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v.l.n.r.: Dr. Marc Brunner, Patrick Reymond, Armand Louis und Aurel Aebi von atelier oï

Dynamisches Werkzeug

Brunner präsentierte im Rahmen der Milan Design Week die ersten Prototypen des Raumtrenners "foild" – ein leichter, varibaler Raumgestalter aus der Feder des Architektur- und Designstudios atelier oï. Das Konzept erklären uns der Designer Aurel Aebi (einer der drei Gründer von atelier oï) und der Geschäftsführer Dr. Marc Brunner im Interview.
08.05.2023

Anna Moldenhauer: Die Entwicklung von "foild" ist die erste Zusammenarbeit von atelier oï und Brunner, wie ist diese zustande gekommen?

Aurel Aebi: Das Unternehmen Brunner hat uns schon seit längerem interessiert, wir fanden ihre Arbeit spannend. Als wir bei einem Besuch im Werk von Brunner die hohe Ingenieurskunst des Unternehmens kennenlernen konnten, waren wir umso mehr begeistert. Gemeinsam haben wir dann Projekte realisiert, in denen wir die Innenarchitektur entworfen haben und Brunner die Möblierung übernommen hat, wie für eine Schule in Singapur. Parallel konnte Dr. Marc Brunner bei einem Besuch in unserem Büro sehen, wie wir arbeiten – auf rund 900 Quadratmetern in einem ehemaligen Motel aus den 1960er Jahren. Das "Moïtel" bietet uns genügend Raum für eine Materialbibliothek mit etwa 20.000 Materialien plus Ausstellungsflächen, Werkstätten und Büros. Der Austausch untereinander war und ist essenziell für uns.

Marc, was hat euch am Portfolio von atelier oï gereizt?

Dr. Marc Brunner: Wir suchen gezielt die Zusammenarbeit mit DesignerInnen, deren Arbeit uns begeistert und die Handhabung der Materialien in der Gestaltung seitens atelier oï sowie ihre guten Ideen haben mich sofort überzeugt – sie schaffen es immer wieder Produkte zu entwickeln, die man so bisher nicht gesehen hat. Nach der gemeinsamen vertrieblichen Zusammenarbeit sind wir für die konkrete Produktentwicklung mit einem sehr offenen Briefing gestartet. Der Mut, den wir dafür an den Tag gelegt haben, zahlt sich jetzt aus. Mit "foild" ist etwas Wunderbares entstanden, das wir so nicht erwartet hätten und für uns eine neue Typologie definiert. Das passiert nicht häufig, ist also für uns sehr besonders.

Welche Fragen habt ihr euch für die Produktentwicklung gestellt?

Aurel Aebi: Die Arbeitswelt ist im Wandel und bedingt durch die Pandemie ist das Thema Flexibilität stark in den Vordergrund gerückt. Je nach Projekt vergrößern und verkleinern sich viele Teams jeweils kurzfristig. Das Planen mit raumbildenden Elementen ist dafür viel zu rigide. Das wir seitens Brunner ein offenes Briefing bekommen haben, hat uns die Möglichkeit gegeben frei zu beobachten, wie wir die aktuelle Arbeitswelt mitgestalten können. Das Beobachten ist eine der schönsten Formen des Denkens. Wir planen aktuell verschiedene Arbeitsplatzkonzepte für große Unternehmen wie die Schweizer Bundesbahnen und in diesen Projekten haben wir gesehen, dass es im Grunde nur eine Art des Satzzeichens braucht, das man wie eine Klammer im Raum aufspannt. Mit "foild" können wir in Sekunden flexible Strukturen bilden, die als Raumteilung, Sichtschutz und Blendschutz dienen.

Und dabei immer elegant ist. Die meisten Raumtrenner sehen doch eher statisch aus.

Aurel Aebi: Ganz genau. Vor allem wenn sie im Grunde gerade nicht gebraucht werden, wirken sie im Raum störend. "foild" hingegen lässt sich jederzeit zusammenfalten und platzsparend verstauen.

"foild" ist aktuell ein Prototyp, was sind die nächsten Schritte?

Dr. Marc Brunner: Mit "foild" haben wir innerhalb von drei Monaten ein Produktkonzept zu einer Vor-Serienreife gebracht. Jetzt geht es darum, die richtigen Materialien sowie die Fertigungsmethoden final zu definieren. Wir möchten ein nachhaltiges Produkt schaffen, daher ist "foild" im Material sehr reduziert, kann werkzeuglos montiert und demontiert werden. Die Struktur ist sehr leicht und kann superflach verschickt werden. Parallel sind wir auf der Suche nach den passenden Textilien für die Bespannung – für die erste Präsentation in Mailand haben wir beispielsweise einen Möbelstoff von Kvadrat verwendet. Das sind die Details, die wir jetzt noch lösen müssen, die Basis ist dank des guten Entwurfs von atelier oï schon da.

