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Neue Pfade im Bestand

Der ehemalige Flakbunker an der Feldstraße in Hamburg hat vor kurzem seitens der phase10 Ingenieur- und Planungsgesellschaft mbH eine fünfgeschossige Erweiterung erhalten. Worauf es dabei ankam, sagt uns Geschäftsführer und Projektleiter Ronny Erfurt im Interview.
07.10.2024

Anna Moldenhauer: Wie ist die Idee entstanden, den Flakturm IV in Hamburg zu erweitern?

Ronny Erfurt: Wir als phase10 haben die Verantwortung übernommen, die Planung in Kooperation mit der Denkmalpflege sowie der Bürgerinitiative Hilldegarden e.V. so zu perfektionieren, dass sie umsetzbar ist und anschließend das Projekt bis zur Realisierung zu betreuen. Wichtig war, dass die Aufstockung des Bunkers dessen Geschichte berücksichtigt und die Themen Nachhaltigkeit, Begrünung von Stadtlandschaften und Multifunktionalität einbeziehen. Dazu gehören eine Veranstaltungshalle im Kern des Gebäudes sowie Hotelflächen und eine Bar. Über einen "Bergpfad" lässt sich indes das begrünte Dach des Bestands erreichen, von dem man einen großartigen Blick über Hamburg genießen kann.

Der Bau von 1943 ist 38 Meter hoch, zählt zu den größten Hochbunkern in Deutschland und hat mitten auf St. Pauli eine sehr exponierte Lage. Sie haben den Bestand um fünf Etagen erweitert sowie um Aufzüge und einen Bergpfad. Welche Herausforderungen sind Ihnen dabei begegnet?

Ronny Erfurt: Sehr viele, denn auf den Bunker lässt sich nicht einfach eine Erweiterung aufstocken. Das Tragwerkkonzept und dessen Umsetzung war die erste Herausforderung. Dann musste jedes Bauteil mindestens 38 Meter in die Höhe gehoben werden. Dieie Baustellenlogistik war sehr umfangreich mit einer Anordnung aus Kränen, Transportwegen auf dem Grundstück sowie auf dem Bunker selbst, da es neben dem Bau kaum Lagermöglichkeiten gab. Dem folgten der Innenausbau und die Bepflanzung des Projekts.

Mitten im Ablauf kam dann noch die Covid-19 Pandemie dazu.

Ronny Erfurt: Richtig, das hieß, wir mussten uns so weit wie möglich per Videochat austauschen, bis die Arbeit auf der Baustelle wieder aufgenommen werden konnte.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Materialien für den Erweiterungsbau ausgesucht, auch im Hinblick auf die Nachhaltigkeit?

Ronny Erfurt: Die Materialwahl wurde stark von den Randbedingungen beeinflusst, denn die Grundlage war ein umfangreiches Brandschutzkonzept. Dazu kamen ein Windgutachten und die Anforderungen mit Blick auf die Nutzung als Veranstaltungsstätte. Wenn man ein Projekt komplett begrünt, dann steht das Thema Nachhaltigkeit mit an erster Stelle. Wir haben versucht, so weit wie möglich mit Sichtbeton und einfachen Konstruktionen zu arbeiten.

Die Pflanzen für die Dach- und Fassadenbegrünung müssen in der Höhe besonderen Bedingungen standhalten – wie haben Sie diese ausgewählt und deren Versorgung geplant?

Ronny Erfurt: Das Konzept an sich war bereits vorgegeben: eine grüne Oase auf dem Dach zu schaffen. Die 4.700 Pflanzen sind eine Mischung aus Nadel- und Laubgehölze sowie Sträuchern.

Zu den Nutzungen in der Erweiterung zählt ein Hotel sowie eine Mehrzweckhalle. Wie haben sie die Akustik hierfür gelöst?

