Drei Katalanen für ein Halleluja
Es darf schon als faustdicke Überraschung bezeichnet werden, wenn der Pritzker-Preis an ein katalanisches Architektentrio vergeben wird, das wirklich niemand auf dem Zettel hatte. Was waren für Namen im Spiel gewesen: Bjarke Ingels, David Chipperfield, Steven Holl, Peter Eisenman, David Adjaye. Und nun: RCR aus dem 30.000-Einwohner-Städtchen Olot in den spanischen Pyrenäen. RC – wer?
Hinter RCR stehen Trio Rafael Aranda, Carme Pigem und Ramon Vilalta, der Büroname setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Vornamen zusammen. Sie sind jetzt alle Mitte 50, ihr Büro betreiben sie schon seit 1988 gemeinsam. Sie haben es in ihrer Heimatstadt gegründet, inzwischen sitzt es in einer alten Gießerei, die sie selbst umgebaut haben und dabei eigentlich so weit wie möglich so beließen, wie sie sie vorgefunden haben. Nur wo es nötig oder sogar unvermeidlich war, wurden neue Elemente hinzugefügt, die dann allerdings klar erkennbar zeitgenössische Zutaten sind: große Glasflächen oder Stützen und Dächer aus Stahl. Ihre Biografien lesen sich solide und bescheiden. Sie verdeutlichen, dass alle drei Partner heimatverbundene Menschen sind – keine modernen Nomaden, die auf drei verschiedenen Kontinenten studiert und bei den berühmtesten Architekten gearbeitet haben. Und auch die Projekte ihres Büros finden sich zum überwiegenden Teil direkt in der Umgebung ihres Büros zwischen Girona und Barcelona, auch wenn RCR auch schon in Frankreich und Belgien gebaut haben.
In der Jury-Begründung des Pritzker-Preises heißt es , dass die Architekten ein „starkes Gespür für die Orte“ haben, an denen sie bauen, für deren Geschichte, Materialien und Atmosphäre. Es gelänge ihnen, die Architektur „kraftvoll mit ihrer Umgebung zu verbinden“, die „Positionierung der Gebäude, die Wahl von Materialien und Geometrien“ wolle „immer die natürliche Umgebung betonen und ins Innere der Häuser ziehen.“ So wie sie „Außen und Innen eng miteinander verbinden, so verbinden sie auch Alt und Neu in ihren Arbeiten.“ Wer zunächst nur diese Beschreibungen liest, der könnte an Lehmbauten denken, an grob geschichtete Mauern aus lokalem Naturstein, an Holz- oder gar an Pfahlbauten. So idyllisch klingt der Jurybericht streckenweise.
Nur sehen die Projekte von RCR völlig anders aus. Sie pflegen eine ziemlich ausdrucksstarke Architektur, deren atmosphärischer Reiz oft aus einer Mischung von großen, geschlossenen Stahlkörpern und großen, öffnenden Glasflächen entsteht. Während kleinere Aufgaben wie etwa das „Haus für einen Zimmermann“ von 2007 dabei oft wie etwas überdimensionierte und ungelenke Skulpturen wirken, entsteht gerade bei größeren Gebäuden eine poetische und skulpturale Anmutung, die Erinnerungen an Arbeiten von Mies van der Rohe, Luis Barragan und Richard Serra gleichermaßen hervorruft.
Schon seit längerer Zeit finden die Arbeiten von RCR Beachtung, auch wenn sie wohl niemand als Favorit für einen Pritzker-Preis genannt hätte – außer vielleicht William JR Curtis, der in Spanien lebende, lautstarke Kritiker des Stararchitektentums, der jüngst eine Monografie über das Büro herausgebracht hat und der dessen Werke schon lange über alle Maßen lobt. Auch die renommierte spanische Monographien-Reihe El Croquis hat ihnen bereits zwei volle Ausgaben gewidmet. Insbesondere ihr schroffes Museum aus Metallquadern, das sie 2011 für die Arbeiten des französischen Malers Pierre Soulages ins südfranzösische Rodez gesetzt haben, wurde international eifrig besprochen, ebenso das Hauptgebäude für das Weingut Bell-Lloc in Palamós aus dem Jahr 2007, das sich mit seinen gefalteten Stahlwänden flach und dunkel in die Weinberge nahe Girona duckt. Im katalanischen Ripoll haben sie einen dunklen, an zwei Seiten offenen Kubus als eine Art Theaterbühne im öffentlichen Raum errichtet. Und in ihrer Heimatstadt Olot hängten sie für das Restaurant Les Cols ein durchsichtiges und gekrümmtes Kunststoffdach zwischen alte Steinmauern und schufen so einen Saal, der mit seinen durchsichtigen Plastiktischen und -stühlen etwas sehr Ätherisches bekommen hat.
