Perfektion mit Leichtigkeit

"Sie hat ein Werk geschaffen, das in sich komplett schlüssig ist. Ein Meisterwerk der Architektur", so der Architekt und Publizist Professor Wilfried Wang über den Entwurf des als E.1027 oder auch als Maison en Bord de Mer bezeichneten Wohnhauses von Eileen Gray. Gemeinsam mit Carolina Leite und Peter Adam präsentierte er auf der diesjährigen Milan Design Week im Showroom des Möbelherstellers ClassiCon eine Nachbildung des Master Bedroom von Eileen Gray, das ursprünglich seinen Platz an der Côte d'Azur hat. Das E.1027 im südfranzösischen Roquebrune-Cap-Martin war Eileen Grays erstes Haus und bot die Basis und Vorlage für ihre weiteren Architekturprojekte. Erbaut in den Jahren 1926 bis 1929 sind das Interior Design, die Farbgebung sowie die räumlichen Proportionen, die Eileen Gray für das E.1027 erarbeitete bis heute inspirierend. Zudem wurden für ein umfassendes Verständnis den BesucherInnen zahlreiche Grundrisse, Dokumentations- und Zeittafeln wie ein Modell des Hauses angeboten. Anhand der dreidimensional erfahrbaren Exponate ließen sich die Arbeiten von Eileen Gray vollumfänglich studieren, die für diese nicht nur die Funktion, sondern auch den Menschen mitdachte. Allein für den Master Bedroom ihres Hauses entwarf die Designerin und Architektin 25 Unikate, darunter auch viele Einbaumöbel mit klapp- und faltbaren Elementen. Originalgetreu in eine begehbare Installation übersetzt, konnten die bis ins letzte Detail ausgeklügelten Möbel und ihre räumliche Positionierung in Mailand von den BesucherInnen in Augenschein genommen werden. "Die Installation ist didaktisch, sprich die Möbel können angefasst und ausprobiert werden", so Wilfried Wang.

Die Ausstellung verkörperte in Form von Design-Rekonstruktionen des Arbeitstisches, Schlafbereiches und dem Badezimmermöbel mit klappbarem Spiegel einen Auszug aus der Ideenwelt von Eileen Gray für die zukunftsweisende Inneneinrichtung des E.1027. Diese fügte sich im Wohnhaus wie im Showroom von ClassiCon mit nur wenig Platzbedarf harmonisch in die Räume ein und bot dabei einen skulpturalen Charakter. "Komponiert" seien die Möbel, so Wang, für deren Position im Raum Eileen Gray auch den Verlauf des Tageslichts und die Blickachsen berücksichtigte. In der Schau konnten zudem ein Teil der berühmten Stahlrohrmöbel der Pionierin der Moderne entdeckt werden – wie der gleichnamige Beistelltisch "E.1027" oder die Sessel "Bonaparte" und "Non Conformist", die der sitzenden Person viel Bewegungsfreiraum lassen. Die inspirierende Leichtigkeit, der von Gray multifunktional gedachten Kreationen ließ sich bei hochsommerlichen Temperaturen im angenehm kühlen Untergeschoss in aller Ruhe erfahren – wie die des Raumteilers "Brick Screen" mit flexibel verstellbaren Elementen. Auch der unverstellte Blick auf das nahe Meer und die felsige Küste, der im E.1027 vom Bett aus genossen werden kann, wurde in der räumlichen Komposition der Ausstellung aufgegriffen. "Das E.1027 war in den zwanziger Jahren das einzige Haus, das mit vollständig geöffneten Panoramafenstern ausgestattet war und keine feststehende Fensterelemente hatte", so Wang.

Das Münchner Unternehmen ClassiCon ist der alleinige rechtmäßige Lizenznehmer des World Licence Holder Aram Designs Ltd., an die Eileen Gray Anfang der 1970er-Jahre die Rechte zur Produktion und Distribution ihrer Entwürfe übertrug. Jedes Möbelstück wird originalgetreu gefertigt und ist zudem mit einer Markierung und einem Nummerncode versehen, die garantieren, dass es sich um ein originalgetreues, in Abstimmung mit den Rechteinhabern gefertigtes Produkt handelt. Die unverwechselbare Formensprache von Eileen Gray war ihrer Zeit so weit voraus, dass sie bis heute aktuell ist. "Um schöpferisch zu sein, muss man zuerst alles in Frage stellen", sagte sie einmal.