Individuelles Wohnen im Hochhaus – Teil 1
Claudia Meixner und Florian Schlüter
| 23.07.2014Wohnhochhäuser genießen in Deutschland noch immer einen zweifelhaften Ruf. Das ist in Deutschland vor allem der historischen Situation geschuldet, in der sie entstanden. Viel Wohnraum für wenig Geld, lautete jahrzehntelang die Devise. Das ändert sich gerade. Heute entstehen in großen Städten zunehmend attraktive und hochwertig ausgestattete Wohntürme. Meixner Schlüter Wendt Architekten planen in Frankfurt am Main gegenwärtig gleich zwei Wohnhochhäuser. Eines entsteht am Ende der neuen Europaallee. Das andere, der Henninger Turm in Sachsenhausen, galt lange als ein Wahrzeichen der Stadt. Thomas Wagner hat mit Claudia Meixner und Florian Schlüter über die Besonderheiten der Bauaufgabe gesprochen, wie sie diese begreifen und weshalb individuelle Grundrisse, öffentliche Bereiche und ein anderer Außenbezug den Unterschied machen.
Thomas Wagner: Lassen Sie uns über Wohnhochhäuser sprechen. Wobei wir sicher nicht umhinkommen werden, auch über Hochhäuser zu sprechen, in denen man nicht wohnt und über nicht ganz so hohe Wohnhäuser. Wie beurteilen Sie die Bauaufgabe „Wohnhochhaus“?
Florian Schlüter: Leider ist das Wohnhochhaus in Deutschland ein Gebäude, das diskreditiert ist, weil es viele Massenhochhäuser aus den 1970er Jahren gibt. 75 Prozent aller Wohnhochhäuser in Deutschland sind negativ besetzt, gelten als Billigwohnanlagen. Gegenwärtig aber erleben wir eine Art Renaissance von Wohnhochhäusern, die mit extrem hochwertigem Wohnen verknüpft sind. Das Vorurteil wird also gerade revidiert. Das Spannende für uns ist: Wir haben das Glück, dass wir zur Zeit zwei Wohnhochhäuser bauen dürfen. Die entscheidenden Parameter für diese neuen Wohnhochhäuser sind erstens, sich von den Bauten der 1970er Jahre abzusetzen, und zweitens, Gebäude zu entwerfen, die nicht nur hoch sind, sondern sich signifikant von typischen Bürohochhäusern unterscheiden.
Haben sich Vorurteile gegenüber dem Wohnen in einem Hochhaus in den 1970er Jahren verfestigt, weil der Mangel an Wohnraum damals vielerorts mittels billiger Wohntürme bekämpft wurde? In den fünfziger und sechziger Jahren hatten etwas höhere Wohngebäude doch noch einen besseren Ruf?
Florian Schlüter: Ja. Eigentlich entstehen, soweit ich weiß, Wohnhochhäuser in Deutschland seit den 1950er, 1960er und 1970er Jahren. Ich selbst habe ganz oben in einem schönen Hochhaus in Karlsruhe die ersten Jahre meines Lebens verbracht, das war schon etwas Besonderes, auch wenn das Haus mit 14 Geschossen nach heutigen Maßstäben nicht wirklich hoch war. Generell wurden solche Gebäude aber unter der Prämisse gebaut, günstiges Wohnen in hoher Verdichtung zu erreichen – und dafür gibt es eine Menge schlechter Beispiele. Man muss aber sehen: Das Hochhaus als innerstädtisch-urbanes Phänomen für Büros und Banken gibt es in deutschen Städten – besonders in Frankfurt am Main – überhaupt erst seit den 1950er und 1960er Jahren. Und auch dieser Hochhaustyp war lange Zeit eher negativ besetzt. Erst heute gilt ein Wohnhochhaus als edles Objekt, insbesondere in Toplagen. Im Ausland, etwa in London, existiert das hochwertige Wohnhochhaus schon viel länger. Inzwischen gibt es auch in Frankfurt oder Hamburg eine ganze Reihe von qualitativ hochwertigen Wohnhochhäusern und man wirbt für sie mit Aussicht, Überblick und imponierender Lage. Für uns lag der Schlüssel darin, sich von den Bauten der 1970er Jahre zu unterscheiden, hochwertige Materialien einzusetzen und großzügige Grundrisse mit besonderen räumlichen Qualitäten und einer kultivierten Umgebung zu kombinieren.
