Daten machen Kleider
„Digital Fashion“ ist ein noch recht junger Begriff, und vielleicht wird diese Mode nie wirklich ihren Durchbruch erleben. Doch angesichts jüngster Erscheinungen wie Jacken mit integrierten Solarzellen, Büstenhalter mit eingebautem GPS-System und Mode aus dem 3D-Drucker, die alle irgendwie unter diesen Begriff fallen, sollte man vielleicht nicht zu schnell abwinken.
Die Bekleidungsindustrie hat in den vergangenen 150 Jahren, in der die industrielle Produktion ihren Herzrhythmus um ein Vielfaches gesteigert hat, schon einige bahnbrechende Innovationen hervorgebracht. Ein Quantensprung ereignete sich Mitte des 19. Jahrhunderts, als in der Massenproduktion Handarbeit durch die Einführung mechanischer und später elektrischer Webstühle weitgehend verzichtbar wurde. Synthetische Materialien wie Nylon oder Elastan, die in den 1930er Jahren aufkamen, verliehen Textilien neue Eigenschaften, machten die Kleidung komfortabel und dehnbar. Seitdem wurden synthetisch gewonnene Fasern weiterentwickelt und in ihrer Anwendung verfeinert. Heute bieten etwa Funktionstextilien einen erhöhten Wärmeschutz oder sind dank Nano-Beschichtung absolut wasserdicht. Trotz fortschreitender Optimierung hat sich bei der Verarbeitung eines jedoch kaum geändert: Textilien werden weiterhin gewirkt oder gewebt. Ob dies angesichts digitaler Herstellungsverfahren schon bald der Vergangenheit angehört?
Gedruckte Rüstungen
Die aufsehenerregenden Kreationen der niederländischen Designerin Iris Van Herpen treten seit etwa vier Jahren den Beweis dafür an, dass man Mode auch ausdrucken kann. Ihre Roben ähneln dabei mehr Kunstgebilden als Kleidungsstücken. Was sie entwirft, sind Rüstungen für Amazonen der Gegenwart wie Lady Gaga oder Björk, die beide zu ihren Kundinnen zählen. Van Herpens Kreationen erinnern an die Panzerungen von Echsen, Insekten oder Aliens – mit einem leicht morbiden Anstrich. Im Alltag tragbar ist diese Mode kaum. Sie ist gemacht für die große Show auf der der Bühne oder dem Laufsteg. Nicht von ungefähr präsentiert Van Herpen ihre einzigartigen Modelle bei den Haute Couture-Schauen in Paris, deren Konsortium sie zuletzt mit einem Förderpreis von 25.000 Euro ausgezeichnet hat.
Bemerkenswert an dem Phänomen Iris Van Herpen ist, wie sie als Modedesignerin arbeitet: Ihre Modelle entstehen in Kooperation mit Architekten am Computer und werden mittels 3D-Druckern des belgischen Druck-Spezialisten Materialise ausgedruckt. Vorbei die Zeit, in der noch zugeschnitten, gesteckt und genäht wurde. Die korallenähnlichen Häute ihrer „Voltage“-Kollektion aus dem vergangenen Sommer kreierte Van Herpen beispielsweise zusammen mit Neri Oxman, der Gründerin und Direktorin der Design-Forschungsgruppe „Mediated Matter“ am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Mit Rem D. Koolhaas, dem Neffen des Architekten und OMA-Gründers Rem Koolhaas, entwirft sie für dessen Marke United Nude 3D-gedruckte Schuhe, die ebenso wie ihre Kleider waghalsig und ungewöhnlich auftreten, wie beispielsweise jene Exemplare, die in ihrer Erscheinung Baumwurzeln nachempfunden sind.
