Nachhaltigkeit
Besser umdenken
Anna Moldenhauer: Herr Dr. Sonnendecker, Sie haben das Enzym PHL7 entdeckt, das wesentlich effektiver in der Lage ist Plastik zu zersetzen als der bisherige Favorit aus Japan, das Enzym LCC. Gefunden haben Sie PHL7 in einem Laubkomposthaufen in Leipzig. Warum haben Sie dort danach gesucht?
Dr. Christian Sonnendecker: Die Entdeckung und Beschreibung war eine echte Teamleistung, hier sind viele hervorragende WissenschaftlerInnen beteiligt gewesen. Enzyme, die den synthetischen Kunststoff PET abbauen können, werden dieses in ihrer natürlichen Umgebung mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht im Visier haben. Stattdessen wurden sie seitens der Natur entwickelt, um pflanzliche Polyester abzubauen – wie etwa die äußere Wachsschicht einer Pflanze, die sehr komplex ist. Um diesen Aufbau aufbrechen zu können, sind die Enzyme relativ unspezifisch, das heißt sie können ein breiteres Spektrum natürlicher und synthetischer Polyester abbauen. Und nach diesen Enzymen suchen wir. Ein Laubkomposthaufen ist voller Pflanzenmaterial. In seinen Schichten herrscht eine hohe Temperatur von etwa 70 Grad Celsius. Die ist entscheidend, damit das Enzym effizient PET abbauen kann, denn erst bei diesen Temperaturen wird das PET ausreichend flexibel für einen effizienten enzymatischen Angriff. Für uns ist der Laubhaufen somit die ideale Quelle.
Sie haben aus dem Kompost Proben entnommen und diese analysiert. Wie haben Sie erkennen können, dass die siebte Probe das passende Enzym enthält?
Dr. Christian Sonnendecker: Zu Beginn haben wir die Gesamt-DNA der Probe, die aus Pilzen, Pflanzen und Bakterien besteht, aus einer Bodenprobe extrahiert. Die DNA enthält die Baupläne (Gene), welche die Enzyme codieren. Wir wissen, wie die DNA aussehen muss, nach der wir suchen, kennen also den groben Bauplan bereits. Hierzu verwenden wir kleine DNA Schnipsel, welche an die gewünschte Gensequenz bindet, wodurch der entsprechende Bereich massenhaft vermehrt wird. Diese Kopien der DNA geben wir dann in ein Bakterium ein, unser "Haustier" in der Molekularbiologie, das E. coli Bakterium. Das ist in der Lage die Informationen auszulesen, die in der DNA codiert sind. Das Bakterium ist zudem so gesteuert, dass es das in der DNA gefundene Enzym massenhaft reproduziert. Das manipulierte Bakterium lassen wir dann auf einem Nährmedium wachsen – wie einer Agarplatte. Polyesterpartikel im Agar führen zu einer Trübung. Ein aktives Enzym wird die Partikel spalten, wodurch eine klar Zone entsteht. Aktive Kandidaten schauen wir uns dann genauer an. Trivial gesagt: Wir bauen uns eine Art Gen-Angel, um die gesuchten Gene gezielt aus der Gesamt-DNA herauszufischen. Anstatt die gesamte DNA zu überprüfen, suchen wir gezielt nach den Wunschgenen, was den Arbeitsaufwand stark reduziert.
Das Enzym PHL7 ist in der Lage biologisches PET-Recycling in Rekordgeschwindigkeit anstoßen. Können Sie mir ein Beispiel geben, wie viele Stunden hiermit gemeint sind?
Dr. Christian Sonnendecker: Als Vergleich diente uns das Enzym LCC, das ebenso in der Lage ist PET abzubauen und bisher als Standard für diese Form der Studien gilt. Zudem nutzen fast alle WissenschaftlerInnen, die in diesem Bereich forschen, das gleiche PET als Testmaterial um die Daten vergleichen zu können. Wir haben in diesem Zuge festgestellt, dass unser Enzym PHL7 doppelt so aktiv ist im Vergleich zu LCC und wir somit in der gleichen Zeit die doppelte Menge PET abbauen können. Im Detail ist das ein vollständiger Abbau von PET mit 250 Mikrometern Schichtdicke in unter 18 Stunden. Es wurde bisher kein Enzym beschrieben, dass in so einer kurzen Reaktionszeit den PET-Film abbauen konnte. Daher können wir davon ausgehen, dass es bis heute das aktivste Enzym ist. In einem Reaktor, der einen Liter fasst, können wir nun selbst dickwandigstes PET-Verpackungen in einem Tag abbauen.