Claudia Meixner: Die Differenz zu Wohnhochhäusern der Vergangenheit bemerkt man zuallererst in den öffentlichen Bereichen. Treppenhäuser und Eingangshallen sind jene Bereiche, in denen sich die Menschen treffen, die in dem Wohnhochhaus wohnen. Diese Räume müssen besondere Qualitäten haben, damit sich öffentliches Leben entwickeln und entfalten kann.
Woran lässt sich das erkennen? Dass Flure und Lobby großzügiger ausfallen, eine andere Struktur haben?
Florian Schlüter: Es zeigt sich daran, dass die Eingangshalle wesentlich größer ist und einen Empfang mit Concierge besitzt, und dass es großzügigere oder zumindest hochwertig gestaltete Allgemeinbereiche gibt. Das betrifft auch die Aufzüge, die Flure und die Flurbereiche vor den Wohnungen.
Worin unterscheiden sich Wohnhochhaus und Bürohochhaus noch?
Florian Schlüter: Der entscheidende Unterschied zum Bürohochhaus liegt zunächst im Außenbezug, in der Gestaltung von Loggien, Terrassen und Balkonlandschaften. Bei unserem Projekt für die Frankfurter Europaallee lässt sich das gut erkennen: Das Gebäude besitzt eine urbane Seite und eine, die zum Inneren des Grundstücks weist – in diesem Fall idealerweise nach Süden. Diese Gartenseite entwickelt sich bewusst und im Kontrast zur urbanen Contenance der Straßenseite freier, löst sich in eine Loggia- und Terrassenstruktur auf.
Können Sie genauer erläutern, warum dieses Gebäude so strukturiert ist?
Claudia Meixner: Das von uns geplante Gebäude steht im Frankfurter Europaviertel, am Ende der Europaallee. Es bildet den Endpunkt der Allee, wo ursprünglich im Masterplan zwei Bürohochhäuser als Torsituation vorgesehen waren. Da sich diese Bürohochhäuser nicht haben vermarkten lassen, wurde untersucht, ob man an der Stelle nicht ein Wohnhochhaus errichten könnte. Die Lage lässt sich folgendermaßen beschreiben: Es gibt im Prinzip eine große Achse, die gesäumt ist von immer gleichen Blockrandgebäuden des Europaviertels.
Florian Schlüter: Das Gebäude steht in Bezug zu dieser Blockrandbebauung und umgekehrt.
Claudia Meixner: Im Vergleich zur ursprünglich erwarteten Unterscheidung der Hochhäuser von der Umgebung, haben wir eine Art Abschluss der Blockränder in Form eines Blockrandhochhauses entwickelt. Das ist ein Typus, den man so nicht kennt und der widerspiegelt, was in der Umgebung vorhanden ist – bis hin zu den bestehenden Reihenhäusern auf der Südseite des Grundstücks. So ist auch eine Reihenhauszeile in den Hochhauskomplex eingebunden.
Florian Schlüter: Aus dem Kontext und einer klaren städtebaulichen Kontur entwickelte sich im nächsten Schritt das Thema einer urbanen Mantelfläche im Kontrast zu einer freier gestalteten Balkonlandschaft nach Süden.
Das lässt sich, wenn man das Modell betrachtet, gut erkennen. Das Gebäude hat gleichsam zwei Seiten. Wie haben Sie die Unterschiede herausgearbeitet?