Fraglos – RCR haben insbesondere in den letzten 15 Jahren mit ihrer Arbeit wiederholt Aufmerksamkeit erregt, auch jenseits der Grenzen Spaniens. Aber nehmen sie damit international eine solche Ausnahmestellung ein, dass sich die Vergabe des Pritzker-Preises erklärt? Ein Preis, der immerhin nicht müde wird, sich selbst als den renommiertesten Architekturpreis zu würdigen, der nur für ein wirklich herausragendes Lebenswerk vergeben wird und der jeden Preisträger automatisch in eine Reihe stellt mit so berühmten Vorgängern wie Oscar Niemeyer, Herzog & de Meuron, Aldo Rossi, Kenzo Tange, Rem Koolhaas oder Philipp Johnson, der 1979 der allererste Preisträger war. Wie passen RCR in diese Reihe?
Ganz einfach: Erst einmal passen RCR gar nicht in diese Aufzählung. Hätte der Pritzker-Preis aktuell ein Interesse, weiterhin nur die berühmtesten lebenden Architekten der Welt zu ehren, dann wäre die Wahl von David Chipperfield, Peter Eisenman, Steven Holl oder Bjarke Ingels natürlich folgerichtig gewesen. Dass alle diese Namen einmal mehr übergangen wurden zeigt erneut, dass die Jury, die inzwischen schon seit ein paar Jahren weitgehend unverändert zusammen über die Vergabe des Preises entscheidet, eher daran interessiert schient, die Haltung eines Büros zu ehren, statt den „Pritzker“ zu einem Club zu machen, zu dem nur die sowieso schon berühmtesten Architekten Zutritt erhalten. Für die Relevanz des Preises ist das eine sehr gute Nachricht. Denn dieser zielt ja insgesamt weniger auf die Fachwelt, sondern erreicht in seiner Popularität insbesondere auch die breite Öffentlichkeit der internationalen Tagespresse. So wird nun dieser an Architektur nur gelegentlich interessierten Öffentlichkeit einmal mehr nicht das sowieso schon bekannte Gesicht von beispielsweise Chipperfield vorgesetzt, sondern sie wird dazu angeregt, sich mit der ungleich komplexeren Einstellung eines weitgehend unbekannten Büros wie RCR auseinander zu setzen. Insofern passen die drei Katalanen vielleicht weniger in eine Reihe mit Kohlhaas, Johnson oder Niemeyer, mit deren Wahl die aktuelle Jury nichts zu tun hatte, dafür aber sehr gut in die Reihe ihrer jüngsten Vorgänger.
Denn da finden wir etwa Wang Shu (2012), Shigeru Ban (2014), den auch an Architektur interessierten Erfinder Frei Otto (2015) oder den Preisträger des letzten Jahres, Alejandro Aravena. Sie alle stehen für eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Verantwortung des Architekten, wenn auch mit höchst unterschiedlichen Strategien: verwiesen sei nur etwa auf die Katastrophenhilfsarchitekturen von Shigeru Ban oder die Versuche von Alejandro Aravena, den sozialen Wohnungsbau in Südamerika zu reformieren. Mit der Wahl von RCR setzt die Jury ihr Interesse an dieser Fragestellung fort, indem sie ein Büro auszeichnet, in dessen Arbeiten sich eine intensive Auseinandersetzung mit der Landschaft und der lokalen Geschichte zeigt, selbst wenn das dann immer wieder zu etwas sehr skulpturalen Gebäuden führt, die die Landschaft eher zu überformen scheinen, als ihre natürlichen Eigenschaften zu stärken. Man könnte auch sagen: Ein paar ausdrucksstarke Gebäude gehören offenbar noch immer unbedingt dazu, wenn man einen Pritzker-Preis gewinnen möchte.
Die zweite gute Nachricht ist: Mit RCR gewinnt nun erstmals ein Trio diesen Preis, der in seiner fast 50-jährigen Geschichte ja schon öfter erhebliche Probleme damit hatte, die Leistung aller Büropartner gleichberechtigt anzuerkennen. Hier sei nur kurz an die Solo-Vergaben an Roberto Venturi (ohne seine Büropartnerin Denise Scott Brown), an Wang Shu (ohne dessen Partnerin Lu Wenyu) erinnert. Wenn mit RCR nun also ein Büro mit drei gleichberechtigten Partnern beiderlei Geschlechts ausgezeichnet wird, das auch noch explizit für seinen kollaborativen Entwurfsprozess gelobt wird, dann scheint dieser Pritzker-Preis und mit ihm die Architekturwelt vielleicht wirklich auf einem guten Weg zu sein.