Aurel Aebi: Brunner hat die Idee extrem schnell umgesetzt, bis in die kleinsten Details. Wir konnten so ein raumbildenes Möbel entwickeln, das einfach zu handhaben ist. Die Komplexität liegt eher im Inneren, diese ist von außen nicht wirklich sichtbar. "Die Schönheit des Kerns" nenne ich das. Besonders ist auch, dass wir in der Gestaltung das Flair der Romandie aufgreifen konnten, die französischsprachige Schweiz, die Frankreich, Italien und Deutschland verbindet. Nur durch ein ideales Zusammenspiel entsteht ein perfektes Ergebnis und das gilt auch für "foild": Dynamisch, leicht sowie präzise und bis in die Details durchdacht. Dank des Scherengitters kann der Raumgestalter für den jeweiligen Bedarf entfaltet und wieder verstaut werden. Das Textil wird einfach auf die Struktur gehängt, nichts ist verschraubt oder verklebt, ganz im Sinne der Nachhaltigkeit. Wir als DesignerInnen und ArchitektInnen müssen uns angewöhnen, jeden Entwurf zyklisch in Materialisierung und Entmaterialisierung zu denken.

Einfache Strukturen sind zudem schwieriger zu gestalten, da sich in diesen nichts verstecken lässt – jedes Detail ist sichtbar.

Aurel Aebi: Absolut. Über die klugen Verbindungen des Aufbaus fallen auch viele Schritte in der Produktion weg, da man das Produkt selbst zusammenstecken kann.

Dr. Marc Brunner: Die Struktur von "foild" besteht aus Aluminium und kann dank der werkzeuglosen Montage und Demontage bei Bedarf leicht repariert werden. Ebenso können die NutzerInnen das textile Element jederzeit selbst austauschen, was ich genial finde. Auch eine Erweiterbarkeit ist gewährleistet, da es nur wenige unterschiedliche Elemente gibt. Ich denke die Summe der Dinge, von der Leichtigkeit des Materials bis zu dem geringen CO2-Fußabdruck, macht das nachhaltige Design im Endeffekt aus. Als ein Grundarchetyp hat "foild" zudem eine gestalterische Qualität, die auf lange Sicht aktuell bleibt: Ein Produkt, das auch morgen noch Sinn macht. Wir versuchen mit möglichst wenig Materialität eine starke Botschaft zu vermitteln: "foild" ist ein Werkzeug für die individuelle Raumgestaltung. Flexibel und leicht kann man den Raumtrenner immer genau dort aufstellen, wo er gerade gebraucht wird. Die Einsatzmöglichkeiten sind sehr vielfältig.

Zur DNA von Brunner gehört es, das Unmögliche möglich zu machen, die Grenzen zu verschieben und einen neuen Ansatz zu finden. atelier oï arbeitet multidisziplinär, inwieweit könnt ihr euch in dem Motto von Brunner wiederfinden?

Aurel Aebi: Die Gestaltung ist ein Prozess aus entwerfen und verwerfen, der Erfolg stellt sich nicht unmittelbar zu Beginn ein. Es braucht Leidenschaft und den Willen auch nach einem vermeintlichen Misserfolg wieder aufzustehen und weiterzumachen, das ist Teil des Ganzen. In unserem Team finden sich zehn verschiedene Berufsgattungen, von BootsbauerInnen über IngenieurInnen, LichtdesignerInnen, MaterialdesignerInnen, ArchitektInnen, SzenographInnen und GartenarchitektInnen. So entstehen gemeinsam Ergebnisse, die unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen. Dazu gehört, dass man mit vermeintlichen Grenzen spielerisch umgeht. Die vielen unterschiedlichen Verbindungen, die unsere Arbeit prägen, spiegeln sich bei "foild" schon im Namen des Produktes, zu dem auch das "oï" von atelier oï gehört.

Dr. Marc Brunner: Ich möchte zwei Dinge unterstreichen, die Aurel gesagt hat: Mut und Leidenschaft. Das sind sicherlich zwei Werte, die uns verbinden und die Zusammenarbeit stärken. Mit ganzem Herzen und voller Energie dabei zu sein sowie nicht aufzugeben, wenn etwas nicht sofort funktioniert. "You miss every shot you don´t take" ("Du verpasst jeden Versuch, den du nicht unternimmst") ist ein Zitat von Wayne Gretzky, ein ehemaliger kanadischer Eishockeyspieler. Ich würde sagen das trifft es. Der Mut dranzubleiben und auch mal ein Experiment zu wagen wird meist belohnt, wie man bei "foild" sehen kann.