Claudia Meixner: Sie werden im Baukörper ebenso deutlich wie in der Gestaltung der Fassaden. Die Wohnungen sind fast alle „durchgesteckt“. Das heißt, das Wohnen erstreckt sich von der städtischen Seite, die ein Sitzfenster in der Fassade hat und relativ diszipliniert wirkt, bis zu einer offenen Wohnlandschaft. Auf dieser Seite geben einem vorgelagerte Balkone das Gefühl, überall ins Freie treten zu können. Egal, ob ich im 15. oder 17. Stock wohne, ich kann immer heraustreten und habe eine großzügige Balkonfläche zum Leben, was man in einem Hochhaus selten hat.
Bis zu welcher Höhe kann man solche Terrassen nutzen?
Florian Schlüter: Wenn es zu sehr windet, kann man ja wieder reingehen. Aber Spaß beiseite: Um einen gewissen Windschutz zu gewährleisten, haben wir ein erhöhtes Glasgeländer vorgesehen. Die Balkone und Terrassen lassen sich also auch bei Wind sehr gut nutzen.
Claudia Meixner: Das ist nur ein Beispiel dafür, wie wir versuchen, das Gebäude von einem gewöhnlichen Hochhaus abzugrenzen, das auch ein Bürogebäude sein könnte. Es ist uns sehr wichtig, eine Gebäudeform zu finden, die zum Thema „Wohnen“ passt. Um das zu erreichen, haben wir in Vorbereitung auf den Wettbewerb anhand von Arbeitsmodellen zahllose Standard-Typologien möglicher Wohnhochhäuser durchgespielt. Wir haben einen typischen 1970er-Jahre-Typus untersucht, der ziemlich viel Fläche generiert, wir haben Zwischenräume und Grundrisse strukturiert, aber auch einen anonymen Scheibentyp erwogen. Dann haben wir probiert, mit ziemlich individuellen Einheiten zu arbeiten, was erst mal interessant aussieht.
Wie kam es dann zu der Lösung, die sie am Ende vorgeschlagen haben?
Florian Schlüter: Ich will mal so sagen: Irgendwann gelangt man an einen Punkt, an dem man merkt, welcher Gebäudetypus am besten auf den Ort, auf die Situation reagiert und den städtebaulichen Kontext entsprechend widerspiegelt. Erst dann hat man einen spezifischen Typus gefunden, der nicht nur aus Teilen anderer Bautypen besteht, sondern exakt den Bezügen und Ambivalenzen entspricht, die sich aus dem Ort und der Bauaufgabe ergeben. Für uns ist es toll, dass man einerseits denkt, das ist ein Hochhaus, gleichzeitig aber erkennt, dass es sich um einen Blockrand handelt. Der Bau sieht eben überhaupt nicht so aus, wie man das auf Anhieb von einem Hochhaus erwarten würde.
An der von der Straße abgewandten Seite wirkt das Gebäude fast wie ein Terrassenhaus. War es die Intention, die Kleinteiligkeit des Baukörpers zu unterstreichen?
Florian Schlüter: Im Grunde ist es der Versuch, einen individualisierten Baukörper zu schaffen, eine Struktur, bei der sich Maßstabsprünge ergeben. Man sieht es dem Gebäude nicht an, dass es 150 Wohnungen beherbergt. Man geht auf einen abstrakten Baukörper zu und entdeckt erst dann, dass es genau das nicht ist. Dazu trägt bei, dass innerhalb der Kolossalordnung immer zwei Geschosse betont werden. Oder, wenn man die Mantelfläche nimmt, sich ein Spiel mit verschiedenen „Störungen“ ergibt. Man sieht ja erst einmal eine städtische Fassade, bei der zwei Geschosse zusammengefasst sind – und erkennt erst dann, wie lebendig und vielgestaltig das Ganze ist.
Welche Absicht verfolgen Sie mit der Zusammenfassung von zwei Geschossen? Dass das Haus nicht so hoch wirkt?
