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Das Smart Home bin ich

Im Jahr 2014, im Rahmen der 14. Architekturbiennale in Venedig sprach Rem Koolhaas mit Tony Fadell, dem Erfinder des Raumthermostats „Nest“ und nach Koolhaas’ Aussage der „erste offizielle Besucher aus dem Silicon Valley bei einer Architekturbiennale überhaupt“, über Architektur im digitalen Zeitalter. Fadells Firma Nest Labs – angetreten, die Bedienung und den Nutzen von Haustechnik grundlegend neu zu erfinden – war Anfang 2015 für sensationelle 3,2 Milliarden US Dollar nicht etwa von einem Hersteller für Smart-Home-Technologien, sondern von Google gekauft worden. Diese Nachricht sorgte nicht nur aufgrund der astronomischen Kaufsumme, sondern auch wegen der Implikationen dieser Akquise durch den Internetriesen medial für viel Aufmerksamkeit. In den Worten von Koolhaas: „Jedes uns bekannte architektonische Element wird sich bald mit der Digitaltechnologie verbandeln. Normalerweise sind architektonische Elemente taubstumm. Sie können weder hören noch sprechen. Im Falle von Nest muss man aber mit ihnen reden. Dadurch entsteht eine Beziehung zwischen dem digitalen Element und dem Besitzer. Jedes Element wird grundlegend von seiner Verbindung zur digitalen Welt beeinflusst. Das mag selbstverständlich sein, aber die Architekturwelt hat sich bisher noch nicht damit befasst.”

Start-ups mit den immer gleichen Produktideen

Auf der Consumer Electronic Show in Las Vegas (CES), der weltweit größten Messe dieser Art, hatten die Technologien für „smarte“ Häuser bisher eher ein Nischendasein gefristet. Nicht so seit Beginn 2016: Mit Produkten von Google, Apple, Samsung und Amazon ist das Smart Home im technologischen Mainstream angekommen und wieder einmal bekommt eine Industrie Konkurrenz von außerhalb: „Die Firmen, die in der mobilen Welt herrschen, erobern nun die der Smart-Homes“, titelte das Branchenblatt „The Verge“. Bis dato waren es vor allem einzelne Produkte, die die Aufmerksamkeit auf sich zogen, wenngleich – trotz der Aufmerksamkeit durch die milliardenschwere Investition von Google – nicht allen Eigenheimbesitzern einleuchten will, worin die Vorteile eines lernenden Thermostats, Rauchmelders oder einer Überwachungskamera bestehen sollen.

Die Kontrolle und Steuerung der Heizung per An- und Abwesenheit sollte auf den Smartphones aller Familienmitglieder installiert werden, sonst gibt es kalte Füsse. Foto © Tado

Auch in Deutschland formieren sich eine Vielzahl kleinerer Unternehmen, die in den Bereich des Smart Homes drängen. So entwickelt zum Beispiel das Münchner Start-Up Tado Hightech-Wärmeregler, die sich, selbstständig lernend, an das Verhalten seiner Nutzer anpassen. Das Konzept ist schlicht: Einsparungen für den Nutzer werden dadurch realisiert, dass nur geheizt wird, wenn man zu Hause ist oder wenn man sich seinem zu Hause nähert. Die Daten dafür werden mittels GPS erhoben. Vom digitalen Türschloss von Nuki, das gerne zusammen mit einem digitalen Videosystem für die Haustür verwendet werden kann, über ferngesteuerte Jalousien auf Basis von DigitalStrom und Kochtöpfe von Belkin bis zum verschiebbaren Wandteiler, gibt es, so wie von Koolhaas beschrieben, fast kein Element des Wohnhauses mehr, was nicht zumindest theoretisch bereits mit dem Smartphone zu steuern wäre. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Anbietern und Produkten, die allesamt versuchen, im Markt erfolgreich zu sein. Und damit wird deutlich, woran es mangelt: Wer verbindet diese isolierten Inseln miteinander? Welcher Standard wird sich durchsetzen? Steuerung per Gesten oder Sprache, Sensoren am Körper, im Smartphone oder im Raum? Übertragungsstandards wie Bluetooth, Wi-Fi oder Infrarot? Könnte also der Kauf eines Angebotes bereits der vermeintliche Weg in eine technische Sackgasse bedeuten?

