Zweifellos hat sich mittlerweile international herumgesprochen, dass China aufregend, reich und äußerst dynamisch ist – und zugleich eine etwa viereinhalbtausend Jahre alte Kultur nachweisen kann. Also sind wir alle darüber stets beeindruckt und sollten dies durchaus auch sein. Eigenartig bloß, dass viele der in jenem Land lebenden Menschen – auch oder gerne Intellektuelle – dies zwar an und für sich wissen, dennoch nicht wirklich selbstbewusst damit umgehen, vielmehr ständig die traditionell entwickelten Industrieländer bewundern und deren Attitüden, Bilderwelten und Gedankengänge nachzuvollziehen suchen. Dafür, nebenbei, ein drastisches Exempel: Da man in der chinesischen Schrift sowohl von links nach rechts als auch von oben nach unten und von rechts nach links schreiben (und auch Bücher setzen) kann und zudem in der chinesischen Sprache keine grammatikalischen Zeitangaben existieren, stellt sich für einen westlichen, an lineare Schreibweisen und klare Zeitangaben gewöhnten Menschen doch die schier verzweifelte Frage: „Wie lesen die das?" – Die Antwort darauf ist für unsereins durchaus verblüffend und auch wunderbar: Man liest stets etwa acht bis zehn Zeilen gleichzeitig und komponiert daraus – und aus mittelbaren Zeitangaben – den Sinn des Textes. In westlicher Poesie erhoffte man dies einst unter der Kategorie der produktiven Rezeption beim Lesen, in China ist das üblich. Doch man könnte noch einen Schritt weitergehen: Die chinesische Kultur nötigt zu einer assoziativen Logik, zum stets vernetzten, kontextuellen Wahrnehmen. Und dies ist doch, wenn ich derzeitige westliche Diskurse richtig verstehe, eine substantielle Forderung an Denken und Handeln (zumal in digitalen Zeiten), eben die Kritik an linearer Logik. Nur: Dies kann man chinesischen Intellektuellen noch und noch zu erklären versuchen und ihnen verzweifelt nahe legen, doch nicht zurückzufallen und westliche Logik zu imitieren: es hilft nichts, sie imitieren gar angestrengt. Gewiss, dies kann man sehr vielfältig begründen. Etwa aus der grundsätzlichen chinesischen Vorstellung, dass die Nachahmung der Meister vordergründig wichtigstes Ziel (auch in der Kunst) der Lernenden ist – insofern versteht man dort an und für sich keineswegs das Problem, das andere Kulturen mit „Fälschungen" haben. Auch kann man zum Beispiel jeden Tempel oder andere wichtige Gebäude nach einigen Jahrzehnten abreißen und neu aufbauen, und der Neubau wird ebenso bewundert werden wie der alte. Schließlich hat auch die Kulturrevolution der sechziger Jahre möglicherweise so viel an kulturellem Selbstvertrauen zerstört, dass ein kulturelles Selbstbewusstsein erst allmählich sich wieder entwickeln wird. So viel vorab, das Folgende besser zu verstehen. Denn sonst wäre völlig unbegreiflich, warum – nun kommt es – die China Academy of Art (CAA, 1928 gegründet, die älteste Kunstakademie Chinas) in Hangzhou (die wohl schönste Stadt Chinas, etwa 200 Kilometer südlich von Shanghai gelegen, sehr reich, „nur" acht Millionen Einwohner) kürzlich von einem Hamburger Sammler (nämlich dem Sohn von Karl H. Bröhan) eine „Bauhaus"-Sammlung von über 7.000 Objekten für sage und schreibe sechzig Millionen Euro gekauft, dafür auf dem Designcampus (etwa eine Stunde vom Stadtzentrum entfernt in asiatisch-grüner Landschaft) ein eigenes Gebäude gebaut hat und dies nunmehr öffentlich zugänglich werden lässt. Vermittler