Claudia Meixner: Genau, das Haus wirkt nicht so hoch und auch nicht so anonym. Optisch ergibt sich eben keine monotone Schichtung von zwanzig, sondern nur von zehn Geschossen. Das verändert den Maßstab und trägt zur Individualisierung bei, gibt dem Gebäude etwas Verschlüsseltes und spielt zudem mit der Wahrnehmung des Betrachters. Das Ganze wirkt einfach weniger profan. Man hat nicht ein Haus, ein Fenster, eine Tür vor sich, sondern eine differenzierte Struktur, die sämtliche Elemente des Baus in sich aufnimmt.
Der Unterschied zu einem Bürohochhaus zeigt sich also vor allem in der Variation und Individualisierung eines regelmäßigen Rasters?
Florian Schlüter: Ja, im Versuch, den Baukörper zu öffnen und zu individualisieren.
Claudia Meixner: Individualisierung ist deshalb wichtig, weil es sich um ein Wohnhaus handelt, in dem Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen und Bedürfnissen wohnen und es nicht darum geht, in einem Gebäude zu 95 Prozent gleich geschnittene Büroräume unterzubringen. Handelte es sich um ein Bürohochhaus, würde die differenzierte Gliederung, die wir gewählt haben, wie aufgemalt wirken. Sie würde schlicht nicht den Tatsachen entsprechen.
Sollten Bürohochhäuser nicht auch stärker individualisiert werden? Müssten Sie aus Ihrer Erfahrung mit Wohnhochhäusern nicht sagen: Eigentlich müssen wir auch Bürohochhäuser anders gestalten?
Florian Schlüter: Ein Bürohochhaus haben wir noch nicht gebaut, wir haben uns jedoch innerhalb eines Wettbewerbs mit dem Thema auseinandergesetzt. In der Tat kann man auch im Fall eines Bürohochhauses mit analogen Strategien arbeiten, wenn auch anders und dezenter. Im Fall des Ordnungsamtes in Frankfurt haben wir das versucht. Generell kann man sagen: Wenn ein Gebäude sehr groß ist, empfiehlt es sich, mit der Maßstäblichkeit zu spielen, Teile zu verschlüsseln und dem Gebäude über solch eine Maßstabsverfremdung etwas Skulpturales zu geben. Man kann auch damit arbeiten, die Anhäufung vieler gleicher Elemente – Wohnungen, Büroräume – architektonisch etwas zu verschleiern, die immer gleiche Ordnung zu überspielen, um dadurch zu etwas Fassbarem zu gelangen. Oder, um es etwas hochtrabend zu formulieren, eine etwas humanere Struktur zu schaffen. Die Anhäufung und Reihung vieler ähnlicher Elemente zu verfremden ist auf jeden Fall ein probates Mittel.
Sie achten stets darauf, in welcher Umgebung, in welchem architektonischen und sozialen Kontext ein Gebäude steht. Könnte man sagen: Sie entwickeln jedes Ihrer Projekte grundsätzlich im Dialog mit dem Kontext? Sind es ein solcher Dialog und die daraus resultierende Wechselwirkungen, die im Gebäude ihren Ausdruck finden?
Claudia Meixner: Ja, eindeutig. Die erste Grundlage für jedes Projekt ist der Kontext, in dem es entsteht. Das zweite ist die Bauaufgabe. Ort und Aufgabe, das sind die Initialmomente für alles, was wir machen. Was finde ich an dem Ort vor, und worin besteht die Aufgabe – daraus ergibt sich alles andere.
Das klingt einfacher als es ist, oder?
Florian Schlüter: Richtig. Aber wenn man das ernst nimmt und genau hinschaut, dann lässt sich vieles daraus ableiten. Es entstehen Assoziationen, man entdeckt Bezüge, vielleicht eine Geschichte, irgendetwas, was einen weiterbringt, die Sache präziser macht. Wenn man sich mit dem städtebaulichen Kontext beschäftigt, heißt das ja nicht: Hier sind die Gebäude so hoch, dort nur so hoch, man entdeckt vielmehr komplexe Zusammenhänge, was an diesem Ort schon vorher passiert ist, was in Zukunft relevant wird. Zumindest im Idealfall enthält und speichert das Gebäude am Ende all das in sich.
