Die Ausstellung „Small Scale, Big Change" im Museum of Modern Art zeigt außergewöhnliche Architekturprojekte, die unter schwierigen Bedingungen an abgelegenen Orten entstanden sind. Anfang der neunziger Jahre, als die ersten der gezeigten Projekte entwickelt wurden, boomte weltweit die Baubranche. Häuser, Bürotürme und Museen schienen immer noch größer zu werden, ihre Architekten wurden teilweise wie Rockstars gefeiert. Währenddessen experimentierte - wie auf einem anderen Planeten - eine kleine, aber wachsende Anzahl von Architekten mit alternativen Formen des Bauens. Sie propagierten eine Herangehensweise, in welcher die interdisziplinäre Zusammenarbeit Vorrang vor individueller Berühmtheit hat und benachteiligte Menschen bewusst gegenüber gesellschaftlich privilegierten und zahlungskräftigen Klienten bevorzugt werden.
Es ist schade, dass das MoMA viele Jahre gebraucht hat, um das neu erstarkte Engagement für sozial engagierte Architekturprojekte in der Form einer Ausstellung anzuerkennen. Bedauerlich ist auch, dass nur bei zwei der Gebäude über die zur Verfügung stehenden Budgets informiert wird und sich die Definition von „klein" angesichts der beträchtlichen Bandbreite der Bauten und ihrer Maßstäbe nur schwer nachvollziehen lässt. Dennoch verdienen die elf gezeigten Arbeiten Aufmerksamkeit. Kenner der Branche wissen um Projekte wie das Seniorenheim „Casa Familiar" in San Ysidro, Kalifornien vom Estudio Teddy Cruz oder das „$20K House VIII" in Newbern, Alabama von Studio Rural. Aber nur wenige der Projekte sind bislang der breiten Öffentlichkeit bekannt. In dieser Hinsicht leistet die Ausstellung des MoMA einen wichtigen Beitrag: Sie verbreitet die Botschaft, dass Architektur mehr zu bieten hat als funkelnde Gebäude für Menschen mit einer dicken Brieftasche.
Die in der Ausstellung vertretenen Architekten lassen sich hinsichtlich ihrer theoretischen und formalen Ansätze nicht in einen Topf werfen. Gemeinsam ist ihnen jedoch das Ziel, die Lebensbedingungen verbessern zu wollen. Sie agieren, wie es im einführenden Wandtext heißt, „radikal pragmatisch". Der Kurator Andres Lepik, der die Ausstellung zusammen mit Margot Weller konzipiert hat, schreibt im Katalog: „Um die soziale Relevanz der Architektur am Anfang des 21. Jahrhunderts zu erhöhen, dürfen sich die Architekten nicht länger nur einfach als Konstrukteure von Gebäuden sehen, sondern müssen sich vielmehr als Moderatoren der Veränderung verstehen." Aus bloßen Baumeistern werden somit auch Initiatoren und Fürsprecher.
Zwei Beispiele: Das Engagement der österreichischen Architektin Anna Heringer für die Einwohner des Dorfes Rudrapur in Bangladesh begann, als sie vor Ort ein Auslandsvolontariat absolvierte. Kurze Zeit später entwickelte sie im Rahmen ihrer Diplomarbeit das Gebäude der heutigen METI-Handmade School, ein zweigeschossiges Haus mit fünf Klassenzimmern. Sie legte ihr Konzept einer im Dorf tätigen Nichtregierungsorganisation vor, die sich entschied, den Entwurf zu realisieren. Örtliche Arbeiter übernahmen die Ausführung und konnten sich dadurch gleichzeitig neue Handwerkstechniken aneignen. Als Materialien wurden regionale Ressourcen genutzt: das Gebäude besteht aus einer Mischung aus Lehm, Erde, Sand, Stroh und Wasser sowie Bambus. Als Bauleiter fungierte der Berliner Architekt Eike Roswag.
Bei einem gemeinschaftsbasierten Prozess anderer Art wurde die interdisziplinäre Gruppe Elemental von der chilenischen Regierung damit beauftragt, für die Wüstenstadt Iquique ein Hausbauprojekt für Familien mit geringem Einkommen auszuarbeiten. Das Budget für „Quinta Monroy Housing" betrug 7.500 Dollar pro Einheit einschließlich Land, Infrastruktur und Konstruktion. Die Häuser sollen besonders erdbebensicher sein. Auf diese Weise erhielten mehr als neunzig Familien in Iquique eigenen Wohnraum mit Wasseranschluss. Die Häuser entbehren zwar einer weiteren Ausstattung, doch lassen sie sich auf einem angrenzenden, freibleibenden Bereich jederzeit erweitern. Die Familien arbeiten in dem Maße am Ausbau ihres neuen Zuhauses, wie es ihre Zeit und ihre Finanzen zulassen. Das Projekt in Iquique lief so erfolgreich, dass Elemental in ganz Südamerika inzwischen mehr als eintausend dieser Einheiten realisiert hat.
Angesichts der gegenwärtigen problematischen Verhältnisse überall auf der Welt spielen Förderer des Wandels, wie die in dieser Ausstellung des MoMA gezeigten Architekten, eine außergewöhnlich wichtige Rolle: Sie sind Rockstars einer gänzlich anderen Art.
Small Scale, Big Change: New Architectures of Social Engagement
3. Oktober 2010 bis 3. Januar 2011
Museum of Modern Art, New York City
www.moma.org