Iris Van Herpen ist nicht die einzige, die Mode „drucken“ lässt: Burlesque-Tänzerin Dita Von Teese trägt seit vergangenem Jahr ein atemberaubendes, 3D-gedrucktes Kleid, das der Designer Michael Schmidt und der Architekt Francis Bitonti entworfen haben. Das schwarze Kleid mit überhöhter Schulterbetonung besteht aus einem flexiblen Plastikgeflecht und wurde millimetergenau auf Dita Von Teeses Körper gerendert. Um die außerirdisch anmutende Wirkung noch zu erhöhen, wurden zudem 12.000 Swarovski-Steine auf der digital fabrizierten Robe angebracht.
Nicht weniger spektakulär erscheinen die Entwürfe der in Tel Aviv geborenen Noa Raviv, einer Modedesignstudentin vom Shenkar College of Design Auch Raviv arbeitet mit CAD-Programmen. Gedruckt aber wird nur das „Gerüst“ ihrer Kleider, das sie dann auf Seide und Tüll stickt. Daraus entstehen elfenhaften Gebilde, die die formale Ästhetik von CAD-gerenderten, organischen Formen widerspiegeln
Nie wieder Koffer schleppen?
Die Entwürfe von Van Herpen und Raviv dürfen einstweilen als eine extravagante Randerscheinung gelten. Dennoch gibt es seit kurzem digital erstellte Mode für den Massenmarkt: Im Januar 2014 stellte das traditionsreiche Modehaus Pringle of Scotland eine Kollektion vor, bei der 3D-gedruckte Partien aus Kunststoff auf Textil aufgestickt werden. Die Glieder-Struktur des gedruckten Plastiks macht diese „Stoff“-Partien flexibel, so dass sie sich ebenso wie die darunterliegenden Textilien und schließlich dem Körper anschmiegen. Damit sei die erste 3D-gedruckte Prêt-à-porter-Linie der Welt geboren, ließ das Haus verlautbaren. Die Kollektion wird aktuell in den Läden angeboten – man darf also gespannt sein, wie die Kundinnen auf diese High-Tech-Mode reagieren.
Aber nicht allein Herstellungsverfahren verändern sich. Wie bei anderen Objekten aus dem 3D-Drucker liegt auch bei der Mode die Versuchung nahe, sich seine Bekleidung individuell zusammenzustellen und sie nach Bedarf direkt zu produzieren. Wie das funktionieren könnte, macht der der finnische Designer und 3D-Druck-Pionier Janne Kyttannen deutlich. Um den Reisenden zu entlasten schickt er mit Hilfe seines „Lost Luggage Kits“ Dateien anstelle eines Koffers an den Zielort, um dort Kleider, Schuhe, Taschen und sonstige Utensilien drucken zu können. Das klingt recht utopisch – aber sind nicht schon andere Dinge, die wie Science-Fiction klingen, Realität geworden?
Kommunizierende Büstenhalter
Noch einen Schritt weiter gehen intelligente Textilien, die auf die Umgebung reagieren, die leuchten und kommunizieren, Energie speichern oder den Lebensrhythmus überwachen. Solche Textilien sollen verstärkt in der Medizin, im Sport, aber auch in der Architektur und in Mobilitätssystemen Einsatz finden. Selbst für Alltagskleidung kommen solch vernetze High-Tech-Gewebe in Betracht, da sie von sich aus mit dem Auto oder mit der Umgebung kommunizieren oder sich automatisch veränderten Wetterbedingungen anpassen können. Beispiele gibt es bereits einige: Etwa den Sensor-Babybody des Instituts für Textil- und Verfahrenstechnik in Denkendorf (ITV), der Vitalfunktionen überwacht. Oder den Büstenhalter der brasilianischen Firma Lindelucy, in den ein GPS-Sender eingebaut ist. Selbst die deutsche Fußball-Nationalelf trainierte für die Weltmeisterschaft 2014 mit smarten Textilien von Adidas, die Geschwindigkeit, Abstand, Herzfrequenz und Leistung an die Trainer übermittelten.