Gehört der Schlüssel der Vergangenheit an? Ein Investor des elektronischen Schlossanbieters Nuki ist der dänische Architekt Bjarke Ingels von BIG Architekten. Foto © Nuki

Eine mögliche Lösung will das israelische Unternehmen Eyesight mit der lernfähigen Gestensteuerung „SingleCue“ parat haben. Das System soll die Bedienung sämtlicher Geräte im Smart Home unter einen Hut bringen und die Fernbedienungen ein für alle Male in die Schublade verbannen. In die gleiche Richtung marschiert auch das Berliner Start-up Yetu. Über ein offenes System sollen wirklich alle Angebote sich untereinander austauschen und dargestellt werden können. Auch das Rostocker Start-up Naon baut auf Vernetzung von Geräten zu einem Ökosystem, die vor allem die Luftqualität, Heizung, Licht miteinander vernetzen soll.

Vom Produkt zum Ökosystem

Die Zukunft des Smart Homes wird auch durch die Initiativen der internationalen Großkonzerne geprägt werden, die produkt- und herstellerübergreifende Plattformen initiieren. Im Rahmen von Google’s „Works with Nest“ werden strategische Partnerschaften mit Endgeräteherstellern eingegangen, um ein breites Produktportfolio mit einheitlichen Standards anzubieten. Zu den Partnern gehören mittlerweile LG und Philips aber auch Mercedes-Benz und Logitech. Diese voranschreitende Systemmonopolisierung mag man kritisch betrachten. Der Vorteil aber dieser Partnerschaft ist die schnelle Integration einer Vielzahl potenzieller Anwendungen und Produkte. Der Endgerätemarkt ist – und das könnte für langfristiges Wachstum entscheidend sein – für viele Unternehmen nur noch als Mittel zum Zweck zu verstehen. Und dieser Zweck heißt Ökosystem.

Links: Auf dem Weg zum persönlichen Assistenten: Temperaturansage, Timer, Termine. Alles kann abgefragt und angesagt werden. Allerdings etwas umständlich mitzunehmen. Foto © Amazon Echo. Rechts: Genehm so? Das zentrale Benutzerpaneel von Naon kümmert sich um das Raumklima und steigert damit das Wohlgefühl der Bewohner. Foto © Naon

Apples „Homekit“, Samsungs „SmartThings“ und Amazons „Alexa“ bauen derzeit ebenfalls homogene Kundenportale auf. Diese Entwicklung ist vergleichbar mit der bei IT- und Mobilitätsakteuren. Für den Kunden selbst sind dies sowohl gute als auch schlechte Nachrichten. Die Guten zuerst: Der Markt wird sich rasant entwickeln, neue Produkte und Dienstleistungen werden neue Lösungen für das Smart Home der Zukunft zur Verfügung stellen, die zudem sehr einfach zu nutzen sein werden. Außerdem ist die Phase der Unsicherheit vorbei, denn die Kompatibilität der Produkte ist gewährleistet, so dass diese auch langfristig erfolgreich in den Alltag integriert werden können. Und nun die schlechte Nachricht für den Kunden: Die Ökosysteme grenzen sich immer stärker voneinander an, um den Wechsel zwischen den Ökosystemen zu erschweren. Allen ist gemeinsam, dass private Daten gesammelt werden und die Unternehmen daraus Kapital schlagen wollen.

Neue Bedien- und Benutzerkonzepte

Die Entwicklungen von Plattformen und Produkten ist das eine. Die Bedienung dieser Systeme eine völlig andere. Das Smartphone oder das Tablet werden dabei nur in Ausnahmefällen sinnvolle Bedienungselemente sein, wie der Forscher und Designer Valentin Heun erklärt. Die meisten Schnittstellen sind in erster Linie visueller Natur. Das ist derzeit durchaus noch sinnig, da die Produkte, mit denen wir interagieren fast ausschließlich mit Bildschirmen oder Touchscreens ausgestattet sind. Was aber passiert, wenn das Internet der Dinge uns immer besser über Sprache und über das Erkennen von berührungslosen Gesten versteht und somit der Bildschirm überflüssig wird? Jeder, der mit Amazon „Echo“ – ein Lautsprecher, der zuhört, Befehle ausführt und Daten im Internet abfragt – oder mit Microsoft „Kinect“ per Geste den Kanal gewechselt hat, ist damit schon in Berührung gekommen. Es geht also vor allem darum, weg vom Bildschirm zu kommen. Ausschlaggebend sind dafür funktionierende Eingabemöglichkeiten per Berührung, Sprachsteuerung oder Gehirnströmen. Unter dem Stichwort „Zero UI“ wird versucht, all diese Möglichkeiten in einem System zusammenführen, die eine Steuerung ohne visuellen Reiz ermöglichen kann. Für Christoph Kehl, Leiter des Projektes Mensch-Maschine-Entgrenzungen in der Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, stößt man schnell in einen Grenzbereich der Mensch-Maschine-Schnittstelle vor. „Der Mensch sollte stets die Maschine steuern, nicht umgekehrt“, lautet deshalb sein Credo – um anschließend auf die diffuse Nahtstelle hinzuweisen, die von einer zunehmenden Zahl medizinischer und militärischer Anwendungen neu definiert wird.