dabei ist ein chinesischer Designer, der in Berlin studierte, und bemerkenswert ist zusätzlich, dass auch eine koreanische Institution mitgeboten hat, aber Hangzhou den Zuschlag erhielt. Irgendwie ist das unfassbar und man fragt sich: Warum diese Sammlung an diesen Ort? Bezahlt hat diese riesige Summe die äußerst wohlhabende Stadtregierung von Hangzhou. Und man ist stolz darauf. Allein der westliche Beobachter ist verwundert. Gut, auch in den europäischen Ländern existieren große Museen für ostasiatische Kunst; doch diese Gründungen basierten eher auf dem Gedanken, koloniale Macht und Reisen darzustellen, eventuell auch an Exotik zu partizipieren – und so entwickelten diese lediglich hintergründig Einsichten und womöglich auch Anregungen im Kontext jener Kulturen für das europäische Denken und für die europäische Kunst. Hier, mit dieser Bauhaus-Sammlung, aber wird es ernst, denn man erhofft sich in China offenkundig, daraus lernen zu können: Nicht nur (das wäre leicht verständlich) zu begreifen, wie europäische Gestaltung historisch begründet wäre, sondern ganz unmittelbar als Vorgabe und Vorbild. Übrigens – und sehr plausibel – ergeben sich bei dieser Sammlung auch einige merkwürdige Missverständnisse. Zunächst – weil eben komplett so gekauft und demgemäß ausgestellt – ist dort nicht nur vom Bauhaus die Rede, vielmehr werden auch Objekte (leider zum Teil nur Remakes) von Gerrit Rietveld, Josef Hoffmann und Peter Behrens sowie von Olivetti und anderen ausgestellt. Tragischer indes sind einige Fehler in der namentlichen Zuordnung und im Verständnis: So wurde in der Ausstellung zum Beispiel der Deckel der Teekanne des berühmten Geschirrs, das Walter Gropius für Rosenthal entwickelt hat, verdreht, so dass der eigentliche Sinn, eben diesen Deckel beim Eingießen mit dem Daumen festhalten zu können, völlig vernachlässigt und verdreht wird. Noch schlimmer: Da gibt es in einer Vitrine mit etlichen Tee- und Wasserkesseln die Datierung „1932" – und gezeigt wird der Wasserkessel von Richard Sapper für Alessi. 1932 ist nicht das Datum, an dem der Wasserkessel entstand, sondern das Geburtsjahr des Designers. So weit zu dieser Ausstellung selber, die beeindruckend und merkwürdig zugleich ist. Nun zu den möglichen Gründen für die Existenz dieser Sammlung in Hangzhou: Da gibt es im chinesischen Design tatsächlich die Vorstellung, man befinde sich in der eigenen Entwicklung derzeit gerade in diesem Stadium zwischen Kunsthandwerk und wirklichem Design. Dies ist verständlich, wenn man jene viereinhalbtausend Jahre chinesischer Kultur und chinesischen Handwerks auch als Bürde begreift, da die Geschichte ständig die Gestaltung der Gegenwart überlagert oder zu überlagern droht. So ist schier plausibel, dass man nach einem Besuch, der zum Beispiel mit einem Vortrag über avanciertes Design an einer chinesischen Institution verbunden ist, fast immer als Geschenk etwas aus dem traditionellen Handwerk erhält. Denn da sind sich die Gastgeber sicher. Von außen betrachtet ist dies zweifellos etwas traurig, da die chinesischen Gastgeber jenseits auch ihrer eigenen Wirklichkeit von Design sich mit „Arts and Crafts" verbünden und damit in deren verblasene Idylle flüchten. Ein anderes Problem, bei dessen vermeintlicher Lösung diese Sammlung exemplarisch helfen soll, betrifft die Binnenstruktur der wichtigsten chinesischen Lehranstalten für Design. Denn diese (vor allem die CAA in Hangzhou, die CAFA in Peking, die Designabteilung der Tsinghua University ebendort und die GAFA in Guangzhou – hierzulande „Kanton" genannt) Akademien sind traditionell Kunstakademien und werden von Präsidenten geleitet, die Künstler sind oder sich als solche verstehen mögen. Tatsächlich verhalten diese Akademien sich in der Leitung verhältnismäßig traditionell (wobei zu bedenken ist, dass in China der Markt auch für neu produzierte traditionelle Malerei gewaltig und sehr ergiebig ist), während seitens der chinesischen Regierung – und offenbar auch etlicher Regionalregierungen – ganz klar und der wirtschaftlichen Entwicklung zuliebe das Designstudium favorisiert wird. Hier herrscht wirklich ein erstaunliches Ungleichgewicht – zumal angesichts solcher Zahlen: Insgesamt in China gibt es derzeit mehr als eine Million Designstudentinnen und -studenten; allein an der CAA in Hangzhou bewerben sich zum Beispiel jährlich – nur für das Designstudium – 65.000 Menschen, von denen etwa tausend aufgenommen werden. Diese politische Komplikation und ästhetische Ungleichzeitigkeit tentativ aufzulösen, das soll implizit diese Bauhaus-Sammlung schaffen. Denn im Bauhaus existierten bekanntlich Künstler, Architekten und andere Gestalter quasi gleichberechtigt und in aktiver Harmonie. Also nimmt man sich in China einfach dies als ein Vorbild der Möglichkeit und dortzulande der Notwendigkeit, einen Platz in den Hochschulen für das Designstudium zu etablieren. Gewissermaßen nebenbei könnte auch noch ein spezieller Grund für die Aneignung dieser Sammlung sein, dass der derzeitige Präsident der Hochschule in Hangzhou selber an der Hochschule für bildende Künste Hamburg studiert hat und deshalb eventuell der Bezug zu dem Hamburger Sammler existierte und sich nun monetär umgesetzt hat. Wie auch immer: Nun gibt es diese Sammlung an diesem Ort, und offensichtlich mussten nun doch diese Investition und diese Verortung irgendwie legitimiert werden. Demgemäß fand dort kürzlich im Rahmen des großen nationalen chinesischen Kongresses für Industriedesign auch eine Konferenz statt unter dem Titel „The Bauhaus and the Orient". Dabei traten etwa dreißig Referenten (wirklich nur männliche Wesen) auf, um den Zusammenhang zwischen chinesischer Kultur und chinesischem Design mit dem Bauhaus zu erörtern. Was, zugegebenermaßen, nur teilweise klug gelang. In den meisten Fällen hielt man sich an Abstraktionen, ließ gezwungene Aktualisierungen der Bauhaus-Ideen hören – oder trug wie ein Märchenonkel noch einmal dessen Geschichte vor. So bleibt einstweilen nur die Hoffnung, dass plötzlich das Bauhaus dazu taugt, die gegenwärtigen Probleme Chinas im Umgang mit der eigenen Kultur, mit westlichen Errungenschaften und mit dem Design besser zu verstehen. Doch dafür braucht es Zeit – nur nimmt sich diese in China eigentlich niemand –, die Wirklichkeit von Design zu begreifen und in Studium und Praxis umzusetzen.
China und das Bauhaus als Wunderkammer
von Erlhoff Michael | 11.12.2011
Eingang zur Bauhaus-Sammlung in Hangzhou, Foto © Michael Erlhoff
Eingang zur Bauhaus-Sammlung in Hangzhou, Foto © Michael Erlhoff
Neue Gebäude für die ehemaligen Baushaus-Objekte von Karl H. Bröhan, Foto © Michael Erlhoff
Der Investor hinter dem neuen Bauhaus-Museum ist die Stadt Hangzhou, Foto © Michael Erlhoff
„Slatted Chair" von Marcel Breuer
Teeservice „Tac" von Walter Gropius