Das Enzym LCC wurde im Jahr 2012 entdeckt, die Forschung Kunststoffe biologisch abzubauen läuft insgesamt schon gut 20 Jahre. Abgesehen von dem zeitlichen Vorteil – inwiefern ist Ihr Enzym effizienter, als alle die bisher entdeckt wurden?
Dr. Christian Sonnendecker: Damit diese Enzyme hochleistungsfähig arbeiten, müssen sie bei eine Arbeitstemperatur von 70 Grad Celsius aushalten können. Im Grunde sind weltweit bislang nur zwei bakterielle Enzyme bekannt, die das erreichen – LCC und PHL7. Diese helfen uns auch wertvolle Strukturinformationen zu erhalten, die wir dann für die weitere Optimierung nutzen können. Wenn wir LCC mit PHL7 vergleichen, sehen wir bestimmte Schlüsselpositionen, die unterschiedlich sind. In diesen Schlüsselpositionen muss der Unterschied der Aktivität liegen. Mit den Informationen aus dem neu entdeckten Enzym können wir also die bereits bekannten Enzyme verbessern.
Was bleibt, wenn die Zersetzung des PET über das Enzym PHL7 stattgefunden hat? Ist der Reststoff für die Natur unbedenklich?
Dr. Christian Sonnendecker: Unser Ziel ist es das PET komplett wiederzuverwerten. Der Abbau wird in einem Reaktor stattfinden, die erhaltenen Grundbausteine sind wertvolle Ressourcen. Somit wollen wir das biologische Recycling nutzen, um den Kreislauf im PET-Recycling zu schließen. Im Vergleich zu anderen Kunststoffen eignet sich PET sehr gut für die Wiederverwertung. Aber da die bisherigen Ansätze leider kaum ökonomisch sind, ist das mechanische Verfahren das einzig etablierte Verfahren für PET Recycling. Hierbei wird das PET geschmolzen und in eine neue Form gebracht. Das Schmelzrecycling ist allerdings nur mit einer gewissen Anzahl an Zyklen durchzuführen, denn jeder Durchlauf setzt die Materialeigenschaften herab. Das PET verfärbt sich dann gelblich und kann schlussendlich noch für Füllstoffe oder direkt thermisch verwertet werden. Somit haben wir im PET-Recycling einen linearen Pfad vom Erdöl zum CO2, beziehungsweise zur Deponie, der nur von einigen Recycling-Loops unterbrochen wird. Unser Ansatz ist, ab dem Punkt, wo das PET nicht mehr recycelt werden kann, es in seine Grundbausteine zu zerlegen. Diese lassen sich einfach reinigen und daraus kann wieder neues PET entstehen. So benötigen wir keine erdölbasierten Rohstoffe mehr, sondern können das, was wir einmal hergestellt haben, in einem ewigen Kreislauf halten. Damit würden wir eine Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen schaffen und die CO2 Emissionen reduzieren. Parallel muss dieses Verfahren in der Lage sein, die Schwermetalle und "dreckigen Additive", die seitens der Hersteller in den Kunststoff eingebracht wurden, herauszufiltern und zu entfernen, um ein reines Produkt zu erzeugen.
Was braucht es, um dieses Verfahren final in einen industriellen Kontext zu übertragen, damit es das bisherige Recycling von Kunststoffen revolutioniert?
Dr. Christian Sonnendecker: Die wichtigsten Schritte sind meines Erachtens zu überlegen, welche Plastiksorten wir wirklich benötigen – in der Industrie wie auf Seiten der KonsumentInnen. Die typische Entwicklung lief lange nur darauf hin, ein Polymer mit bestimmten Eigenschaften haben zu wollen. Die Frage des Recyclings wurde dabei nicht gestellt. Wie will man nun ein ganzheitliches Recycling für Kunststoffe entwickeln, wenn diese schon chemisch gesehen alle völlig unterschiedlich sind? Hinzu kommen die Additive verschiedener Kunststoffe, welche das Potential besitzen, sich in der Umwelt und den darin befindlichen Organismen anreichern zu können. Sie sind also persistent, bewegen sich mobil in der Umwelt und reichern sich auch in unserer Nahrungskette an. Je mehr wir davon produzieren, desto mehr kommen sie zu uns zurück. Ein Neugeborenes nimmt diese Verbindungen so schon über die Nabelschnur auf. Es gibt bereits Hinweise, dass unser Hormonhaushalt und unsere Fruchtbarkeit von dieser Belastung negativ beeinflusst werden. Einige Stoffe sind daher bereits verboten, bei anderen konnte noch kein finaler Nachweis erfolgen. Daher werden sie so lange produziert, bis dieser vorliegt. Das Problem: Es ist kaum noch möglich, die Gesundheitsgefährdung der fraglichen Kunststoff-Additive nachzuweisen, da es für diesen Vorgang eine Kontrollgruppe braucht, die diesen nicht ausgesetzt ist. Wir sind aber mittlerweile alle mit den Einwirkungen der Kunststoffe auf unseren Organismus aufgewachsen, ein globales Experiment mit ungewissen Ausgang. PET, das im Grunde noch als harmloses Plastik gilt, konnte bereits in der Blutbahn von Menschen nachgewiesen werden, und wir wissen einfach nicht, was es im Körper alles anrichten könnte. Dazu kommt: Selbst wenn wir jetzt sofort aufhören würden weiteres Plastik zu produzieren, würde der Mikroplastikanteil in der Umwelt noch über die nächsten Jahrzehnte zunehmen da bereits riesige Mengen Plastikabfall in der Umwelt vorliegen.
