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Herrliche Qual

Bei Braun sind die Fußstapfen von Designlegende Dieter Rams immer noch riesig – gerade im Bereich der Audioelektronik. Wie geht die neue LE-Lautsprecherserie mit dem Erbe um?
von Fabian Peters | 16.09.2019

Eigentlich war die Aufgabe des Designteams von Braun das, was man landläufig "undankbar" nennt: Es musste ein Produkt gestalten, an dem es nicht viel zu gestalten gab. Zudem lastete auf Ihnen in besonderer Weise der fast übermächtige Schatten der ruhmreichen Vergangenheit – der Zeit, in der das Braun-Design unter der Ägide von Dieter Rams die Produktgestaltung revolutionierte. Und doch, so erzählt Braun-Designchef Oliver Grabes, riss sich das gesamte Team darum, die ersten Audioprodukte von Braun seit 28 Jahren entwerfen zu dürfen.

Kaum eine Sparte des Elektronikherstellers aus Kronberg bei Frankfurt ist so eng mit der Braun-Designsprache verknüpft wie die Unterhaltungselektronik. Rams, Hans Gugelot und einige andere entwarfen hinreißend schlicht gestaltete Elektrogeräte, die – Jahrzehnte vor dem iPhone – für eine ganze Generation zu Objekten der Begierde wurden. Doch 1990 zog sich Braun aus dem Geschäft mit Fernsehern und Stereoanlagen zurück. Zu drückend war die Übermacht der Asiaten geworden, zu wenige Käufer waren bereit, für die "Atelier"- HiFi-Anlagen den Preis eines Kleinwagens zu bezahlen. Die inzwischen zu Procter & Gamble gehörende Marke konzentrierte sich fortan in der Hauptsache auf das Geschäft mit elektrischen Rasierern und Kleinelektronik rund um Bad und Pflege.

In diesem Markt, in dem der Preis weit wichtiger ist als die Gestaltung, ging leider vieles von Brauns Designidentität verloren. Oliver Grabes versucht seit 2009 wieder einiges davon zurückzugewinnen. Einen ersten Lichtblick bot Braun Clocks, ein Unternehmen, für das Procter & Gamble Designs und Markenrechte an das britische Unternehmen Zeon lizensiert hat und das sowohl alte Entwürfe neu auflegt, als auch ambitionierte Neuentwürfe in der Tradition der Braun-Formensprache entwickelt. Ähnliches schwebte Grabes und dem Braun-Management bereits seit längerem auch für den Bereich der Audioprodukte vor. In dem – ebenfalls britischen – DAB-Spezialisten Pure fand man schließlich einen geeigneten Partner. Es folgte, wie Grabes es ausdrückt, "ein sehr intensives Jahr", an dessen Ende nun die neue Lautsprecherserie LE steht.

Grabes und sein Team haben sich glücklicherweise gegen ein explizites Retrodesign entschieden und es bei wenigen Anknüpfungspunkten an die Markenhistorie belassen – etwa den optionalen Metallfüßen für die Lautsprecher, die die ersten LE-Lautsprecher aus dem Jahr 1959 zitieren. Oder den runden Knöpfen auf der Oberseite der Geräte, die in Form und grafischer Gestaltung unverkennbar die Braun-Sprache sprechen. Dies war eine der begrenzten Möglichkeiten, wieder unverkennbare Braun-Elemente einzuführen. "Braun-Design machen heute eigentlich alle", beschreibt Oliver Grabes das Dilemma seines Designteams. Denn spätestens mit dem Erfolg von iPod, iPhone und iPad, bei deren Gestaltung sich Apple-Chefdesigner Jonathan Ive explizit an Dieter Rams orientierte, ist die Braun-Formensprache wieder zum Leitbild für fast alle Hersteller von Unterhaltungselektronik geworden. "Wir haben versucht, Elemente zu finden, die andere Unternehmen nicht nutzen können, weil sie zu stark mit Braun identifiziert werden", sagt Grabes. Nicht zuletzt der markante Braun-Schriftzug und seine Platzierung signalisieren nun auf den ersten Blick die Herkunft des Produktes.

Im Übrigen sei man, wie man es schon immer bei Braun gehalten habe, von den Funktionen und den technischen Gegebenheiten ausgegangen und habe diese schlicht in gutes Industriedesign gekleidet, beschreibt Grabes den Designprozess. So habe es die sogenannte BMR (Balanced Mode Radiators)-Technik erlaubt, ohne Qualitätseinbußen beim Klang ein sehr flaches Gehäuse zu konstruieren. Dieses besteht bei allen drei Modellen aus einem eloxierten Aluminiumrahmen, während die Vorderseite der Geräte mit einer Textilblende verkleidet ist. Diese Blende entwarfen die Designer mit einer Art Gehrung wie beim Möbelbau, sodass praktisch keine Fuge zwischen Rahmen und Abdeckung sichtbar ist. Mit solchen Details unterstreicht man den Anspruch, zukünftig in einer Liga mit Marken wie Bang & Olufsen zu spielen. Auch preislich zielen die neuen Lautsprecher auf dieses Marktsegment.

Und was hat Dieter Rams selbst zu den neuen Audioprodukten gesagt? "Er hat sich für das Projekt sehr interessiert", berichtet Oliver Grabes. "Und er hat uns mit dem riesigen Wissensschatz aus seiner Arbeit für Braun für Vieles die Augen geöffnet – auch wenn er sich aus der Designarbeit selbst natürlich ganz herausgehalten hat." Die Auseinandersetzung mit den Ikonen des Altmeisters geht im Übrigen für Grabes und sein Team weiter – die nächsten neuen Braun-Audioprodukte sind bereits projektiert.