Braucht es nicht mehr?
„Es waren Japaner hier, die haben gesagt, wie japanisch das Haus sei. Und es waren Skandinavier da, die fanden alles sehr skandinavisch“, schmunzelt Todd Bracher. Offenbar hat der Amerikaner, der immerhin zehn Jahre in Europa, vor allem in Dänemark, gelebt hat, einen globalen Geschmacksnerv getroffen. Dabei hat er vollstes Verständnis für die Stil-Ansichten der Besucher: „In Japan und in Skandinavien ist die Kultur jeweils sehr eng mit der Natur verbunden. In Amerika, zumindest in den Großstädten, ist sie das aus zig verschiedenen Gründen nicht. Ich wollte ein ‚Haus‘, in dem es nicht um Trends geht, sondern das natürlich ist, menschlich und auf das Essenzielle reduziert. ‚Back to the roots‘ eben.“
Todd Bracher ist 42 Jahre alt, er wurde in New York geboren. Der Sohn eines Tischlers mit Großeltern aus England, Deutschland und Italien studierte Design am Pratt Institute, machte seinen Master in Kopenhagen, lebte und unterrichtete in Mailand, Paris, Reims und London. 2007 eröffnete er sein Studio in Brooklyn. Heute arbeitet er mit renommierten Labeln und Unternehmen wie Cappellini, Fritz Hansen, Georg Jensen, Herman Miller, Humanscale, Issey Miyake, Swarovski, Zanotta und 3M zusammen. Von dem Mann kann man also kein besonders „amerikanisches“ Haus erwarten. Aber das war auch nicht der Grund, warum die Wahl auf Bracher fiel. „Todd ist ein Designer, aber auch ein Denker“, sagt Dick Spierenburg. „Leben und Arbeiten sind Teile seines Portfolios. Meiner Meinung nach wird diese Kombination in jedem Zuhause immer wichtiger.“
Und so ist „Das Haus“ des Jahrgangs 2017 in vielerlei Hinsicht ein Hybrid. In drei Zonen hat der Mann aus Brooklyn, der alles im Fluss sieht und traditionelle Bau- oder Wohntypen für überholt hält, das rund 200 Quadratmeter große Haus unterteilt: Ernährung, Ruhe und Hygiene finden an drei verschiedenen Stellen statt. Der größte Raum ist derjenige, in dem sich die Messebesucher aufhalten. Das Konzept des offenen Wohnens, das in den Vereinigten Staaen schon früher als in Europa seinen Siegeszug begonnen hat, umfasst bei Bracher Küche, Bibliothek, Garage, Homeoffice, Keller… Seiner Idee zufolge kocht man in diesem zentralen Raum, repariert aber auch sein Motorrad, isst, lernt, tauscht sich aus und vieles mehr. Dass man den Pfannenwender im „real life“ vielleicht nicht gerade neben dem verschmierten Zwölfer-Schlüssel hängen haben möchte, geschenkt. Es geht schließlich um ein Modell, nicht um Praxisnähe. Dann hätte „Das Haus“ als Vision schließlich schon verloren, bevor es auch nur auf der imm cologne aufgebaut worden wäre.
Die Holzkonstruktion ist auf der Außenseite mit dem semitransparenten, burgunderfarbenen Stoff „Sinfonia" von Création Baumann bespannt, der im Inneren die Rückwand der Regale bildet. Die Farbe soll im Übrigen, so Bracher, eine Anspielung auf Muskeln, die ungefähr diesen Ton haben, sein. Da gehe es um etwas Organisches, Lebendiges. Was in die Regale steht, solle nicht nur Dekoration sein. „Es ist alles da“, sagt Todd Bracher, „Speisen, Natur, Objekte für den Geist, emotionale Dinge, alles, was uns Menschen beschäftigt.“
Dem Raum der Aktivitäten angegliedert ist der Raum der Ruhe. Hier, in der Dunkelheit, soll man abschalten. „Ich glaube, dass so ein Raum für jeden Menschen wichtig ist, um richtig zur Ruhe zu kommen und beispielsweise die permanente Informationsflut auszublenden“, so der Designer. „Wenn ich mir mein Leben in New York anschaue, dann weiß ich, dass ich absolut kein Esszimmer brauche, aber so ein friedlicher Raum der totalen Erholung, der wäre toll.“
Der Mond, der in diesem Bereich hängt, war ausschlaggebend für die Form des Daches: Bracher hatte im Modell ein Blatt Papier darüber gehalten und schon ergab sich die gewölbte Form. Das Dach habe in den ersten Entwürfen, so Bracher, grafischer und eindrucksvoller gewirkt. Aufgrund von Feuerschutzbestimmungen muste es in den Messehallen ausgeführt werden. Brachers Kommentar: „Ganz ehrlich, es ist leichter da draußen ein echtes Haus zu bauen als dieses ‚fake house‘.“
Ja, es geht um Ideen. Wer würde sich sonst die „Hygiene“-Einheit außerhalb schützender Wände wünschen? Egal ob in New York, Tokio oder Stockholm? Natürlich steckt auch in dem „Bad vor dem Haus“ das Motiv des naturnahen Lebens. Und wer will es dem Mann aus Brooklyn verdenken, der voller Verachtung für seine Dusche zu Hause ist – ein gläsernes Ding, kalt, schwer zu reinigen und irgendwie unnatürlich. Es ist wie so oft derzeit: Die Natur, das Handgemachte, das Nicht-Digitale, vermeintlich Echte, das weckt die Sehnsucht der Menschen. Insofern ist Todd Brachers „Haus" eine Momentaufnahme des Wohnens 2017.