Beim Anblick der Marmorbüste von Julius Cäsar auf dem Stand irgendeines Herstellers gediegener Vorgestrigkeit hätte man fast Angst bekommen, die diesjährige „imm cologne" steuere tatsächlich auf die Alternative „Aut Caesar, aut nihil" zu. Zum Glück setzte die Messe dann doch auf Kompromiss und umging es, sich zwischen den Extremen entscheiden zu müssen. Triumph oder Niederlage, das ist, auch im Jahr Eins nach der großen Krise, nicht die Frage. Angesagt ist Konsolidierung, schließlich geht es der Branche - zumindest was die Ausstattung des Immunsystems Wohnung angeht - nicht wirklich schlecht, auch wenn der Umsatz der deutschen Möbelindustrie in den ersten zehn Monaten des Jahres 2009 um 12,7 Prozent auf 11,3 Milliarden Euro zurückgegangen ist.
Revolving Realities
Ein Mentekel ganz anderer Art, das sich in den kommenden Jahren vermutlich konkretisieren wird, zeigte sich bezeichnenderweise jenseits des Rheins. Genauer: im überdachten, hangarartigen Innenhof der Factory von Meiré und Meiré in Ehrenfeld, in deren Lobby sich zudem eine edle Sofaschlange von deSede räkelte, Vorwerk neue textile Fliesenkonzepte von Hadi Teherani zeigte und Siedle sich als „Hüter der Schwelle" zur Wohlfühlzone präsentierte. In dem transformierten Industriequartier hatten die Medienkünstler der Gruppe „Interpalazzo" in Kooperation mit dem Komponisten Marcus Schmickler unter dem Titel „Revolving Realities" eine „autoreaktive Installation" geschaffen, die, in all ihrer Ambivalenz, durchaus zum Vorbild für Künftiges taugt. Was unter der Patronage von Mike Meiré und im Rahmen der Dornbracht Culture Projects entstanden ist, verbindet Design effektvoll mit Medienkunst und Marketing.
Auf der Basis eines monumentalen Modells einer Dornbracht-Armatur, einer Art „hyperkubistischer Skulptur", entstand - mittels diverser Rückkopplungsschleifen zwischen wabernden Projektionen, aufleuchtenden, mehrere Ebenen aufspannenden Schnüren und durch den Raum wandernden Hörfeldern - ein Dialog der Medien im Raum. Auge und Ohr wurden permanent auf wechselnden Kanälen affiziert, wodurch ein künstlicher Raum entstand, in dem jedes Element seinen Ort hatte und doch alle zusammenwirkten. Ein realer Raum, der doch nirgendwo zu greifen war, in dem es blitzte und krachte, der sich wie von selbst erleuchtete und verdunkelte - und der gerade deshalb in seiner leeren Selbstbezüglichkeit wie eine Projektion der Zukunft in die Gegenwart erschien. Die Medien kreisen um sich selbst und gebären ihre eigene Illumination.
Optimiertes Freiraummanagement
Man kann es sich leicht machen und „Revolving Realities" in den Bereich der Medienkunst abschieben. Das ändert aber nichts daran, dass im Kontrast zu dieser generativ „gedrehten" und sich selbst reflektierenden Wirklichkeit alles, was in den Messehallen in Deutz, aber auch im restlichen Programm der „Passagen" gezeigt wurde, unweigerlich bieder und altbacken wirkte. Das gilt auch dann, wenn man anerkennt, dass das Freiraummanagement in den Messehallen in diesem Jahr weitaus besser gelungen ist als im vergangenen, als riesige Environments Joep van Lieshouts die Leerstellen ausfüllten. Auch die Stimmung unter den Herstellern war in diesem Jahr besser, war die Messe, so viel war allemal zu spüren, doch bemüht, einen klaren Konsolidierungskurs einzuschlagen. Dabei hat man inzwischen verstanden, dass die „Passagen" keine Konkurrenz zur Messe darstellen, sondern Köln beide Felder braucht, um in Zukunft bestehen zu können. Allerdings wurde auch klar: Ohne ein entsprechendes kuratorisches Konzept verkommen die Passagen mehr und mehr zu einem in vielen Teile wenig attraktiven Gemischtwarenladen.
