Wie Manschetten sind farbige Stoffe über massive Holzbretter und Platten gestülpt. Sie verbergen den hölzernen Untergrund und reihen sich als munteres Team-Play aneinander. Denn die einzelnen Holzelemente sind durch Reißverschlüsse in den Textilbezügen miteinander verbunden und können in unterschiedlichen Konstellationen aufgestellt und genutzt werden. Ein Readymade aus Farben ergibt sich so – und ein Paravent, der den Raum mit seinen flexiblen Kurven und Linien durchzieht, ihn begrenzt und aufteilt, um einzelne Raumabschnitte zu separieren.
Stephen Burks Installation „Play“, die während des diesjährigen Salone in der „Hallingdal 65“-Ausstellung im Jil Sander Showroom zu sehen war, ist genauso einfach wie erfinderisch. Wolle und Viskose, die beiden Ingredienzien des Stoffes von Kvadrat, waren der Ausgangspunkt für dieses Ready-made. 1965 wurde „Hallingdal“ von Nanna Ditzel entworfen und bald fünfzig Jahre später ist der Möbelbezugsstoff ein Klassiker. Hallingdal ist überall, egal ob Zuhause, im Büro oder in Krankenhäusern. Seine Farbpalette aus 52 ursprünglichen und zehn weiteren Farbtönen erinnert an einen Regenbogen – und damit an die bunte Zeit der Pop-Art als Kvadrat gegründet wurde. 1968 haben Erling Rasmussen und Poul Byriel, der früher Verner Panton assistiert hatte, das dänische Textilunternehmen aus der Taufe hoben. Seine Geschichte begann mit Hallingdal im dänischen Ebeltoft, was zu deutsch so viel bedeutet wie „Apfelgrundstück“. Heute ist Kvadrat ein international operierendes Familienunternehmen, das nach wie vor vom dänischen Jütland aus gesteuert wird.
Als Hommage an die erste Kollektion, die Nanna Ditzel ursprünglich für das Halling-Koch Design Center entworfen hatte und die Kvadrat ohne Unterbrechung seit 1968 als „Hallingdal“ produziert, war die Ausstellung in Mailand konzipiert. Patrizia Moroso und Giulio Ridolfo, die beiden Chefkuratoren der inspirierenden Schau, setzten insgesamt sieben Kuratoren für verschiedene Länder ein, die wiederum 32 junge Designer dazu einluden, mit „Hallingdal“ zu experimentieren. Fröhliche Gedankenspiele wie Pauline Deltours „Zeitungskarussell“ und Jean-Baptiste Fastrezs Hängematte sind dabei entstanden. Aber auch konzeptuell eher blasse Installationen wie Jonathan Olivarez „Chaise“ waren zu sehen, ein Stoffballen, der seine Bahn über ein Bettgestell ausbreitet. Die spanischen Designer von Mermelada Estudio nutzen den Stoff für einen heimeligen Kokon, der wie ein schrilles Vogelhaus in den nüchternen Räumen des Showrooms platziert war – und neben aller Experimentierlust auch einen klaren Nutzen erkennen ließ.
Für die Auswahl der Ausstellungsteilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zeichnete Designer und Hochschullehrer Hansjerg Maier-Aichen verantwortlich. Er wählte Bless, das Studio Mischler’Traxler, Adrien Rovero und Katrin Sonnleitner aus. Maicher-Aichens Konzept war es, sich bewusst für wenige Teilnehmer zu entscheiden, deren Arbeiten für experimentelle Qualität stehen, um so einen Gegenpunkt zu Perfektion und Überproduktion zu setzen, die während des Salone in der Stadt allgegenwärtig sind. Mit Hansjerg Maier-Aichen hat sich Markus Frenzl in Mailand unterhalten. sh
Markus Frenzl: Nach welchen Kriterien haben Sie die deutschsprachigen Teilnehmer ausgewählt?
Hansjerg Maier-Aichen: „Hallingdal 65“ ist ein Stoff, der eine große Bedeutung für Kvadrat hat. Bei einem Meeting in London haben wir uns deshalb bewusst auf Qualität konzentriert und die ursprüngliche Teilnehmerzahl deutlich reduziert, weil wir keinen Sinn darin sahen, die Arbeiten von hundert Leuten zu zeigen. Alle Gestalter, die ich ausgewählt habe, arbeiten sehr experimentell. Denn im allgegenwärtigen Übermaß an Perfektion ist es großartig, auch etwas Neues und Unperfektes zu machen. Und so gab es zwischen den verschiedenen Teilnehmern auch eine spannende Auseinandersetzung um die Frage nach gestalterischer Unabhängigkeit.
Was kann ein solches Ausstellungs-Experiment für Hersteller und Designer bedeuten?
Maier-Aichen: Die Ausstellung ist keine reine Corporate Identity-Geschichte, wo kaum etwas produziert wird. Die „Hallingdal“-Ausstellung geht jetzt ein Jahr durch die Showrooms des Unternehmens. Dabei steht auch immer die Frage im Raum: Entstehen über die Ausstellung auch Kontakte zu anderen Unternehmen? Wo gibt es für die Entwürfe Produktionsmöglichkeiten? Und wo könnte man einen experimentellen Entwurf in Kleinserie machen? – Es gibt in der Ausstellung sicher zehn bis fünfzehn Entwürfe, die Marktchancen hätten, gerade auch bei kleineren Herstellern. Denn von vielen experimentellen Ansätzen profitieren nun verstärkt Firmen wie Nils Holger Moormann oder e15: Bei den kleineren Herstellern entsteht jetzt die bessere Qualität!
Welche der Arbeiten halten Sie für besonders überzeugend?
Maier-Aichen: Mich überzeugen die Arbeiten, die an Einfachheit nicht zu übertreffen sind oder die „Work in progress“ widerspiegeln. Für die Leuchte von Adrien Rovero etwa war es die wichtigste Entscheidung, sie in einem größeren Maßstab zu machen. Dadurch hat der Entwurf eine ganz andere Wirkung erhalten, mehr Struktur, er ist ein richtiges Beleuchtungskonzept geworden, das sich etwa bei einem Museum in großem Maßstab realisieren ließe. Bei den „Framed“-Möbeln von Mischer’Traxler gefallen mir der experimentelle Anteil und das Verhältnis zwischen Idee und Aufwand. Die Idee, die Stoffe nicht mehr zu verarbeiten, scheint noch ein bisschen harmlos, sie befreit den Stoff aber von den orthodoxen Polsterkonzepten – das sind keine bürgerlichen, perfekten Möbel mehr! Bei den Bless-Designerinnen gefällt mir, dass sie eigentlich aus dem Textilbereich kommen und jetzt frech und unorthodox ins Skulpturale vordringen. Ihre Arbeit „No35 Automatica Carcanapé“ ist ausgesprochen konzeptionell und eigentlich der radikalste Entwurf der gesamten Ausstellung. Er deutet auf eine andersartige Auseinandersetzung mit Möbeln hin und besitzt skulpturale Qualität. Kvadrat wollte das Projekt zunächst rausschmeißen, ich habe aber argumentiert, dass bei einem Projekt, bei dem auch die Kuratoren ihre Reputation aufs Spiel setzen, mehr herauskommen muss als nur das Bekannte. Schade, dass auf der Einladungskarte nun der harmloseste Entwurf zu sehen war – die Tiere von Ionna Vautrin, die aussehen als seien sie aus den Achtzigern. Denn interessant ist doch am Ende bei einem solchen Projekt: Was bleibt beim Unternehmen hängen? Und welche Veränderungen bewirkt das Projekt beim Hersteller?
hallingdal65.kvadrat.dk