Langsam ausatmen
Irgendwie dreht sich heute alles um früher. Kaum ein neu eröffnetes Hotel kommt ohne die Designklassiker der Fünfzigerjahre aus. Bei Bars und Restaurants dürfen es auch gerne die Zwanzigerjahre sein. Auf den zurückliegenden Möbelmessen hießen die Trends Re-Edition, Vintage oder Retro und es wurde deutlich, dass unser Zeitgeist gern mal gestrig ist. Das hat seinen Grund: Je komplexer die Technik und das ganze Drumherum, desto hilfloser stehen wir Konsumenten einem Produkt gegenüber. Gleichzeitig wächst die Sehnsucht danach, zu verstehen, was man in Händen hält. Nicht von ungefähr boomt der Markt für Unikate, Handgemachtes und Handwerk, wobei der Mythos von der guten alten Zeit ebenso mitschwingt wie der Wunsch nach Entschleunigung und Muße. Was hat das tschechische Unternehmen Brokis damit zu tun? Dem Hersteller mundgeblasener Leuchten gelingt der Spagat, mit einer traditionellen Produktionstechnik sehr zeitgenössische Leuchten entstehen zu lassen.
Im Zuge der Privatisierungswelle in Tschechien erwarb der Unternehmer Jan Rabell 1997 Janštejn Glassworks, eine Glashütte, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts rund 150 Kilometer südöstlich von Prag gegründet worden war. Fensterglas, Vasen, Gläser und später die Glaszylinder für Petroleumlampen entstanden dort. Produziert wurde durchgängig, sieht man von den Jahren der beiden Weltkriege einmal ab. Die Glasbläser schufen, dank Elektrifizierung und Globalisierung, Lampenschirme und -gebilde für rund 100 Leuchtenfirmen, darunter nicht wenige renommierte in Italien.
Jan Rabell wollte das Unternehmen dann eigentlich nur erwerben, um es rentabel zu machen und wieder zu verkaufen. Aber dann ist ihm seine Passion für Glas in die Quere gekommen: „Ich finde“, sagt er, „die Lebendigkeit des Materials faszinierend und es bietet einfach unglaubliche Möglichkeiten“. Kurz gesagt: Rabell behielt die Glasbläserei, nahm technische Anpassungen vor, um die Produktion zu modernisieren und ließ neue Öfen bauen. Dann machte er sich an die Erneuerung der Produktlinie, wobei er sein Augenmerk vor allem darauf richtete, das Knowhow der Firma und seiner Mitarbeiter zu erhalten. Sein Mix aus Handwerk, optimierter Fertigungsprozesse und Design mündete 2006 in der Gründung der Marke Brokis.
Das Debüt der mundgeblasenen Leuchten erfolgte 2010 mit den Modellen „Muffins“ und „Balloons“ von Lucie Koldova (mittlerweile Art Directorin von Brokis) und Dan Yeffet – beide Leuchten sind bis heute Bestseller – und „Memory“ von Boris Klimek. Seitdem sind „Capsula“, „Shadow“, „Flutes“, „Nightbirds“ und viele andere transparent-fragile Entwürfe dazugekommen. Nichts an diesen perfekten Objekten verrät etwas über ihre Entstehung in einem rauen Workshop-Ambiente – und doch bestimmt gerade das ihre Qualität.
Hitze, eine geradezu eindrucksvolle Geräuschkulisse und das beträchtliche Gewicht der Glasbläser-Stange, weswegen das Glasblasen bei Brokis unter anderem nur von Männern ausgeführt wird, begleiten den Produktionsprozess der Leuchten. Auf etwa 1400 Grad Celsius bringt es die zähe Masse in den Öfen. Bevor das Glas in die jeweilige Form geblasen wird, ist die Masse rund 700 Grad heiß und kühlt dann auf circa 550 Grad ab. Geblasen werden müssen die verhältnismäßig großen Glaskörper mittels anhaltendem und wohldosiertem Ausatmen; bei einer Unterbrechung würden Luftblasen und andere Störungen im Korpus sichtbar. Auch das größere Lungenvolumen ist ein Grund dafür, dass vor allem Männer den Job erledigen.
Sind die Glaselemente dann abgekühlt, geschliffen und poliert, werden sie montiert: „Wir setzen bei unseren Leuchten in den meisten Fällen auf die Kombination mit Materialien wie Holz, Messing oder Kupfer“, erklärt Lucie Koldova. „Der Kontrast unterstreicht die brillanten Qualitäten des Glases, dessen Volumen bis zum Rand des technisch Möglichen aufgeblasen ist, um so mehr.“
Mit dieser Gegensätzlichkeit spielt auch das jüngste Produkt von Brokis: „Knot“ heißt das Modell des Duos Chiaramonte Marin. Die venezianischen Designer, die als erfahrene Leuchtengestalter gelten, haben sechs Entwürfe bei Brokis eingereicht, der erste wurde 2016 realisiert. Bei der Hängeleuchte, die es in vier verschiedenen Formen und mehreren Farbvarianten gibt, trifft das geblasene Glas auf eine Seilaufhängung aus einer rauen Naturfaser. Es scheint, als ob ein Knoten im Seil die Basis des Glaskörpers nach innen ziehen und hier das Gewicht der Leuchte tragen würde. Dabei liegt der eigentliche Befestigungspunkt schon im gepressten Metalldeckel, unter dem sich auch das LED-Leuchtmittel verbirgt. Weniger auf einen Material-Dualismus, sondern auf den Reiz gegensätzlicher Formen setzt das Modell „Puro“ von Lucie Koldova. Horizontal und vertikal angeordnete Röhren einerseits und kleine glockenförmige Leuchten andererseits bilden zusammen eine eindrucksvolle Pendelleuchte, die zudem noch mit der Wechselwirkung von mattem und glänzendem Glas spielt.
Was einfach aussieht, ist oft sehr kompliziert. So ist es auch bei den Brokis-Leuchten. Immerhin rund 30 Personen haben ein Objekt in der Hand gehabt und es bearbeitet, bevor es als „fertig“ gilt. Sieht man die Glasbläser in der Werkshalle mit Ostblock-Charme agieren, spürt man ihren Stolz, ihr selbstbewusstes Vertrauen in ihre Fähigkeiten und die Hingabe an das Material Glas. Eine Leuchte, von der man weiß, unter welchen Bedingungen sie entstanden ist, betrachtet man gleich mit ganz anderen Augen – und mit mehr Respekt. Dank Manufakturen wie Brokis treffen Tradition und gegenwärtige Trends auf eine zeitgemäße Art und Weise aufeinander: „Craftmanship is back“ – im Design des 21. Jahrhunderts.
Brokis auf der imm cologne (16. - 22. Januar 2017):
Halle 2.2 Stand: K020