Welchen Faktoren, Fragen, Geschichten waren für Sie bei der Planung des Wohnhochhauses an der Europaallee wichtig? Womit haben Sie sich beschäftigt und was hat Sie besonders beeinflusst?
Florian Schlüter: Zunächst war es die Bauaufgabe: Wie findet man einen adäquaten architektonischen Ausdruck für das Wohnen in einem Hochhaus? Können außer Höhe und Aussicht auch Räume von besonderer Qualität geschaffen werden, die nichts mehr mit Massenwohnungsbau zu tun haben? Weiter war es uns wichtig, nicht gegen den Ort zu arbeiten, keinen gleichsam autistischen Solitär zu entwerfen, sondern darauf zu achten, dass das Gebäude an der Umgebung mitarbeitet. Der Ort besitzt ja nach Süden und nach Westen hin so etwas wie eine natürliche Aura – mit hohen Baumreihen, einem Park und einem Blick, der bis zum Taunus reicht. Auf der anderen Seite gibt die Europaallee eine eher rigide Struktur vor, die wir, sagen wir mal, umwandeln wollten in etwas lebendig Vielgestaltiges und Positives.
Claudia Meixner: Dort, wo die Europaallee beginnt, existieren bereits viele Wohnungsbauten, die allesamt eher regelmäßig gerastert sind.
Die rigide Reihung verdankt sich dem städtebaulichen Konzept?
Claudia Meixner: Ja, sie ist in gewissem Umfang vorgegeben. Wir wollten ganz bewusst innerhalb des städtebaulichen Konzepts bleiben und gleichzeitig ein signifikantes Objekt schaffen. Ob das klappt, entscheidet sich auch an den Feinheiten. Wie kriegt man ein Gebäude hin, dass auf seiner landschaftlicheren oder introvertierteren Seite als Wohnlandschaft funktioniert und das gleichzeitig die Normalität oder Normierung seiner urbanen, an der Straße liegenden Seite, in etwas Besonderes transferiert? Wir erreichen das, indem wir eine Standard-Fassade durch gezielte Störungen individualisieren.
Das klingt etwas zu bescheiden. Ihr Wohnhochhaus erscheint in seiner Differenziertheit doch recht raffiniert, besonders was das Verhältnis von Innen und Außen und die Sprünge in der Fassadengliederung angeht. Ist es die Vielfalt, die Variation, die Sie besonders reizt?
Claudia Meixner: Es ist unser Anspruch, dass sich unterschiedliche gestalterische Elemente voneinander absetzen und sich dann doch wieder zu einem homogenen Ganzen verbinden. Ein Gebäude muss etwas Selbstverständliches haben.
Tatsache ist, dass die Variationen nicht nur schick aussehen, es sind auch ganz unterschiedliche Strukturen, die durchmischt werden, die abwechseln, einander durchdringen und das Gebäude in seiner Gestalt beleben.
Florian Schlüter: Aus der Distanz betrachtet sieht man, dass es sich um eine Gitterstruktur handelt, die plötzlich zu verschwimmen, zu flimmern beginnt. Das finden wir ganz gut.
Mögen Sie die neoplastizistischen Gemälde von Piet Mondrian?
Claudia Meixner: Von der Idee her, ja.
Florian Schlüter: Grundsätzlich, ja.
Etwas Boogie-Woogie, wie bei seinem letzten Gemälde, kann ja nicht schaden. Zumal Raster und das Abweichen von deren rigider Struktur in der Moderne eine große Rolle spielen.
