Das sogenannte Poseidon-Haus in der Theodor-Heuss-Allee in Frankfurt am Main wurde 1986 nach Plänen von Nägele, Hofmann, Tiedemann & Partner erbaut. Nun wird das bis zu 62 Meter hohe Ensemble von den Architekten Schneider+Schumacher umgestaltet und erweitert, die zuletzt durch den vielgelobten unterirdischen Erweiterungsbau des Frankfurter Städel Museums hervorgetreten sind. Besonders interessant ist dabei, wie die Frankfurter Architekten mit der Fassade umgehen. Thomas Wagner hat mit Michael Schumacher über den Umbau und die Erweiterung des Poseidon-Hauses gesprochen, wobei auch andere Projekte eines verantwortungsbewussten „Bauens im Bestand“ und grundsätzliche Überlegungen zum Umgang mit Fassaden zur Sprache kommen. MICHAEL SCHUMACHER Das Thema „Bauen im Bestand“ interessiert uns schon seit gut zehn Jahren. In Europa gibt es nun einmal viele bestehende Gebäude mit einer guten Substanz. Wenn man es ernst meint mit nachhaltigem Bauen, dann muss man solche Optionen genau prüfen. Das verhält sich ähnlich wie bei einem Auto, das etwas in die Jahre gekommen ist. Fahre ich noch einige Jahre mit einem Achtzylinder oder kaufe ich einen neuen Sechszylinder, der gerade einmal drei Prozent weniger Sprit verbraucht? Das heißt, Bauen im Bestand ist schon allein aus Gründen der Nachhaltigkeit eine Option, die es abzuwägen gilt. Auch baurechtliche Fragen spielen bei der Entscheidung eine Rolle, ob es sinnvoll ist, ein Gebäude zu erhalten und umzugestalten, statt ein neues zu bauen. Für das Grundstück des Poseidon-Hauses gab es tatsächlich die Idee, dort ein neues Hochhaus zu bauen. Nach Abwägung der Chancen, Möglichkeiten, Kosten, Nutzen und so weiter, hat man sich aber dagegen entschieden. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Zeit. Es gab einen Mieter, der die Räume möglichst schnell beziehen wollte, bei einem Neubau hätte das gesamte Verfahren aber länger gedauert als bei einem Umbau und einer Erweiterung des bestehenden Gebäudes. Also haben wir beschlossen, das vorhandene Poseidon-Haus wesentlich zu vergrößern. Wir tauschen dabei nicht nur die Fassade aus. Das Haus ist hinterher auch größer. Der hintere Verbindungsriegel ist dazu gekommen, der erstens mehr Nutzfläche schafft, und zweitens eine andere Verbindung zwischen den Gebäudeteilen herstellt. Daraus ergab sich unweigerlich: Mit dieser Veränderung der Masse und dem Einsatz neuester Energietechniken musste auch eine neue Fassade her, wobei diese nun auch gestalterisch einer anderen Logik folgt. Die alte Fassade war senkrecht gegliedert um die vielen kleinen Hochhäuser optisch zu erhöhen. Die neue Fassade hingegen versucht, das gesamte Ensemble zu einer Einheit zu verbinden. Das ist der gestalterische Aspekt. Technisch geht es heute immer darum, eine Fassade zu wählen, bei der möglichst wenig Energie verloren geht. SCHUMACHER Ich finde den Begriff der „Handschrift“ in der Architektur generell schwierig. Architektur ist vom jeweiligen Ort bestimmt und kulturell bedingt. Es geht uns nicht um eine Handschrift. Nehmen Sie beispielsweise Richard Meier. Seine Gebäude funktionieren aus meiner Sicht im Klima Kaliforniens weit besser als in Europa. Ein signifikantes Gestaltungsmuster mag medienwirksam sein, es lässt sich aber nur schwer auf unterschiedliche Orte übertragen. Wir haben eine solche Architektur immer gemieden, weil Bauwerke eine Verbindung zum Ort und nicht unbedingt zu unserem Namen haben. Natürlich ist eine solche Haltung ambivalent, weil heute jeder aus Marketinggründen auch daran interessiert sein muss, dass sich das Gebäude, das er entwirft, mit seinem Namen verbindet. Grundsätzlich aber entwickelt es sich aus der Bauaufgabe heraus. Was das bedeutet, lässt sich sehr gut anhand des Frankfurter „Silberturms“ der Dresdner Bank zeigen. In diesem