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Den Teppich verstehen
im Gespräch: Stefan Diez
29.11.2013
Mit der „Innovations@Domotex“ die Rosinen rausgepickt: Jury-Vorsitzender und Designer Stefan Diez. Foto © Robert Volhard, Stylepark

Martina Metzner: Auf der letzten Domotex waren Sie federführend an dem Projekt „Flooring Deluxe“ beteiligt, nächste Runde wird es abgelöst von der „Innovations@Domotex“, der Neuheiten-Schau auf der Messe, für die Sie in der Rolle des Juryvorsitzenden aktiv sind. Können Sie uns kurz über diese Weiterentwicklung aufklären?

Stefan Diez: Das ist ein Schritt nach vorne und ein kleiner Schritt zurück. Was wir letztes Jahr bei der „Flooring Deluxe“ gelernt haben: Auf der Seite der Gestalter, der Designer, gibt es ein großes Nachholbedürfnis, was die Thematik „Boden“ angeht. Und was die Hersteller anbelangt, haben wir bemerkt, dass dort eine große Unsicherheit besteht, was die Zusammenarbeit mit Designern angeht. Das ist schon sehr verwunderlich, da der Boden beim Einrichten eine zentrale Rolle spielt. Auf der anderen Seite gibt es auch eine Erklärung: Denn die Bodenbelags-Anbieter haben gar nicht richtig mit den Endkunden zu tun und so richten sie sich meist direkt an den Facharbeiter. Das Vokabular eines Bodenverlegers wird sehr viel besser beherrscht als das Vokabular eines Gestalters.

Was steckt hinter der „Innovations@Domotex“?

Diez: Letzte Runde hatten wir einen sehr design-orientierten, künstlerischen Ansatz. Es waren zwar aufregende Projekte, aber der direkte Nutzen für die Hersteller war schwer ablesbar. Deshalb hat die Domotex zusammen mit Stylepark die „Innovations@Domotex“ aus der Taufe gehoben: Sonderflächen, auf denen wir das „Best of“ der Domotex zeigen. Damit wollen wir das Angebot für die Anwender, die Gestalter öffnen und interessant machen. Welcher Endkunde hat denn etwas davon, wenn er den Belag in einer Stunde schneller verlegen kann, mit dem Teppich keine Lagerprobleme hat oder der Belag antibakteriell wirkt? Es ist für den Kunden nicht sofort ersichtlich, was das mit einer modernen Einrichtung zu tun hat. Dafür muss man sich ein anderes Vokabular aneignen. Und das tun wir auf der „Innovations@Domotex“.

Was genau war Ihre Aufgabe bei der „Innovations@Domotex“?

Diez: Wir haben eine Jury berufen, mit Designern, Innenarchitekten, Pressevertretern, die einen ganz klaren Fokus von Anwenderseite auf das Produkt haben. Und diese Jury hat die besten, innovativsten Produkte ausgewählt. Wenn ich nun als Anwender auf die Messe gehe, kann ich anhand dieser drei Sonderflächen sehr kompakt erfahren, wo die Highlights zu finden sind. Und wenn ich das dann vertiefen will, nehme ich Kontakt mit dem Hersteller auf. Also eine ganz klassische Vorbereitung, die wir da geliefert haben.

Wie empfanden Sie die Arbeit in der Jury?

Diez: Ganz ehrlich, die Arbeit ist super spannend. Sie ist deshalb so interessant, da ich dem Bodenbelag bislang wenig Beachtung geschenkt habe. Damit bekommt das Thema plötzlich neue Facetten, eine andere Relevanz. Und wenn einem etwas geläufig ist, zieht man das natürlich stärker in seine täglichen Überlegungen ein. Ich persönlich habe durch die Mitarbeit in der Jury sehr viel lernen können. Und ich glaube auch, dass wir andere Leute von der Begeisterung anstecken können.

Sie haben von „neuen Facetten“ gesprochen. Gab es da einen Aha-Effekt?

Diez: Da gab es zum Beispiel handgeknüpfte Teppiche, für die traditionelle Qualitäten und Techniken weiterentwickelt worden sind. Das ist etwas, was man heute bewundern muss. Es gibt auf der anderen Seite auch neue Materialien, die für neue Verarbeitungstechniken stehen. Zum Beispiel Vinylfasern, die man so webt, dass sie eine Mischung von einem Teppich und einem elastischen Bodenbelag darstellen. Das kennt man eigentlich nur von Naturfasern, die in so einer Dicke auftreten, oder von gewebten Textilien, deren Fäden proportional groß wirken. Das sind solche Trends. Dann natürlich das ganze Thema Replikation, digitaler Druck, Reliefierung. Oder Produkte, die natürliche Strukturen und Materialien kopieren, um künstliche aber authentische Oberflächen zu schaffen.

Können Sie mir ein paar Produkte nennen, die Sie besonders beeindruckt haben?

Diez: Da gibt es eine ganze Menge. Zum Beispiel „Floor to heaven“: Michaela Schleypen, eine Kölner Designerin, schafft mithilfe einer Tufting-Technik dreidimensionale Oberflächen, die wie Seeigel wirken. Was auch toll ist: ein künstlicher Belag als Rasenbelag für Tennisplätze von Bergo Flooring. Ziemlich cooles Ding. Da wird der Rasen von der Farbe her zitiert, aber sonst ist der Belag eigenständig und authentisch.

Bei den von Ihnen ausgesuchten Innovationen gibt es hin und wieder Produkte, die nachhaltig sind, also den „grünen Gedanken“ tragen, beispielsweise durch recyclte Materialien. Ist das ein interessanter beziehungsweise relevanter Aspekt?

