von Thomas Edelmann
B&B Italia wird 50 und hilft noch immer Veränderungen auf die Sprünge.
„Fünfzig Jahre in zeitgenössischer Designkultur“ – so lautet das Leitmotiv einer Vielzahl von Aktivitäten zum Firmenjubiläum von B&B Italia. Eine Inszenierung im Impluvium des Palazzo dell’Arte der Triennale steht unter dem Motto „The Perfect Density“, wobei man unwillkürlich an Art und der Verarbeitung von Polstermöbeln denken mag, doch gemeint ist auch die Dichte von Ideen und Projekten. In acht Thementürmen werden sie pulsierend und mit aktuellen Medien der Inszenierung dargestellt. Die Vorabpräsentation der Macher dieser Schau lässt an den Seiten überlebensgroß den Blick des 2014 verstorbenen Firmengründers Piero Ambrogio Busnelli erkennen, der mit gewohnt entrücktem Weitblick die Szenerie ins Auge fasst.
Etwas ruhiger geht es im Showroom in der Via Durini zu: Dort ist die emotionale und doch sehr informative filmische Würdigung über „Poetry in the shape. When design meets industry“ in stündlichen Vorführungen zu sehen. Mailand-Reisende sollten schon einmal Platz für einen Regalbieger im Koffer freihalten. Während die XXI. Triennale fragt, wie es mit dem Design nach dem Design weitergeht, kündet die aktuelle kulturgeschichtliche Selbstdarstellung von B&B Italia von „The Long Life of Design in Italy“. Es ist der Nachfolger von „Un’ industria per il design“ (Eine Industrie für das Design), einem bedeutenden Werk der Firmen- und Designliteratur, das bereits 1982 mehrere hundert Seiten umfasste und den Macher Busnelli ebenso intensiv porträtiert wie die Gestalter und ihre wichtigsten Projekte, die sie gemeinsam entwickelten.
Als die Spielräume noch groß waren
Das Gründungsjahr 1966 markiert einen Zeitabschnitt, in dem viele in der Brianza nördlich von Mailand ansässige Möbelhersteller überlegten, wie ihr Geschäftsmodell und ihr Portfolio in Zukunft aussehen sollten. Inspiriert vom umtriebigen Dino Gavina entwickelte Cassina eine umfassende Kollektion von Neuauflagen historischer Avantgarde-Möbel und arbeitete zugleich mit zeitgenössischen Architekten zusammen. Der experimentelle Spielraum, den mache Hersteller eröffneten und in dem sich Gestalter damals behaupteten, erscheint aus heutiger Sicht unerhört. Zugleich entstanden mit Markenbildung und Internationalisierung die Grundlagen der heutigen internationalen Aktivität vieler Möbelunternehmen; in letzter Zeit unter Bedingungen eines verschärften Wettbewerbs, der alle dazu zwingt, nach Innovationen zu schielen, die beim Nachbarn schon erfolgreich sind.
Anders in der Epoche des „Mid centrury modern“, jener heute bestaunten und ästhetisch nachgeahmten zweiten Pionierzeit des Designs. Mit dem Stuhl „Superleggera“ von Gio Ponti hatte Cassina bereits Ende der 1950er Jahre seine handwerkliche Spitzenstellung unter Beweis gestellt. Derart leichte Konstruktionen, die zugleich präzise verarbeitet sind, konnten zu diesem Zeitpunkt nur wenige Unternehmen realisieren. Neue Kooperationsformen zwischen Herstellern brachten neue Firmen hervor. So entstand aus der Zusammenarbeit von Gavina mit Cassina der Leuchtenhersteller Flos. Mut, die Bereitschaft Projekte zu starten und beständig weiterzuentwickeln kennzeichnete den Zeitgeist.
Reflexe wie ein Rennfahrer
Anreger und Angeregte waren Unternehmerpersönlichkeiten wie Piero Ambrogio Busnelli. Am 13. April 1926, vor 90 Jahren also, wurde er in Meda geboren. Während des Krieges wuchs er in armen Verhältnissen auf. Als sein Vater starb, musste die achtköpfige Familie allein ihr Überleben sichern. Er ging in die Schule für Waisenkinder. Der örtliche Metzger, bei dem er für die Familie anschreiben ließ, sagte ihm eines Tages, für ihn gebe es kein Fleisch mehr. Ein Desaster für den Heranwachsenden, das in seiner späteren Leidenschaft für die Großwildjagd ein spätes Echo fand. „Er hat schnelle Reflexe wie ein Formel 1-Fahrer“, beschrieb ihn Marco Zanuso, „er entscheidet an Ort und Stelle.“
Im Jahr 1952 startete er mit seinem Bruder ein erstes gemeinsames Unternehmen. Wie die vielen Berufe, die er zuvor erlernt und gemeistert hatte, füllte ihn dieses erste Unternehmen nicht aus. Denn sein Bruder war mit dem Erreichten zufrieden. Ein Empfinden, das ihm unbekannt blieb. Busnelli suchte nach Herausforderungen. Die Industrie für das Design war sein Traum. Wie könnte man abgehen von den Prinzipien der heute Handwerkskunst, damals Kunsthandwerk genannten Tätigkeit, hin zur Nutzung neuer Kunststoffe und Methoden der Arbeitsorganisation? Mit 40 gründete er als Juniorpartner von Cesare Cassina das Joint-Venture C&B Italia. Bob Noorda schuf das erste Logo, das bald schon von Enrico Trabacchi überarbeitet wurde.