Claudia Meixner: Wenn so etwas eingeflossen sein sollte, umso besser. Ich möchte aber noch sagen: Mit einem Hochhaus verbindet man für gewöhnlich die Vorstellung von einem Solitär. Wir hingegen entwickeln im Idealfall eine Struktur, die Innen und Außen zu einer Einheit werden lässt, die in sich stimmig ist. Was bei dem Wohnhochhaus an der Europaallee hinzukommt sind Elemente, die man bei einem Hochhaus nicht erwartet. Das Haus hat beispielsweise einen Hof mit einem Wasserbecken und eine große öffentliche Eingangshalle, aus der eine Freitreppe direkt in den Hofbereich führt. Die Menschen, die dort wohnen, haben also auch einen gemeinsamen Hof, obwohl sie in einem Hochhaus wohnen. Ein Hof schlägt eine Brücke zum öffentlichen Leben. Es sind also keineswegs nur ästhetische Entscheidungen, um die es geht.
Wie finden Sie die Struktur? Hängt diese allein von der Bauaufgabe ab oder existiert eine Grundstruktur, die Sie immer wieder anwenden und anpassen?
Florian Schlüter: Es gibt so etwas wie eine Grundstruktur, aber nur gedanklich. Das kann man ganz gut an einem anderen Projekt, einem Einfamilienhaus, erkennen, das wir hier in Frankfurt realisiert haben. Auch bei dem Wohnhaus Schmuck im Frankfurter Westend haben wir etwas aus einem „alten Behelfsbau“ gemacht, der eher nach Geheimtipp aussah.
Frankfurter Westend, das ist eine hochwertige Lage?
Claudia Meixner: Ja, die Lage ist begehrt und hochwertig.
Florian Schlüter: Beim Wohnhaus Schmuck haben wir den oberen Teil entfernt und auf die vorhandene Basis ein neues Haus aufgepfropft. Das Thema „Umbau“ ist aber nicht das Wichtige an dem Projekt, obgleich es in Sachen Baurecht eine Rolle gespielt hat. Interessant daran ist: Entstanden ist ein Gebäude, das nach jeder Seite hin anders reagiert. Auf der Eingangsseite wirkt der Bau relativ kompakt. Dann öffnet er sich in einer Mischung aus Brücke, Loggia und Fassade. Zu dem begrünten Garten der Nachbarn erscheint das Ganze mit einem Mal relativ weich. Wir haben bewusst mit verschiedenen Graden des Sich-Öffnens gespielt. Man kann also auch hier sehen, wie sich der Entwurf aus der Bauaufgabe – in diesem Fall ein Wohnhaus für eine Familie mit vier Kindern – und in wohlüberlegtem Bezug zur urbanen Umgebung des Gebäudes entwickelt hat. Das Haus kommuniziert mit seiner Umgebung.
Um das zu erreichen, setzen Sie klassische Mittel ein, die Sie allerdings situativ anpassen und transformieren. Mal ist es eine geschlossene Wand, mal eine Fassade, mal ein Durchbruch. Orientiert sich der Bau nicht nur an seiner Umgebung, sondern auch an den Wegen, die ins Gebäude führen? Und weshalb ist die Fassade in Grün gehalten?
Florian Schlüter: Das Grün entstand aus dem Gedanken, sich das ganze Grundstück wie ein potenzielles Gesamtvolumen vorzustellen und dann zu sagen: Es gibt eigentlich eine Kohärenz zwischen der tatsächlichen baulichen Masse und den Räumen, die das Volumen nach außen entwickelt. So bilden und entfalten sich zuallererst ein Entrée, dann ein Vorgarten und schließlich der eigentliche Garten.
Das heißt, nicht das gesamte Haus ist grün, sondern die Verbindungs- oder Freiräume sind in Grün gehalten?
Claudia Meixner: Die Freiräume werden gleichsam zu grünen Räumen, weil sie eine Mischung sind aus einem Hof und einem Garten. Die Grundstücksfläche ist zu klein für einen Garten und zu groß für einen Hof – und daraus entsteht ein Gartenhof, der an einer verdichteten Stelle in der Stadt eine große Qualität für die Familie hat.
