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Das Bad in der Mitte
von Thomas Edelmann | 23.03.2011

Nicht lang ist es her, da richtete man Wohnräume hauptsächlich mit Möbeln ein. Die konventionelle Praxis, nach der eine gut ausgesuchte Einrichtung vor allem aus Sofas und Sesseln, Tischen und Stühlen, Regalen und Sideboards, Parkett und Teppich, Textilien sowie aus Leuchten bestand, ist überholt. Ihren Geltungs- und Gestaltungsanspruch, der sich über weite Teile der Wohnung erstreckt, stellten zuletzt die Küchenhersteller auf der „Living Kitchen", dem neuen Ableger der Kölner Möbelmesse, unter Beweis. Nun gibt auch das Bad angestammte Nischen und Nebenräume auf, sprengt althergebrachte Grenzen und schickt sich an, das Wohnen neu zu erfinden und zu durchdringen. Auf der ISH Frankfurt, der „Weltleitmesse für innovatives Baddesign, Wohnkomfort und umweltfreundliche Gebäudetechnik" werden Wohnräume zu hybriden Zonen für Erholung, Regeneration, Selbstdarstellung und Wellness. „Das Bad kommt ins Wohnzimmer" titelt die Süddeutsche Zeitung in ihrem Wirtschaftsteil. Was aber bringt Badplaner und Hersteller von Badarmaturen, Wannen, Duschen und Becken dazu in neue Räume vorzudringen und innerhalb der Wohnung zu expandieren?

Eine Erklärung liefert womöglich der Designer Tom Dixon, den Peter Richter in seinem Buch „Deutsches Haus - Eine Einrichtungsfibel" zitiert. Ihm zufolge gebe es in der Wohnung nur zwei Orte, die „zuverlässig als Einlassventile für ‚neue Technologien und innovatives Design' taugen. Der eine ist das Bad und der andere die Küche." Nirgendwo lasse sich heute umfassender mit „technischen Ausstattungsniveau prunken als dort, wo lauter Rohre und Leitungen zusammenfließen und die beiden großen tabuumwölkten menschlichen Verrichtungen, das Zubereiten und das Ausscheiden von Essen, mit Massen an Edelstahl und Hightech überpudert werden", so Richter.

Hinaus also aus der Nasszelle, heraus auf die freie Bühne urbaner Wohnwelten. Schon vor zwei Jahren zeigte Patricia Urquiola mit ihrem Bad für Axor/Hansgrohe, wie das aussehen kann. Und auch Ludovica und Roberto Palomba demonstrierten mit „Faraway" für Zuchetti/Kos das Bad als wohnliche Komfortzone. Beide Vorreiterprojekte präsentieren Wanne und Armatur freistehend und raumgreifend. Bezogen auf den Grundriss teilen sie das Bad in Zonen auf, wobei Waschplätze und Wannenzone mit dem Schlafraum verschmelzen. Lediglich die Toilette bleibt dabei räumlich abgeschieden, wenn auch technisch aufgerüstet.

Formal erinnern die neuen Sanitärobjekte stark an historische Vorbilder. Ohne frei stehende, skulptural gestaltete Badewanne mit hochgezogener Rückenpartie geht nichts mehr. Unwillkürlich fühlt sich der Messebesucher dieser Tage an das Gemälde „Der Tod des Marat" von Jaques-Louis David aus dem Jahr 1793 erinnert. Ausgerechnet das Bildmotiv eines politischen Aufrührers von einst steht für die neue Bürgerlichkeit im Badezimmer.

Technisch wie gestalterisch galten freistehende Einzelobjekte als überholt, da sich beispielsweise die Wannen wegen ihrer großen Oberfläche nur aufwändig dämmen lassen. Nun aber geht die unsichtbar bleibende Installationstechnik des 21. Jahrhunderts mit der Formensprache zurückliegender Epochen eine neue Verbindung ein.