Nach den Regeln der Industrieproduktion
Die ersten Produkte basierten auf Metallgestellen, die in Formen mit Kunststoff umschäumt wurden, statt diesen zugeschnitten auf das Gestell aufzulegen. Größere Stückzahlen, sinkende Kosten, konsequente Markenbildung: Die Regeln der Industrieproduktion sollten von nun auch für Möbelhersteller selbstverständlich werden. Afra und Tobia Scarpa, Mario Bellini und Marco Zanuso gehörten zu den ersten Gestaltern, die Produkte wie den Sessel „Coronado“ oder das Endlossofa „Lombrico“ standen für die erste Welle von Entwürfen, mit denen das Unternehmen seine technologische Innovationskraft dokumentierte. Cassina schlug Gaetano Pesce vor, den Entwurf des heute ikonischen Sessels „Up“ in seiner neuen Firma zu realisieren, damals C&B.
Aus C&B wird B&B
Nach sieben Jahren trennten sich Cassina und Busnelli. 1973 verwandelte sich C&B in B&B Italia. Und Busnelli erhielt die Gelegenheit, seiner Vision weiter zu folgen. So bezog er ebenfalls 1973 die von Renzo Piano und Richard Rogers entworfene Firmenzentrale in Novedrate. Als „Piccolo Pompidou“ nimmt sie Ideen der beiden Architekten vorweg, die sie parallel am „Centre Pompidou“ in Paris realisierten. Und Busnelli, der sich spontan für die Verrücktheit eines Entwurfs entschied, der Haustechnik sichtbar nach außen verlagerte, stand plötzlich in der Tradition eines Adriano Olivetti, der ebenfalls bei Produkt, Grafikdesign und Firmenarchitektur nichts dem Zufall überließ, sondern in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den besten Gestaltern seiner Zeit entwickelte.
Mario Bellini schuf 1972 zeitgleich für Olivetti die Rechenmaschine „Logos“ und sein informelles Sessel- und Sofaprogramm „Le Bambole“. Fotografiert von Olivero Toscani mit dem New Yorker Model Donna Jordan, die im Umfeld von Andy Warhol bekannt wurde, sorgte die Kampagne für internationale Aufmerksamkeit. Den ersten internationalen Showroom, gestaltet von Afra und Tobia Scarpa, eröffnete B&B Italia 1976 in New York.
Zeitgenossenschaft wird großgeschrieben
Designer und Architekten wie Antonio Citterio etablierten sich in Zusammenarbeit mit Busnelli. Citterio entwickelte seine moderne, stets begründbare und eingängige Formensprache evolutionär weiter. Ein erster Meilenstein, das Sofa-Programm „Diesis“, ist noch heute im Programm. Citterios Modelle füllen heute ein eigenes Designer-Alphabet, mit Vornamen berühmter Kollegen von A wie „Arne“ bis R wie „Ray“. Entwürfe wie „City“ oder „Domus“ waren nicht nur für die Entwicklung von B&B Italia von Belang, sondern für die Weiterentwicklung der gesamten Branche.
So hat B&B Italia der Veränderung von Einrichtungsstilen immer wieder auf die Sprünge geholfen – und dabei Designer bekannt und populär gemacht, von Patricia Urquiola über Naoto Fukasawa bis hin zu Jeffrey Bernett. Andere, die sich – wie David Chipperfield oder Zaha Hadid – längst einen Namen gemacht hatten, fanden hier einen Partner zur Umsetzung ihrer Ideen. Nicht immer mag man dem Familienunternehmen in zweiter Generation seine innovativen Wurzeln anmerken. Doch der Designgeschichte im Sinne von Zeitgenossenschaft, die Prognose sei erlaubt, werden auch künftig in Novedrate und Mailand weitere Kapitel hinzugefügt.