Anlässlich der Milan Design Week 2023 habt ihr mitten im quirligen Stadtteil Brera eine ruhige Oase geschaffen, in der die Funktion von "foild" in einer künstlerischen Installation erlebt werden konnte, ähnlich einer Ballettaufführung – inklusive Bühnenbild und Sounduntermalung. Welche Emotionen wolltet ihr mit dieser Szenografie vermitteln?

Aurel Aebi: Die Scherenstruktur von "foild" ist ein Licht-Schatten-Spiel, das lebendige Räume schafft. Unsere Szenografie für den Showroom von Brunner in Mailand hat eine variable Größe dargestellt, untermalt mit Musik von einem Akkordeon – ein Instrument dessen Funktion ebenso von Bewegung bestimmt ist. Wir wollten die Themen der Gestaltung sinnlich erfahrbar werden zu lassen, um die BesucherInnen von einem oberflächlichen Schauen zum bewussten Hinsehen zu leiten. In der Vielfalt des Salone del Mobile und der Milan Design Week kurz zur Ruhe zu kommen, um sich ein Produkt genauer anzuschauen, ist schwer. Die Szenografie hat die BesucherInnen zum Staunen gebracht und ihren Fokus somit auf das Produkt gelenkt. Was wir in Mailand geschafft haben, ist eine Atmosphäre zu kreieren, die unsere Vision veranschaulicht: Flexible Räume zu kreieren, in denen ein Wissensaustausch stattfinden kann, um gemeinsam Ideen zu entwickeln. Ich sage immer eine Szenografie muss so gestaltet sein, dass sie auch ohne Erklärung funktioniert. Sie muss in gewisser Weise berühren.

Das Thema New Work ist in den letzten Jahren sehr viel diskutiert worden. Mit Blick auf "foild" – was braucht das ideale Arbeitsumfeld aktuell?

Aurel Aebi: Viele Menschen, die vor der Pandemie täglich im Büro gearbeitet haben, wollen heute nicht mehr zurück in diese Strukturen. Wir konnten erleben, dass das Home Office funktioniert und in diesem Zuge haben sich das Wohnen und das Arbeiten immer weiter vermischt. Parallel hat das Teamwork einen höheren Stellenwert bekommen, denn jedes Projekt profitiert von der Kombinierung unterschiedlicher Kompetenzen. "foild" bietet über das textile Element auch eine natürliche Ebene. Wir sind fasziniert von allem, was dynamisch ist. Jeder Statik geht eine Dynamik voraus und diese wollten wir im Produkt beibehalten. Unser Raumgestalter ist somit eine statische Form, die dennoch dynamisch ist. Die Räume, die "foild" schafft, sind flexibel – sie können aufgebaut, entfaltet und wieder zusammengefaltet werden. Ich denke diese neue Flexibilität, auch im Raum, macht das Büro wieder attraktiv. Statische Strukturen wie in Form der Cubicles sind heute nicht mehr zeitgemäß. Eine schlichte Präsentation auf einem Screen im Videochat reicht zudem nicht aus, damit sich MitarbeiterInnen mit einem Unternehmen identifizieren können, es braucht einen Raum der Begegnung.

Dr. Marc Brunner: Was ich gerne herausstellen würde, ist die NutzerInnenorientierte Gestaltung von "foild". Diese können sich das Produkt aneignen und damit ein Stück weit auch den Raum, in den sie zurückkehren. Das Büro als Arbeitsort ist wichtig und wird auch weiterhin bestehen – unsere Aufgabe als GestalterInnen ist es, diese Räume wieder attraktiv werden zu lassen, damit die Menschen gerne dorthin zurückkehren. Wir sind soziale Wesen und vor allem für eine kreative Arbeit ist das persönliche Treffen sehr wichtig, das räumliche Zusammenkommen. Die Möbel müssen den PlanerInnen wie NutzerInnen als Werkzeuge zur Verfügung stehen und diese zu entwickeln ist unsere Aufgabe. Auch die weiteren Produkte aus dem Portfolio von Brunner, wie "boards" – eine Produktfamilie für agile Arbeitsmethoden, erfüllen diesen Anspruch. "foild" ist selbst aus Sicht des Facility Managements ein Gewinn, denn Vorhänge, die von der Decke abgehängt werden, sind aufwändig zu installieren. Für die Einhaltung der Brandschutzanforderungen muss zudem, wenn eine Sprinkleranlage für den Brandschutz eingesetzt wird, der Abstand zwischen Vorhang und Decke etwa 60 Zentimeter betragen. Wir drehen das Prinzip um und starten vom Boden aus, dass vereinfacht alle weiteren Schritte. Allein das ist ein geniales Argument für das Produkt. All die Aspekte, die wir besprochen haben, zeigen wie zeitgemäß "foild" ist und die kreative Idee von atelier oï lassen wir jetzt zur Realität werden.

Brunner x atelier oï = foild