Florian Schlüter: Es gibt die Mantelfassade, die ist dunkel. Dann gibt es den Gartenraum, der hat eine grüne Schale. Die muss man sich wie eine dünne Haut vorstellen. Sobald man sie verlässt, ist man dann im weißen Haus.
Auch hier reagieren Sie auf den Kontext, betrachten das Verhältnis von Innen und Außen. Sie schauen die Umgebung nicht nur an und setzen dann irgendein Gebäude hinein. Ist es das Gebäude selbst, das auf seine Umgebung reagiert?
Claudia Meixner: Richtig. Es gilt, mehr als eine Frage zu beantworten. Was ist das Haus selbst und was teilt es seiner Umgebung mit? Wie reagiert das eine auf das andere? Was heißt es, wenn sich der Bau einerseits abgrenzt, sich zugleich aber für seine Umgebung öffnet? Es geht um Separierung, Öffnung und deren Beziehung zueinander. Fast wie bei einer Person. Wie verschließe ich mich und wie öffne ich mich und wie bewege ich mich? Um das zu erreichen, versuchen wir oft, Zwischenräume zu generieren, aufzuzeigen, dass das eine mit dem anderen etwas zu tun hat.
Hof, Balkon, Garten, Eingang, Durchgang – all das spielt eine Rolle, wo es um Abstand und Abgrenzung, aber auch um Öffnung und Zuwendung geht. Zwischenraum ist für Sie also nichts, was notgedrungen entsteht. Nehmen Sie Zwischenräume ebenso ernst wie andere Teile des Gebäudes?
Florian Schlüter: Was im Gespräch abstrakt klingt, muss im Gebäude zum Ausdruck kommen. Man muss den Raum spüren, merken, wie sich Raum in städtischen Situationen dazwischenschiebt, wie er zwischen die Dinge kriecht. Wie man das in die Planung einbeziehen kann, haben wir bei einem Entwurf für ein Bürohochhaus herauszuarbeiten versucht. Auch hier geht es darum, Baukörper und Funktionen zueinander in Beziehung zu setzen, aufeinander reagieren zu lassen, Räume und Areale dazwischen wahrnehmbar und spürbar zu machen. Was beim Wohnhaus Schmuck eine Rolle gespielt hat, das spielt letztendlich bei fast jeder städtebaulichen Konstellation eine Rolle. Erst danach wird über Materialien, Farbe und vieles andere entschieden. Und wenn es gelingt, dann fließen all diese Dinge in einem Gebäude zusammen, das als Ganzes funktioniert.
Was bedeutet es innerhalb Ihres Ansatzes, dass Wohnen und Arbeiten nicht mehr streng getrennt werden?
Claudia Meixner: Der Wandel zeigt sich vor allem daran, dass sich die Bauaufgabe verändert. Sobald die Menschen immer mehr Zeit im Büro verbringen, nähern sich die Bauaufgaben „Bürohochhaus“ und „Wohnhochhaus“ einander an. Tatsache ist aber auch: Bürobauten werden von den Auftraggebern noch immer anders gedacht.
Florian Schlüter: Beide Bauaufgaben werden heutzutage sehr wirtschaftlich betrachtet. Die Raster von Bürobauten sind mittlerweile sehr ausgefeilt. Das ist alles schon sehr funktional. Auch bei den meisten Wohnungsbauten regiert der Standard. Gleichzeitig lässt sich aber auch hier eine Tendenz zu einer größeren Flexibilität innerhalb der Gebäude beobachten. Früher hat man im Wohnungsbau alle Wände in Mauerwerk ausgeführt, das ist heute nicht mehr der Fall. Auch in einem Wohnhochhaus kann man heute nachträglich sogar ganze Geschosse verändern. Die Möglichkeiten nehmen also zu, flexibler auf veränderte Bedürfnisse der Bewohner zu reagieren.