Diez: Ich halte das Thema Nachhaltigkeit mittlerweile für selbstverständlich. Da muss man sich nicht im Detail noch mal um diesen Aspekt aufregen. Ich finde es eher so, dass man Produkte, die nicht nachhaltig sind, fast schon verbannen muss. Das erwartet man einfach. Beim Teppichboden, wo es um Kunststoff geht, sind auch Abrieb und Feinstaub Aspekte dieser Nachhaltigkeit.

„Die Werte, die sich in unserer Gesellschaft längst ändern, finden kaum adäquate Entsprechungen in modernen Produkten“, haben Sie in einer Rede anlässlich der Feier „60 Jahre Rat für Formgebung“ in der Frankfurter Paulskirche gesagt. Haben Sie diese Werte in den Produkten der „Innovations@Domotex“ gefunden?

Diez: Meine Wahrnehmung in diese Richtung ist ziemlich sensibilisiert. Was ich in der Rede angesprochen habe ist ein beidseitiges Phänomen – bei Konsument und Hersteller. Der eine muss wollen, der andere muss mitmachen. Oder andersherum die Frage: wer treibt wen? Der Konsument ist heute schwer zu definieren. Auch weil bei den wirklich großen Firmen stets in globalem Maßstab gedacht wird. Und wenn man keine Person mit Charakter mehr im Kopf hat, sondern eine globale Masse, ist es viel schwieriger, prägnante Produkte zu konzipieren. Am Ende kommt oft ein langweiliger Kompromiss heraus. Und auf der Konsumentenseite ist es so, dass sich viele Kunden die letzten Jahre damit abspeisen lassen haben, Produkte mit althergebrachten Werten, Materialien und Designs zu einem immer günstigeren Preis zu bekommen. Das ist wie beim Lachs. Der ist erst erschwinglich geworden, und dann isst man ihn plötzlich jeden Tag zum Frühstück. Das Etikett macht nicht die Qualität.

Luxus wird zum Alltag.

Diez: Das ist eigentlich das, was ich kritisiert habe. Das wir in einer Art Luxus-Playback leben. Luxus ist für alle erschwinglich. Und dadurch wird die Luxusidee ad absurdum geführt. Und es gibt kaum Diskussionen, wie der neue Luxus aussieht. Der findet heute höchstens in einer Elite statt, die für die Industrie als Zielgruppe praktisch unrelevant ist. Natürlich gibt es Firmen wie Apple, eine Ausnahme, die bei jeder Gelegenheit als gutes Beispiel herhalten müssen. Im Grunde haben wir eine Wüste an bei Alltags-Gegenständen – Beispiel Bügeleisen, Toaster, Wasserkocher, Besteck, Porzellan etc. –, die gut gestaltet sind und den Wertvorstellungen einer jungen Generation entsprechen.

Bleiben wir beim Thema Luxus. Was ist Luxus für Sie in Bezug auf Bodenbeläge?

Diez: Es gibt natürlich den traditionellen Luxus, den man bei Teppichböden in Knoten pro Quadratmeter messen kann. Oder Materialien wie Seide und Wolle. Moderner Luxus – zum Beispiel dieser Kunstrasen, das geht für mich schon in eine interessante Richtung. Den Luxus sehe ich in der Einstellung der Firma, einen Weg zu gehen, der neu ist.

Ihr persönlicher Bodenbelags-Favorit: Kunststoff, Teppich, Holz, Kork oder Stein?

Diez: Ich würde es natürlich vom Raum, vom Gebäude abhängig machen. Es gibt da schon eine neue Beliebtheit der abgepassten, handgemachten Teppiche. Das liegt auch an der Möglichkeit, diese Teppiche im Raum flexibel einzusetzen. Und der Raum, den diese Teppiche generieren, der geht mit und schafft Möglichkeit, den großen Raum drumherum ohne Wände zu gliedern.

Nach den Jahren, in denen wir stark auf Holzböden geschaut haben, hat da der Teppich wieder eine Chance zum Revival?

Diez: Ja, ich glaube schon. Weil ein Parkettboden ohne Teppich nicht wirklich richtig funktioniert. Der Teppich hat dann ein Potenzial, wenn der Kunde den Teppich versteht, die Qualitäten kennt. Meine Meinung, warum der Teppich die letzten Jahre solche Probleme hatte: Beim Teppich muss man sich auskennen, um ihn in Erwägung zu ziehen. Wohingegen bei Holz jeder weiß, was ein Echtholzparkett, Fertigparkett oder Fischgratparkett ist. Das hat sich bei vielen Immobilienanbietern und Vermietern als Qualitätsstandard festgesetzt. Ein guter Teppichboden kann aber genauso teuer sein. Aber: Er kann auch wahnsinnig billig sein. Für den Kunden ist es also nicht so leicht ersichtlich, worin der Unterschied besteht. Anders gesagt, man kann den Teppich nicht mit einem Wort bei der Wohnungsbeschreibung anfügen. Es ist ein komplizierteres Produkt.

Damit kommen wir auch schon zur letzten Frage: Sie sind gut vernetzt im Designer- und Kreativ-Bereich. Was raten Sie einem Kollegen oder Bekannten, wieso man zur Domotex fahren soll?

Diez: Weil es für einen Nicht-Insider unheimlich schwierig ist, in den 16 Hallen der Domotex herauszufinden, wer für was steht, hat die Jury der „Innovations@Domotex“ die Rosinen rausgepickt. Am Ende wird man gut unterhalten und informiert werden und nicht mit einem frustrierten Erlebnis nach Hause fahren.

www.stefan-diez.com
www.domotex.de

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