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Das architektonische Prunkstück der Bibliothek: Der von Henri Labrouste entworfene Lesesaal erstrahlt in neuem Glanz.

Zeitenwende im Palast der Bücher

Seit dem frühen 18. Jahrhundert residiert die wichtigste Bibliothek Frankreichs an der Rue de Richelieu im zweiten Pariser Arrondissement. Schon über Jahre wird der kunsthistorisch hochbedeutende Komplex saniert. Jetzt ist der erste Renovierungsabschnitt wiedereröffnet worden.
von Fabian Peters | 06.02.2017

Im Jahr 1988 beschloss die französische Regierung, mit einem ewigen Klein-Klein sei nichts mehr zu gewinnen und entscheid sich für den großen Wurf: Sie schrieb einen Wettbewerb für den Neubau der französischen Nationalbibliothek aus. 1996 zog die traditionsreiche Institution nach über 250 Jahren von der Rue de Richelieu im Zentrum von Paris nach Tolbiac im plebejischen Osten der Stadt. Dominique Perraults gleichermaßen spektakulärer wie umstrittener Bau mit den vier gläsernen Magazintürmen und unterirdischen Lesesälen heißt mittlerweile nach seinem Initiator François Mitterand.

Es war das zweite Mal in der Geschichte der Institution, dass man sich angesichts immer weiterwachsender Bestände nicht mehr anders als mit einem großmaßstäblichen Bauprojekt zu helfen wusste. Beim ersten Mal hatte man sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts dazu entschlossen, die Bibliothek, die damals in einem Konglomerat aus zwei vormaligen Adelspalais und verschiedenen Anbauten untergebracht war, müsse zeitgemäße Lese- und Magazinräume erhalten. Man berief dafür mit Henri Labrouste einen Architekten, der kurz zuvor mit dem Bau der Bau der Bibliothèque Sainte-Geneviève den vielleicht ersten modernen Bibliotheksbau vollendet hatte, bei dem er wesentliche Teile der Konstruktion aus Gusseisen errichten ließ. Labrouste legte mehr als die Hälfte der alten Bebauung nieder und schuf ein gewaltiges Büchermagazin und einen Lesesaal, der mit seinen neun Kuppelgewölben auf filigranen Eisenstützen fraglos zu den schönsten Bibliotheksräumen überhaupt zählt.

Herrschaftliches Entrée: Im neugestalteten Westfoyer bildet ein gewaltiger Deckenlüster das Zentrum.

Nach dem Bezug des Neubaus im Jahr 1996 nutzte die Nationalbibliothek die alten Gebäude in der Rue de Richelieu weiter für Ausstellungen und für einige ihrer bedeutenden historischen Sondersammlungen, etwa die Handschriften und das Münzkabinett. Die konservatorischen Bedingungen und technischen Anlagen waren jedoch mittlerweile so mangelhaft, dass eine Generalsanierung unerlässlich war.

Im Jahr 2007 begann das Büro Bruno Gaudin Architectes deshalb mit der Planung einer umfassenden Instandsetzung, die gleichzeitig eine zeitgemäße Nutzung des Standortes ermöglichen sollte. Diese erforderte vor allen Dingen eine effiziente Durchwegung der Bautengruppe. Die dafür nötigen Anpassungen waren jedoch komplex, galt es doch, die geschützten und kunsthistorisch bedeutenden Teile des Bautenkonglomerats in ihrer Substanz unangetastet zu lassen. 

Als Ergebnis intensiver Bauforschung entwickelten die Architekten eine Vielzahl von Maßnahmen zur Umgestaltung des Komplexes. So planten sie ein zentrales, langgestrecktes Foyer als Haupterschließung der Bibliothek. Es ermöglicht den Zugang von zwei gegenüberliegenden Seiten des Gebäudeblocks. Ein zentrales Treppenhaus erschließt die Anlage auch in der Vertikalen. Außerdem verschoben die Architekten die Grenze zwischen öffentlichem und nicht-öffentlichem Bereich: Große Teile des Büchermagazins sind nun für die Benutzer zugänglich. Gleichzeitig entstanden hier zahlreiche neue Arbeitsplätze für Bibliotheksbesucher. Damit kann jetzt auch jene kunstvolle Gusseisenarchitektur bewundert werden, die Henri Labrouste zur Lagerung der Buchbestände der Bibliothèque Nationale schuf. Sie wurde vollständig restauriert und für die neue Nutzung ausgestattet.

Ingenieurskunst in Gusseisen: Das Büchermagazin der Bibliothek Nationale de France in der Rue de Richelieu

Großen Wert haben die Architekten darauf gelegt, die historische Ausstattung zu erhalten und fachgerecht zu restaurieren. Dort wo Eingriffe notwendig waren oder Räume neu konzipiert wurden, entwickelten die Architekten mit wenigen Ausnahmen zurückhaltende und neutrale Interieurlösungen. So gestalteten sie den neuen Lesesaal des Département des Arts du Spectacle mit vertikalen Holzlamellen, die an der Ausgabetheke, den Tischen, vor allem aber als wellenförmig geschwungener Wandschirm im oberen Raumteil erscheinen. Beim westlichen Zugang zum großen Foyer wichen Bruno Gaudin Architectes jedoch vom Gestaltungsprinzip der Zurückhaltung ab. Hier, am Eingang zum Lesesaal Labroustes, akzentuierten sie den Raum mit einem majestätischen Deckenlüster. 

Im Dezember 2016 wurde der erste Renovierungsabschnitt einschließlich des Magazingebäudes und des Lesesaals von Henri Labrouste abgeschlossen und der Öffentlichkeit übergeben. Gleichzeitig wurden neue Bibliotheksbestände hier angesiedelt: diejenigen des Institut national d’histoire de l’art und der École nationale des chartes. Bis zum Jahr 2020 soll der gesamte Komplex saniert sein. Dann werden die ältesten Gebäudeteile bereits seit knapp 300 Jahren die Bibliothèque Nationale beherbergen. Ob Perraults Neubau dereinst auch auf eine so stolze Geschichte wird zurückblicken können? 

Eine neugeschaffene Achse durchmisst den Gebäudeblock und erschließt die wichtigsten Bereiche direkt.
Ein unaufgeregter Ort der Lektüre: Der neue Lesesaal des Département des Arts du Spectacle
Wo die Architekten den Bestand verändern mussten, wie hier im Handschriftenlesesaal, gestalteten sie den Eingriff deutlich als Zutat ihrer Zeit.