Fall waren wir es, die gesagt haben: Lasst bloß die silberne Haut bestehen. Der Silberturm ist ja ein besonderes Bestandsgebäude, es ist eine Ikone der siebziger Jahre, der man die Note 2+ oder 1- geben könnte. Das ist nicht irgendein Haus. Es ist schon sehr, sehr sauber durchgestaltet. Siebziger-Jahre-Gebäude von dieser Sorte und Konsequenz gibt es in Deutschland nicht so viele. Für die Investorenseite stand dieser Aspekt nicht im Vordergrund. Aus deren Sicht sollte das Gebäude vor allem energetisch verbessert werden. Es hat uns einige Überredung gekostet, deutlich zu machen, weshalb wir die schöne Aluminiumfassade erhalten wollten. Am Ende wurde alles – Dämmung, Isolierverglasung et cetera – hinter den Deckblechen erneuert, diese aber erhalten. Die vier Millimeter starken Aluminium-Deckbleche würden heute ein Vermögen kosten. Und sie halten vermutlich noch hundert oder zweihundert Jahre. Auch das ist eine Form von nachhaltigem Bauen. Beim Poseidon-Haus hatten wir es mit ganz anderen Materialien zu tun. Die Fassade war auch bei weitem nicht so kostbar. Im Gegensatz zum „Silberturm“ ist das Poseidon-Haus ein typisches Investorengebäude. Hinzu kommt, dass der Neubauteil ein anderes Raster aufweist als der Altbauteil. Wir brauchten also eine Fassade, die diese Verstauchungen auffängt. Und das lässt sich mit Streifen eben nicht machen. Man kann nicht einfach zwischen schmalen und breiten Streifen wechseln. SCHUMACHER Die Fassade ist das Gesicht des Hauses. Da kommt man nicht drum herum. Unsere Haltung ist immer, aus den jeweiligen Notwendigkeiten heraus eine originelle, aber auch pragmatische Lösung zu generieren, die nicht von Effekten lebt. Wir arbeiten mit Proportionen und wir bauen, wo es angebracht ist, gerne Glasfassaden. Das ist immer sehr schön und hat Vorteile, was die Nutzung angeht. Energietechnisch sieht das oft anders aus. Also versuchen wird, Vor- und Nachteile auszubalancieren, mit dem Ziel, ein wichtiges Element wie die Fassade so zu gestalten, dass es markant, aber nicht geschmäcklerisch und nicht aufdringlich wirkt. Jenseits aller Zertifizierungen, die es heute gibt, lautet unsere interne Nachhaltigkeitsdefinition: Dauerhaft und schön. Und was ist in der Architektur dauerhaft und schön? Meistens ist das verbunden mit guten Materialien. Es ist also eine Frage der Güte, der Qualität. Siehe die Aluminiumplatten des Silberturms. Auf der ästhetischen Ebene der Architektur spielt es zudem eine Rolle, dass ein Bauwerk markant, aber nicht zu dominant ist. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der Westhafenturm, den wir gebaut haben, ist markant. Er ist aber trotzdem kein Schreihals. Das ist, zumindest aus meiner Sicht, für den größten Teil der Architektur die richtige Einstellung. Natürlich gab es immer schon ikonische Gebäude wie die Kirche, den Palast, das Schloss. Aber die Menge, die wir davon brauchen, ist natürlich begrenzt. Wann sollte ein Gebäude ikonografisch geprägt sein? Was entspricht denn heute einer Kirche? SCHUMACHER Was Fassaden angeht, so hat sich in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren vieles verändert. Zunächst waren Doppelfassaden im Gespräch. Das ist fast verschwunden. Dann wurde sehr viel Glas verwendet. Glas war ein sehr dominanter Werkstoff für moderne Gebäude. Auch das hat sich verändert. Wir haben es also mit einem Prozess stetigen Wandels zu tun. Gegenwärtig ist die Closed Cavity Fassade für uns besonders interessant, weil bei dieser Fassade in den Zwischenraum in geringen Dosen saubere Luft eingepumpt wird. In unseren Augen ist das im Moment die beste Fassade, weil sie mit dem geringsten Reinigungsaufwand auskommt und man mit der größten Schalldämmung arbeiten kann. Und trotzdem ist über Parallel-Aufstellfenster eine natürliche Belüftung möglich. Der