Dabei ist das Baden in wohlig-wohnlicher Umgebung keineswegs neu. „Das häusliche Bad war ambulant", schreibt der Architekt und Kulturkritiker Bernard Rudofsky. „Wo es an einem eigentlichen Baderaum fehlte, brachte man eine Kufe in das Wohnzimmer und füllte sie aus Kannen mit warmem Wasser." Das freilich war eine mühsame und zeitraubende Prozedur. Nicht das Bereiten des Bades ist heute mit Arbeit verbunden - die funktionierende Wasserver- und Entsorgung gilt heute im Westen als gottgegebene Selbstverständlichkeit - sondern die Reinigung der Badausstattung nach Gebrauch. Größere Oberflächen durch freistehende Objekte vermehren auch hier den Aufwand. Ein modernes Bad mit feinen Oberflächen, mit Gefäßen, Armaturen und Accessoires bedarf intensiver Pflege und Zuwendung, die mehr Zeit beansprucht als vielfältigste Bade-, Wasch-, Pflege- und Duschprozeduren.

Auch die bewährte Devise, dass Wasserver- und Entsorgungsstränge möglichst gebündelt und zentralisiert im Haus verlegt werden, scheint obsolet. „Weg von der Wand!" befiehlt etwa die Vereinigung Deutsche Sanitär-Wirtschaft e.V. Einfach und praktikabel reicht nicht mehr: „Der Badnutzer", heißt es in einem Verbandstext über das Baddesign der Zukunft „will keine Funktionsbox mehr, die auf möglichst kleinstem Raum seine Grundbedürfnisse in ergonomischer Weise erfüllt, sondern einen Raum für vielfältige Aktivitäten in einem intimen Rahmen: ein Zimmer mit unterschiedlichen Zonen, die der Hygiene, der lustvollen Körperpflege, der Fitness, dem Styling oder der geistigen und körperlichen Regeneration dienen können." Nach dem Vorbild individualisierter Auto-Schrauber haben sie - freilich auf anderem Niveau - das Projekt „Pop up my bathroom" ins Leben gerufen.

Die neue Lust am wohnlichen Bad lediglich als eine Erfindung der Sanitärbranche zu interpretieren, die die Kosten und den Aufwand von Badplanung und -nutzung in die Höhe treibt, greift dennoch zu kurz. Wenn man die Inszenierungen der ISH Messestände nicht als neue gestalterische Vorschrift, sondern als Anregung begreift, kann der Drang des Bades in die Mitte der Wohnung und die Mitte des Lebens durchaus befreiend wirken.

Durchdachte Planung würde dann mehr noch auf verständliche, sich selbst erklärende Produkte setzen. Auf eine Technik, deren Nutzen nicht nur vordergründig plausibel erscheint. Auch dafür gab es auf der ISH Beispiele zu sehen. Womöglich müsste Design wieder vermehrt Fragen stellen, sich ein wenig aus der Orientierung am Marketing lösen. In einer alternden Gesellschaft etwa sollte es auf der Zugänglichkeit von Produkten und Dienstleistungen für alle bestehen. Ein so verstandenes Design bliebe nicht länger Attitüde, sondern wäre wieder eine Kraft, die sich nützlich macht.

Antonio Lupi
Waschbecken "Tangens" von Lykouria Design für Alape
Waschplatzmodule "Be yourself" von Sieger Design für Alape
"The Hayon Collection" von Jaime Hayon für Bisazza Bagno
Axor Bouroullec von Erwan und Ronan Bouroullec für Axor/Hansgrohe
Axor Bouroullec von Erwan und Ronan Bouroullec für Axor/Hansgrohe
Messestand von Domovari
Ceramica Flaminia
Puravida von Duravit
Armani/Roca
Messestand von Antonio Lupi Design, alle Fotos: Alejandro Mosquera, Stylepark
Antonio Lupi
Messestand von Keuco
Waschplatzmodul "Be yourself" für Alape mit Armatur "Deque" für Dornbracht, beides von Sieger Design
Axor Bouroullec von Erwan und Ronan Bouroullec für Axor/Hansgrohe
Re-vision von Ross Lovegrove für Vitra Bad
IlBagnoAlessi von Stefano Giovannoni für Laufen
Badezimmer von Roca in Zusammenarbeit Armani