Ein echter Mehrwert wird häufig erst dann entstehen, wenn Anbieter zusammenarbeiten: Digitalstrom und Microsoft Kinect. Foto © Digitalstrom

Der Mensch als Schnittstelle

Wird der Computer Teil von uns werden und wir werden zu unserer eigenen Schnittstelle? Austin Carr schreibt dazu im Magazin Fast Company: „So vielversprechend Spracherkennung als Steuerungstechnologie für Zuhause auch sein mag, sie ist nur der Anfang. Erst wenn Siri bzw. Alexa die eigenen Verhaltensmuster so gut erlernt hat, dass solche Aufgaben gänzlich automatisiert worden sind, wird man einen wirklichen Fortschritt erzielt haben.“ Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das Projekt „Soli“, einem Eingabegerät, das ohne Berührung auskommt, indem es die Gesten des Nutzers in der Luft erfassen kann. Mit „Soli“ entwickelt Google einen Chip, der es ermöglicht, Eingaben in Wearables zu tätigen, ohne das Gerät berühren zu müssen.

Natürlich können in diesem Sinne auch Oberflächen selbst zum Interface werden. Das Unternehmen Bare Conductive stellt mit druckbaren Interfaces eine neue Möglichkeit der Maschinen-Mensch-Interaktion zur Verfügung: Die elektrische Farbe lässt sich mit unterschiedlichen Druck- und Zeichentechniken auf Materialien aufbringen, wodurch sich Interfaces und Musikinstrumente erstellen lassen. Könnte man aus solchen interaktiven Materialien universale Eingabegeräte schaffen, die zukünftig nur noch mit unterschiedlicher Software bespielt werden müssten? Das Smartphone würde dann nur noch als Speicher und Abspielgerät dienen, während die Interaktion direkt über den Tisch oder dem eigenen Ärmel stattfindet. Diese Entwicklungen sind markant: Wenn Kleidung und Oberflächen selbst mit den Geräten interagieren können, würde unsere gesamte Umgebung als Interface dienen können.

Neben den Augmented Reality-Anwendungen via Datenbrille – beispielsweise Microsofts „Megavision“ (meta 2), die es erlaubt digitale Welten und damit eine zweite Informationsebene in das eigene Wohnzimmer zu projizieren – wird auch der Markt für Gestenanwendungen weiter wachsen. Muv Interactives Entwicklung nennt sich „Bird“ und kann am ehesten als eine mechanische Fingerpuppe beschrieben werden: Einfach über den Finger des Nutzers gestülpt, kann das Smart Home über „Bird“ via Gestik gesteuert werden. In der Automobilindustrie werden Gesten im Übrigen bereits heute zur Steuerung von Infotainment, für die Bedienung des Schiebedachs oder der Innenraumbeleuchtung eingesetzt. Diese Gesten sind von der Maschine vorgegeben, der Nutzer hat sich an die Technik anzupassen. Ein sich frei im Raum bewegender Körper, dessen Gesten von der Maschine erkannt werden, ist noch in weiter Ferne, wie der Gestenforscher Julius Hassemer im Interview beschreibt.

Die Meta 2 ist erst seit wenigen Tagen auf dem Markt, stellt alle bisherigen Anwendungen aber in den Schatten. Foto © Metavision

Es braucht Raumexperten

Werden die aktuellen Entwicklungen tatsächlich auch langfristig die Wohn- und Lebenswelten verändern? Die Erfahrungen mit den Geräten befinden sich noch immer im erweiterten Versuchsstadium. Was passiert im Auto, wenn die Geste nicht erkannt wird oder falsch interpretiert wird? Ist es wirklich sinnvoll, die Heizung in Abwesenheit über das Smartphone zu steuern? Und was passiert mit den privaten Daten? Die Fragen sind relevant und werden die Zukunft der Weiterentwicklung des Smart Homes bestimmen.