Pure Village
Es ist eben so eine Sache mit dem revolving. Man muss den Dreh raus haben. Das gilt auch für das Dorf der edlen Hütten, das so genannten „Pure Village" in Halle 3.2. Hier sollte der Versuch unternommen werden, aus dem Raster der Messestände auszubrechen und Möbel, Leuchten, Küchen, Badeinrichtungen und Accessoires innerhalb einer abstrakten Architektur zusammenzuführen. Eine im Grunde beliebige und nicht eben prickelnde Ausstellungsarchitektur allein gibt aber noch keine inhaltliche Bestimmung vor; ganz zu schweigen, dass das Ganze tatsächlich eher an ein Dorf als an die prickelnde Atmosphäre einer Großstadt erinnerte.
Statt tatsächlich unterschiedliche Kontexte zu generieren, in denen Produkte verschiedener Hersteller exemplarisch zu einem neuen Typus von Raum vereint werden, um ästhetisch oder ökonomisch zueinander in Konkurrenz treten zu können, gab es nur eine allzu bunte Mischung heterogener Produkte. In diesem Dorf wohnten einfach zu viele Hasen auf Tischplatten, es gab zu viele neckische Tischchen und es loderten zu viele dekorative Flämmchen, als dass man den Versuch tatsächlich hätte ernst nehmen können. Woran es mangelt ist auch hier die Hand, die thematisch und inhaltlich ordnet, um eine Schau anbieten zu können, in der mehr erkennbar wird als das Durcheinander einer von Vielfalt geschlagenen Gegenwart. Da wirkte der Auftritt der jungen Talente und Hochschulen auf Ebene 3.1 einfach frischer und frecher, auch wenn hier der Prozess, den Unterschied von Kunst und Design weiter zu verschleifen, ebenso wenig Überraschendes hervorbrachte.
Klassiker versprechen Stabilität
In Halle 11 wurde, von Ausnahmen abgesehen, weiter auf Stabilität und das Repertoire der klassischen Moderne gesetzt. Was an prominenten Herstellern fehlte, wurde teilweise durch riesige Stände kaschiert. Vielfalt sieht anders aus. Trotzdem zeigte Interlübke mit „reef" eine facettenreiche und überzeugende Neuinterpretation der Schrankwand, in der sich - in Elementen unterschiedlicher Tiefe und Höhe - Geschirr ebenso unterbringen lässt wie Anzüge oder Bücher. Andere Neuheiten wie „cube", „algo" und das Bettenprogramm „faenum" rundeten den Auftritt ab. Bei Walter Knoll versammelte man unter dem Namen „Black Series" keine Supersportwagen, sondern eine schwarz, edel und cool wirkende Auflage der Sessel „369", „Vostra", „Turtle" und „MYchair". Dazu passte auch die Neuinterpretation des Klassikers „FK", dessen äußere Schale jetzt glänzt, was diese optisch deutlicher von der Lederauflage abhebt und dem Sessel eine schlankere Taille verschafft. Womit bewiesen ist: Bewährtes und Vertrautes verträgt durchaus Auffrischung.
Natur muss sein
Wenn man überhaupt von Trends sprechen möchte, so lassen sich diese aus all dem destillieren, was auf einer Messe so zusammenkommt. Vorab solche zu beschließen und unter Titeln wie „Trickery - Staging" oder „Discipline - No Jokes, No Fakes" zu sortieren, bleibt, was es immer war: ein Begehren des Marketing, das zusammenklaubt, was auch ganz anders sein könnte. Dass im disziplinierten Raum auch Besen und Kehrschaufel stehen, offenbarte immerhin einen Sinn für Humor.