Einsatz ist in dieser Kombination in Deutschland bisher einmalig. SCHUMACHER Der Aufwand ist minimal, vernachlässigbar. Aber auch dieser Faktor fließt selbstverständlich in die Gesamtberechnung ein. Langfristig wird man hier sicher noch Erfahrungen sammeln müssen. Unsere bisherige Erfahrung mit Foliendächern, die ebenfalls eine minimale Luftzufuhr benötigen, zeigt aber, dass das im Verhältnis zu anderen Problemen, die man sich beim Bauen aufhalst, eher unwichtig ist. Bevor man sich für eine bestimmte Fassade entscheidet, gilt es immer, sehr komplexe Abwägungen zu treffen. In der Regel geht man von zehn bis fünfzehn verschiedenen Fassadenmodellen aus, die dann in allen Details geprüft werden. SCHUMACHER Nein, die Closed Cavity Fassade setzen wir zum ersten Mal ein. Wir befinden uns ja immer an einer bestimmten Stelle innerhalb der technischen Entwicklung. Man erkennt bestimmte Möglichkeiten und denkt sich, man könnte dieses und jenes Problem verringern. Beim Poseidon-Haus lassen sich beispielsweise keine tiefen Fassaden realisieren. Und die Closed Cavity Fassade ist eine relativ flache Fassade mit einem hohen Lärmschutz, was an der stark befahrenen Straße, an der das Gebäude liegt, eine Rolle spielt. Architektur ist überhaupt nie die Erfindung von etwas komplett Neuem. Man versucht doch ständig, einige Aspekte weiterzuentwickeln und sie auszubalancieren mit den gewünschten formalen und städtebaulichen Aspekten. In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein anderes Gebäude erwähnen, weil sich daran ein weiterer Aspekt eines Bauens im Bestand zeigt: Das amerikanische Generalkonsulat in Frankfurt. Entworfen von Skidmore, Owings and Merrill, ist es ein typisches modernes Gebäude der fünfziger Jahre. Das war damals eine Ikone. Da standen die Architekten hier in Frankfurt Kopf. Diese Curtain Wall Fassaden waren damals top, das Ultimative. Sechs Konsulate haben Skidmore, Owings and Merrill damals mehr oder weniger nach demselben Ansatz realisiert. Und jetzt ist alles in die Jahre gekommen. Schaut man sich alte Fotos des Konsulats an, so kann man sehen, dass die Fassade auf fünfzig Millimeter starken Aluminiumprofilen aufgebaut ist. Da läuft das Tauwasser runter, und in jedem Fenster befindet sich ein Lüftungsring, eine Art Propeller. Zudem hat sich die Fassade im Laufe der Jahre verzogen. Alles ist kaputt, unbrauchbar. Also taucht die Frage auf: Was machst Du jetzt damit? Der Denkmalschutz möchte die Authentizität des Baus wahren. Also beginnt eine interessante Diskussion, was aus heutiger Sicht das Authentische an dem Gebäude ist. Wir haben immer gesagt, uns geht es darum, den „Spirit“, den Geist des Gebäudes, in die Gegenwart hinüber zu retten. Außer einigen Betonstützen ist vom ursprünglichen Gebäude am Ende nicht viel übrig geblieben. Aber der Geist, so denke ich, ist geblieben. Ich wette, wenn Louis Skidmore noch lebte und das Gebäude in seiner heutigen Gestalt sehen würde, er würde sagen: Genauso haben wir es gemeint, schön, dass es das noch gibt. Das ist richtig klasse. Und energetisch obendrein zu einem Zweiliterauto geworden. Auch hier ging es somit nicht um unsere Handschrift.
Gegenwärtig hat das Gebäude 24.000 Quadratmeter Bürofläche, die im Zuge des Umbaus auf 40.000 Quadratmeter vergrößert werden. Dies wird hauptsächlich durch einen Neubau im nordwestlichen Teil des Areals erreicht. Mit voraussichtlich siebzehn Geschossen wird dieser ebenso hoch wie der höhere der vorhandenen Bauteile. Der Eingangsbereich und die Freiflächen werden ebenfalls umfassend saniert oder neu gestaltet. Bei allen Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen steht die Reduzierung des Energieverbrauchs im Zentrum, wobei eine Zertifizierung nach LEED als „Green Building“ in der Stufe „Gold“ angestrebt wird.