Wir befinden uns am Anfang einer Transformationsphase zur digitalen Gesellschaft. Das verändert auch die Gestaltung unserer Wohnräume hinsichtlich Komfort, Energie, Sicherheit und Licht. Hier werden Systeme, Interfaces und Sensoren massiv Einfluss auf unsere gebaute Umwelt nehmen. Intelligente Anwendungen fragen nicht mehr danach, ob es sich um Lichttechnik oder um Sicherheitsfeatures handelt. Die Bereiche verschmelzen, ergänzen sich und basieren aufeinander. Ob und wie sich die Architektur und die Gestaltung unserer Lebensräume verändern werden, erscheint aus heutiger Sicht nicht absehbar. Zu neu, zu unerfahren, ja mitunter zu verspielt erscheinen diese Produktwelten, gerade durch die vielen neuen Mitspieler aus dem Silicon Valley. Sicher scheint im Moment nur, dass die Architektur auf eine weitere Welle der Technisierung zusteuert, in der die menschlichen Anforderungen nicht immer im Mittelpunkt stehen.

Zwei von drei Produkten aus dem Hause Nest. Die Überwachungskamera und das Thermostat, die sich augenscheinlich gegenseitig kontrollieren. Foto © Nest

Die Architekten halten sich bisher bedeckt. Berührungspunkte zwischen der Tech-Welt und Architekturbüros sind selten. Gerade einmal aus Bjarke Ingels Büro BIG kommt die Nachricht, dass man sich am Londoner Start-up Friday beteiligt, das digitale Schlösser und Schließsysteme entwickelt. Sonst herrscht fast einheitliches Schweigen oder sogar Ablehnung vor. Wie es Rem Koolhaas im Gespräch mit Fadell formulierte: „Ich bin grundlegend nicht gewillt, die Architektur in Produkte verwandeln zu lassen. Ich bin gegen die unerbittliche Kommerzialisierung der architektonischen Elemente, denn letztendlich bedeutet das, auch Elemente des eigenen Ichs aufzugeben.“ Positiv gedeutet ist die Architektur also die letzte Instanz, die sich der technischen Digitalisierung der Lebensräume entgegenstellt. Es braucht Raumexperten, die sich mit den räumlichen und anthropogenen Implikationen beschäftigen, wenn in (ferner) Zukunft Systeme und Implantate, die eigentlich den Menschen unterstützen sollen, zur Kommunikation von Hausgeräten eingesetzt werden könnten. Freuen wir uns auf die Zeit, in der die Technik soweit entwickelt worden ist, dass es nicht mehr wie Technik aussehen muss, sondern wie natürlich gestaltete Lebensräume.


Stefan Carsten, Zukunftsforscher und Stadtgeograf, kombiniert in seiner Arbeit die Themenfelder Zukunft, Stadt und Mobilität. Die Zukunft ist dabei Perspektive und Methode, um gegenwärtige Stadt-, Mobilitäts- und Lebenswelten zu hinterfragen und aufzudecken. Dies beinhaltet Strategien und Taktiken sowie Innovationen und Transformationen für zukunftsfähige Städte, Räume, Organisationen und Menschen. www.stefancarsten.net

Ludwig Engel arbeitet als Zukunftsforscher und Urbanist an Fragen der langfristigen Strategie, der Stadt der Zukunft und urbaner Utopien. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, Kommunikationswissenschaft und Kulturgeschichte in Berlin, Frankfurt/Oder und Shanghai. Von 2005-2011 war er Mitglied des Daimler AG Think-Tanks für Zukunftsfragen und strategische Langfristplanung. Nach verschiedenen Lehraufträgen in den Bereichen strategischer Vorausschau, Zukunftsforschung, Stadtplanung und urbane Zukünfte lehrt er zur Zeit an der Berliner Universität der Künste (Strategic Foresight und Zukunftsforschung) sowie an der TU Berlin (Architecture Design Innovation Program). www.ludwigengel.net

Stimme statt Schalter: Philips Hue wird über das Apple Homekit gesteuert. Foto © Philips
Das Unternehmen Bare Conductive stellt mit druckbaren Interfaces eine neue Möglichkeit der Maschinen-Mensch-Interaktion zur Verfügung. Foto © Bare Conductive