen und am Ende aus diesem „Holz“ einen Jägerstand gezimmert – großartig!
Mit einer gleichermaßen hintersinnigen Attitüde schufen der Fotograf Martin Fengel und der Künstler Martin Wöhrl eine „Baumstamm-Skulptur“. Die beiden Münchner setzen die von echtem Holz kaum noch zu unterscheidenden Laminatpaneelen der Firma Kaindl so zusammen, dass sie am Ende fast wieder die Form realer Baumstämme wiedergaben.
Ob die Sonderschau „Flooring Deluxe“ ein einmaliges Experiment der Domotex war, bleibt abzuwarten. Stefan Diez jedenfalls ist bei dem Projekt zu der Überzeugung gelangt, dass wir uns insgesamt viel zu wenig mit dem Boden beschäftigen und das Thema mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Vor der Messe hatte er noch orakelt, dass ja auch ein beherztes Scheitern okay wäre, aber darüber braucht er sich nicht länger Gedanken zu machen. Sein Fazit lautet jetzt: „Design ist Kommunikation – und es hat Spaß gemacht.“