Ronny Erfurt: Stellen Sie sich vor, in der Halle spielt eine Rockband mit 100 Dezibel und entsprechenden Bässen. Parallel muss die Atmosphäre in den Hotelzimmern eine angenehme Geräuschqualität haben. Um das gewährleisten zu können, haben wir eine Box-in-Box Konstruktion geplant und umgesetzt: Die Halle steht allein mit einer Stahlbetonhülle vom Boden bis zur Decke. Dann gibt es einen entsprechenden Zwischenraum und die Konstruktion für die weiteren Hotelbereiche, wie das Restaurant, sind auf eine neue Halle gesetzt worden. Die ersten Messergebnisse für die Akustik haben gezeigt, dass unser Plan gut funktioniert.

Der Bunker ist seit Kriegsende ein vielfältig genutzter Ort. Parallel bleibt er als ehemaliger Gefechtsturm auch ein Mahnmal, errichtet von Zwangsarbeitern, zum Schutz und zur Abwehr von Luftangriffen genutzt. Wie haben Sie diesen Punkt in die Planungen integriert?

Ronny Erfurt: Das ehemalige Bunkerdach, auch "Level Null" genannt, ist eine Schnittstelle, in der seitens der Bürgerinitiative Hilldegarden e.V. ein Bunkermuseum entstehen wird. Abschnitte der Innenräume sind in Absprache mit dem Denkmalschutz im Originalzustand belassen oder rekonstruiert worden. So können sich die Besucher nach dem ersten Teil des Bergpfades über die Geschichte und Nutzung des Baus informieren. Auch wurde der Charakter des Bunkers durch die Erweiterung nicht maßgeblich verändert.

Ronny Erfurt

Der Umbau war zu Beginn nicht nur positiv gesehen. Was waren die Sorgen der Gegenstimmen?

Ronny Erfurt: Während der Bauarbeiten war das Gebäude weiterhin komplett vermietet und es gibt zudem Wohnanlagen in der Nachbarschaft – da gab es schon ab und an Konflikte wegen des Baulärms, aber wir konnten jeweils vermitteln. Das Projekt wurde privat finanziert seitens der Matzen Immobilien KG und dem Bauherrn Thomas Matzen war daran gelegen, kein rein kommerzielles Projekt zu planen. Der Bergpfad hinauf zum Dachgarten ist beispielsweise kostenfrei begehbar.

Welche Erkenntnisse haben Sie aus dem Großprojekt mitgenommen?

Ronny Erfurt: Bei Großprojekten müssen wir eine andere Kommunikation auf der Baustelle finden. In Deutschland haben wir die anspruchsvollsten und umfangreichsten Vorschriften für die Planungsprozesse. Um sicherzustellen, dass diese auch eingehalten werden, braucht es digitale Instrumente, beispielsweise dreidimensionale Pläne, die international verständlich sind. Parallel bedarf es einer stetigen Kommunikation mit allen Beteiligten, um die Prozesse in der Baulogistik laufend zu optimieren.

Die Projekte von phase10 sind vielfältig, von Wohngebäuden über Sportanlagen und Bildungsstätten – gibt es Punkte, die ihnen bei jedem Projekt wichtig sind, unabhängig von der späteren Nutzung?

Ronny Erfurt: Wichtig ist immer die Begeisterung für ein Projekt. Die Funktionalität und Wirtschaftlichkeit zählen ebenso wie ein innovatives Denken, abseits der bekannten Wege. Wir möchten mit unseren Projekten Spuren hinterlassen und sowohl uns als auch unsere Kunden begeistern.

Woran arbeiten Sie aktuell?

Ronny Erfurt: Wir haben mit unserem Wettbewerbsbeitrag die Neugestaltung des Fernsehturms in Dresden gewonnen. Darüber hinaus sind wir unter anderem am Entwurf für den Betrieb von Flugtaxis in Sachsen beteiligt und an einem Projekt mit einer Wohnungsgenossenschaft in Lößnitz, um der Wohnknappheit mit neuen Angeboten zu begegnen.


Öffnungszeiten Bunker St. Pauli: 9 bis 21 Uhr

Informationsort Leitstand