Das U-Boot taucht wieder auf
von Paul Andreas
10.05.2016 Endlich Zuhause – so könnte man es etwas salopp sagen. Nach jahrelangen Gastspielen in verschiedenen Rotterdamer Kulturinstitutionen ist die siebte Ausgabe der Internationalen Architekturbiennale Rotterdam (IABR) dort angekommen, wo sie sich selbst auch thematisch verortet: Das ehemalige Kaffeelagerhaus Fenix ist ein durch rauen Industriebeton geprägter Zwischenort, dessen Zukunft zumindest teilweise noch ungewiss ist. Das Lagerhaus mit seinen großen, offenen Hallen ist außerdem, mitten im neuen Hipster-Viertel Katendrecht gelegen, ein Hotspot der Gentrifizierung. Vor knapp drei Jahren wurde dieses ehemalige Hafen- und Rotlichtquartier mit einem schon lange überdurchschnittlich hohen Migrantenanteil in der Bevölkerung an das Vorzeigegebiet der Rotterdamer Stadtentwicklung angeschlossen: an den Wilhelminapier. Die IABR versucht nun ihrerseits, Jahre nach dieser physischen Erschließung, eine Gedankenbrücke zwischen den beiden Gebieten sowie zwischen den alten und neuen Bewohnern zu bauen. Viele Diskussionsformate und Workshops sind explizit darauf ausgelegt, neben dem Fachpublikum auch die Nachbarschaft an- und einzubeziehen, außerdem sollen in Stadtführungen die Nischenräume und Mikroökonomien von Katendrecht gemeinsam erforscht werden. Anders als etwa die Architekturbiennale in Venedig, die trotz ihrer spürbaren thematischen Schärfung in den letzten Jahren doch ein Wechselspielbetrieb bleibt, versteht sich die IABR als ständiger „glocal Think Tank“: Die eingeladenen internationalen Fachleute sollen mit ihrer Expertise letztlich helfen, jenseits etablierter Planungsroutinen an lokalen und regionalen Raumproblemen zu feilen. Oder, um in der Metaphorik des langjährigen Biennale-Direktors George Brugmans zu bleiben: Die IABR agiere wie ein U-Boot, meist bleibt sie im Unsichtbaren, taucht aber alle zwei Jahre auf um Zwischenergebnisse in Form von Inspirationen, Planungsstrategien und Raumtaktiken zu präsentieren. Die nächste Ökonomie muss eine urbane sein Die Frage des Politologe, der lange als Urban Policy-Berater für die niederländische Regierung tätig war und jetzt vor allem in Utrecht ål Hochschullehrer Urban Futures unterrichtet, ist zunächst eher wirtschaftspolitisch als architektonisch: Was könnte der fossilen „Old“ und der neoliberalen „New Economy“ als neues Modell folgen? Diese „Next Economy“ muss angesichts der rasanten globalen Urbanisierung primär eine urbane Ökonomie sein, die ökonomisch vital, postfossil smart und vor allem sozial integrativ sein soll. Um Seitenhiebe auf die Liebhaber und Hersteller von Smart Technologies ist Hajer, der in der Ausstellung eine Station mit einem ironisch zugespitzten Blick durch eine Datenbrille eingerichtet hat, nie verlegen: Google, Facebook, Apple & Co mögen fleißig an ihren Zukunftsbildern feilen, bisher sind das nur Bilder für eine Premiumgesellschaft, und in ihnen lauern die Fallstricke systemischer Betriebsblindheit. Ein Kristallpalast für Rotterdam Beim Kreislaufwirtschaften und einer stärkeren räumlichen Vernetzung von Produktion, Innovation und Konsum könnte das überregulierte Europa einiges von Asien und Afrika lernen. Wer sich etwa fragt, wo die in Europa ausgedienten Autos landen, der sollte einmal Ghanas zweitgrößte Stadt, Kumasi, besuchen. Auf einem großen Gebiet, das ehemals der britischen Armee als Waffenlager diente, werden hier die Altvehikel in einer brummenden Agglomeration von Open-Air-Werkstätten, Fabriken und Shops für den afrikanischen Markt repariert oder aus alten Teilen neu zusammengeschraubt – ein Vorzeigebeispiel informell organisierter Kreislaufwirtschaft. Auch auf den benachbarten Tischinsel geht es um die Urbanisierung in Afrika und wie diese sowohl kleine taktische Projekte als auch großmaßstäbliche Anstrengungen mit globalem Kapital gebiert: Pionier-Netzwerkprojekte wie das genossenschaftlich organisierte Photovoltaik-Netz Ishack in Südafrika stehen da einem 44-Gigawatt-Staudamm-Projekt im Kongo oder dem in Marokko jüngst gestarteten Sahara-Sonnenpark gegenüber. Bewertet, was am Ende tatsächlich smarter oder sozial inklusiver ist, wird das in dieser Ausstellung allerdings nicht. Mehr Stadt von unten Internationale Architekturbiennale Rotterdam |
Konzentrierter Blick ins Virtuelle: In der Hauptausstellung „The Next Economy” werden die sogenannten „smarten Technologien” ironisch ins Visier genommen. Foto © Hans Tak, IABR
Aufschwung für das Einwandererviertel Katendrecht: Die Biennale findet hauptsächlich in einer ehemaligen Kaffeelagerhalle südlich der Maas statt. Foto © Kim Bouvy, IABR
Große Fragen gemeinsam beantworten: Bei der Biennale sollen internationale Fachleute helfen lokale Probleme zu lösen. Kampagenbild © IABR
Ein Archipel aus Tischen: Die knapp 60 präsentierten Projekte wurden aus 283 Vorschlägen aus 35 Ländern ausgewählt. Foto © Hans Tak, IABR
Sie können gerne auch auf dem Tisch liegen: Die MDF-Platten sind stabil genug, damit sich Besucher darauf legen und eine Projektion an der Decke verfolgen können. Foto © Hans Tak, IABR
Nachrüstung einer informellen Siedlung in Stellenbosch bei Kapstadt mit Solarzellen: Es werden auch zahlreiche Projekte aus Afrika und Asien gezeigt. Foto © Megan King
Eines der wichtigsten Projekte: Die Stadtentwicklung in Amsterdam-Buiksloterham rund um ein ehemaliges Werftgelände. Foto © Stadslab Buiksloterham
Alles muss auf den Tisch: Die Insellandschaft aus großen Arbeitstischen wurde von den Brüsseler Architekten 51N4E gestaltet. Foto © Lotte Stekelenburg, IABR
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