Kaum zu übersehen war das verstärkte Auftreten von Holz als Werkstoff - bevorzugt hell und freundlich. Hier findet die liberale Massenkultur zu einem Lebensstil, der beflissen das eigene gute Gewissen pflegt. Was e15 vor einem Dezennium als Kombination von avanciertem Design und Naturstoff begonnen hat, ist jetzt Mainstream. Nur sind die zahllosen Baumstümpfe mittlerweile klobiger geworden und das ganze Gehabe fällt doch etwas zu prahlerisch naturverbunden aus. Das Auslegen eines Coffee-Table-Book zum Thema „Wildnis der Wälder" allein schafft eben, da Weltordnung und Lebensstil auseinandergetreten sind, noch keine natürliche Umwelt. So wenig wie Kommoden in Kuhfell zu kleiden oder den Einsatz handwerklicher Techniken mit der Lizenz zur Nostalgie zu verwechseln.
Wie man medientheoretisch auf der Höhe und überdies pfiffig und ironisch mit Themen wie Holz und Natur umgehen kann, haben - schon im letzten Jahr in Mailand - die jetzt von der Zeitschrift „A&W" als „Designer des Jahres" ausgezeichneten drei schwedischen Gestalterinnen von „Front" gezeigt. Ihre massive Holzbank ist eben nicht aus Holz, sondern aus Schaumstoff: Natur als ihr eigenes Bild.
Neo-Kubismus
Und noch etwas fällt auf. Fast überall wurden Module auf und übereinander gestapelt, auf dass Variabilität demonstriert und Langlebigkeit erreicht werde. Diese möblierende Art von Neo-Kubismus der Kisten und Kästen gibt es mittlerweile in jeder Preis- und Qualitätsklasse, womit ein wenig vergessen gemacht wird, dass die Baumärkte für den modernen Nomaden noch immer die eigentliche Quelle sind, sein Raumselbst zu möblieren. Wer es besonders solide möchte, wurde beispielsweise bei „Team by wellis" fündig, wo Kurt Erni mit „Giro" ein Programm aus siebzehn kubischen Teilen entwickelt hat, die miteinander verbunden und gegeneinander verschoben und verdreht werden können. Als in jeder Hinsicht besonders raffiniert erweist sich übrigens auch der Tisch „Diverso", der sich mittels einer Kurbel in der Breite verändern lässt, wobei sich die Platte samt Furnier wie ein Scherengitter auseinander bewegt und ein entsprechendes Muster bildet.
Kunsthandwerk statt Design?
Überhaupt scheint in Köln mit einem Mal das Manufakturhafte und Kunsthandwerkliche wieder an die Oberfläche zu drängen. Es verblüfft schon, wie fix die Leerstellen, die abwesende Designhersteller in Köln hinterlassen haben, mit kunsthandwerklichen Ansätzen aufgefüllt oder, anders gesagt, der Begriff „Design" aus seinen industriellen Verankerungen gelöst wurde. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass Design inzwischen einen ähnlichen Hype erfährt wie die zeitgenössische Kunst, Designer aber oft nichts lieber sein wollen als Künstler, sprich als Produzenten von Originalen. Hinzu kommt, dass sich aus einer engeren Verbindung mit Ökologie - der Tarnbegriff „Nachhaltigkeit" als Chiffre der Marketingsprache nach wie vor fast überall kursiert - plötzlich auch solche Gestalter für Designer halten, die eher aus der Gruppe der Make-the-world-a-better-place-Fraktion stammen.
Für die imm cologne besteht mithin noch immer die Gefahr, dass sie sich wirtschaftlich stabilisiert, dabei aber zu einer soliden Möbelmesse mit erheblichen Handwerks- und Flohmarkt-Anteilen entwickelt. Allzu leicht könnte der ohnehin diffuse Begriff „Design" weiter in den Hintergrund treten - oder wie eine Soße, die homogenisierend alle Widersprüche kaschiert, über alles gegossen werden, was Gestaltung heißt. Dann wäre Köln, was es lange war und womit man nicht allzu schlecht gefahren ist: eine solide und wichtige Branchenmesse mit angeschlossenem Jahrmarkt der Gestaltung. Es ist eben so eine Sache mit dem „revolving". Manchmal dreht man sich etwas zu weit in Richtung Vergangenheit.