Sprich es wäre eine wesentlich höhere Dringlichkeit von Nöten, sich von allen Seiten des Recyclingproblems von Kunststoffen anzunehmen?
Dr. Christian Sonnendecker: Absolut. Meiner Meinung nach sollte ein Kunststoff bereits von Beginn an so entworfen sein, dass er aus nachwachenden Rohstoffen hergestellt werden kann und darüber hinaus gesundheitlich unbedenklich und gut recyclebar ist. Ein Kunststoff, der nur funktioniert, in dem wir hochfragwürdige Additive hineinmischen und gleichzeitig keine Recyclingoptionen bestehen, kann nicht zielführend sein. Stattdessen sollten wir lernen mit weniger Kunststoffen zu arbeiten, und handhabbare Alternativen entwickeln. PET ist ein Musterbeispiel, weil es an sich als recht sicherer Kunststoff gilt, der tolle Recyclingoptionen hat, auch lassen sich die Ausgangsstoffe aus nachwachenden Quellen gewinnen. Hier ist die Technologie, die wir entwickeln, ein möglicher Schlüssel – gemeinsam mit dem chemischem und mechanischem Recycling. Das biologische Recycling alleine wird wohl nicht ausreichen. Es ist einfach zu kostenaufwändig und es ist auch nicht notwendig das Polymer nach jedem Zyklus vollständig abzubauen, sondern erst dann, wenn die Materialeigenschaften nicht mehr den Kriterien entsprechen.
Können Sie mir sagen, was die nächsten Schritte sind?
Dr. Christian Sonnendecker: Die Forschung ist Teil des EU-Projekts ENZYCLE, das noch bis Mitte 2024 läuft und bis dahin wollen wir von dem aktuellen Ein-Liter-Reaktor auf einen Reaktor mit über 100 Litern kommen. Anschließend wollen wir die Effizienz des Verfahrens prüfen, zum Beispiel wollen wir den CO2-Fußabdruck der Technologie in Zahlen festhalten und natürlich schauen, ob sich damit Geld verdienen lässt. Denn leider ist es so, dass wir erst dann eine derartige Technologie großflächig einsetzen können, wenn unterm Strich schwarze Zahlen geschrieben werden können. Daher entwickeln wir den Prozess in allen Schritten möglichst kosteneffizient. Der zweite Punkt ist die Enzyme durch Proteinengineering weiter zu verbessern, wie hinsichtlich ihrer Langlebigkeit im Reaktor und ihrer Aktivität. Wir haben es bereits geschafft, die Reaktionszeit bis das PET im Reaktor abgebaut ist, von 24 Stunden auf fast 12 Stunden zu halbieren. Durch eine Vorbehandlung mit gleichzeitiger Oberflächenvergrößerung kann dies sogar in unter einer Stunde erfolgen. PET-Ströme, die aktuell verloren gehen, versuchen wir durch unsere Technologie zurückzugewinnen. Inwieweit ein neuer Recyclingprozess ökonomisch ist, hängt allerdings auch von unser aller Bereitschaft ab, die bisherigen Gewohnheiten bei der Müllentsorgung anzupassen. In Japan sortiert man in den Haushalten mitunter bereits die unterschiedlichen Kunststoffsorten. Im Grunde ist von uns allen ein komplettes Umdenken gefordert, wie wir mit Kunststoffen umgehen und inwieweit wir diese überhaupt brauchen. Wir müssen unsere Bequemlichkeit in dieser Thematik aufgeben, wenn wir wirklich etwas verändern wollen. Eine Allgemeinlösung seitens der Technologie wird es auch mit PHL7 nicht geben.