Dass Textilien auch Energie erzeugen können, stellt die niederländische Designerin Pauline von Dongen unter Beweis – mit ihren Kleidern, in die Solarzellen integriert sind. Uhren und Brillen mit Internetzugang gibt es bereits, woraus man schließen kann, dass vergleichbare Entwicklungen im Textilbereich erst einen Anfang darstellen. Das zeigen auch Initiativen rund um den Globus wie etwa der Think-Tank „Computational Fashion“ in New York, der Künstler, Designer und Wissenschaftler zusammenbringt und von der „Rockefeller Foundation“ unterstützt wird, ebenso wie das „Forschungskuratorium Textil“ vom deutschen „Gesamtverband Textil + Mode“, das der Entwicklung von technischen und intelligenten Textilien bis 2025 oberste Priorität eingeräumt hat. Zuletzt hat das „Wear-It“ Festival in Berlin von sich Reden gemacht, das Anfang Oktober 2014 zum ersten Mal stattfand – und das von den Machern und Künstlern der „Trafo-Pop“-Bewegung in Berlin, Radfahrer, die mit leuchtenden Jacken durch die Gegend tingeln, veranstaltet wurde. Dabei wollen die Macher um „Trafo-Pop“-Gründer Thomas Gnahm ein Netzwerk zu etablieren, das sich elektrifizierter, smarter Kleidung aus einer künstlerischen-spielerischen Perspektive nähert. Rund 60 Personen, nicht nur aus Europa, sondern auch aus Asien und den USA, nahmen an der zweitägigen Konferenz teil, die anschließende Party im Platoon mit vielerlei smarten Kunstinterventionen zog rund 300 Leute an – damit springt womöglich auch der Funken von den technisch versierten Anwendern zum Ottonormalverbraucher über.
So gesehen ist „digital Fashion“ die neue Avantgarde im Mode-Bereich. Die Idee, Kleidung mit neuen, digitalen Funktionen anzureichern bis hin zu der Idee, Kleider auszudrucken, hat ohne Zweifel etwas Faszinierendes. Während die smarten Textilien schon längst eine Relevanz in Wissenschaft und im Markt haben, bleibt die Zukunft der ausgedruckten Mode jedoch fraglich. Im Vergleich zu diesen Materialstrukturen, die meist aus Plastik bestehen, sind gewebte und gewirkte Textilien aus Wolle, Pflanzenfasern oder synthetischem Ursprung freilich seit Jahrhunderten ebenso bewährte wie probate Körperhüllen, die nicht nur angenehm tragbar, wärmend und atmungsaktiv sind, sondern sich unter Umständen auch abändern lassen. So erweist sich die Vorstellung, Bekleidung würde künftig nur noch gedruckt, zumindest gegenwärtig noch als ebenso waghalsig wie die Schuhe von Iris Van Herpen. Denn wer wollte wirklich eine kalte Plastikhaut gegen einen wärmenden Wollmantel oder ein Kleid aus Kunststoff-Geflecht gegen eine fließende, den Körper angenehm umspielende Seidenrobe eintauschen? Nicht weniger fraglich bleibt, ob sich polygonal geformte Plastikstelzen von United Nude gegen rahmengenähte Leder-Schuhe behaupten werden. Zumal die global agierende Bekleidungsindustrie – man denke an die Arbeitsbedingungen, aber auch an ethische Fragen hinsichtlich Kennzeichnung und chemischer Behandlung von Stoffen – derzeit vor ganz anderen Herausforderungen stehen dürfte als vor der Frage, ob Textilien nicht mehr gewirkt oder gewebt, sondern geduckt werden sollten.
www.textilforschung.de
www.fashion.eyebeam.org
www.itv-denkendorf.de
www.wearit-berlin.com
www.irisvanherpen.com
www.francisbitonti.com
www.noaraviv.com
Literaturtipp:
Garments of Paradise
Wearable Discourse in the Digital Age
Von Susan Elizabeth Ryan
MIT Press, June 2014, Cambridge
Hardcover, 336 Seiten
35.00 US-Dollar