THOMAS WAGNER: HERR SCHUMACHER, WAS HAT SIE AN DER UMGESTALTUNG DES EHEMALIGEN POSEIDON-HAUSES BESONDERS GEREIZT? HÄTTEN SIE, WENN ES DIE CHANCE GEGEBEN HÄTTE, LIEBER EIN NEUES HOCHHAUS GEPLANT?
BEVOR WIR ZU DEN EHER TECHNISCHEN FRAGEN KOMMEN: KÖNNEN SIE ETWAS ZU DEN GRÜNDEN SAGEN, WESHALB SIE DIE ALTE NADELSTREIFENFASSADE, DIE DAS GEBÄUDE OPTISCH ERHÖHT, AUFGEGEBEN HABEN ZUGUNSTEN EINER GESTALTERISCHEN LÖSUNG, DIE DAS ENSEMBLE EHER ZUSAMMENBINDET? HAT DIE ALTE FASSADE ÄSTHETISCH NICHT IHRER HANDSCHRIFT ENTSPROCHEN?
LASSEN WIR DIE FRAGE EINER „HANDSCHRIFT“ MAL BEISEITE. WENN ICH MIR IHRE PROJEKTE ANSCHAUE – UND WIR REDEN JA ÜBER FASSADEN –, DANN HABE ICH DEN EINDRUCK, DASS SIE, IM POSITIVEN SINNE, VIEL WERT AUF DIE GESTALTUNG DER FASSADE LEGEN. IST DIE FASSADE FÜR SIE EIN BESONDERS RELEVANTER TEIL DES GEBÄUDES? SPIELT SIE BEREITS BEIM ENTWURF EINE WICHTIGE ROLLE?
WESHALB HABEN SIE FÜR DAS POSEIDON-HAUS GERADE DIE „CLOSED CAVITY FASSADE“ GEWÄHLT? WAS SIND DEREN VORTEILE? WAS ZEICHNET DIE CLOSED CAVITY FASSADE, AUCH UNTER ÖKONOMISCHEN GESICHTSPUNKTEN, IM VERGLEICH ZU ANDEREN FASSADEN AUS?
VERBRAUCHT ES VIEL ENERGIE, LUFT IN DIE ZWISCHENRÄUME DER FASSADE ZU PUSTEN?
HABEN SIE DIESE ART FASSADE SCHON BEI ANDEREN GEBÄUDEN EINGESETZT?
Dauerhaft und schön
31.08.2012
Michael Schumacher, Architekt und Inhaber des Architekturbüros Schneider+Schumacher, Foto © Robert Volhard, Stylepark
Michael Schumacher, Architekt und Inhaber des Architekturbüros Schneider+Schumacher, Foto © Robert Volhard, Stylepark
Das international tätige Architekturbüro hat seinen Hauptsitz in Frankfurt am Main, Foto © Robert Volhard, Stylepark
Neben dem hier abgebildeten Standort in Frankfurt gibt es eine weitere Niederlassung in Wien, Foto © Robert Volhard, Stylepark
Ein aktuelles Projekt der Architekten Schneider+Schumacher sieht den Umbau des Poseidon-Hauses in Frankfurt am Main vor, Foto © Deka Immobilien Investment GmbH
Der 62 Meter hohe Bau wurde 1986 von den Architekten Nägele, Hofmann, Tiedemann & Partner fertiggestellt, Foto © Deka Immobilien Investment GmbH
Das bestehende Gebäude soll durch einen Neubau erweitert werden, Foto © Deka Immobilien Investment GmbH
Im Rahmen des Umbaus soll das Poseidon-Hauses mit einer energieeffizienten „Closed Cavity Fassade“ ausgestattet werden, Foto © Deka Immobilien Investment GmbH
Der Silberturm im Frankfurter Bahnhofsviertel war bis 1990 mit 166 Metern das höchste Gebäude Deutschlands, Foto © Kirsten Bucher
Die Fassade des Silberturms besteht aus silber-glänzenden Aluminiumplatten, Foto © Kirsten Bucher