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Behäbig geht gar nicht
Als vor einigen Jahren via Arte die dänische Erfolgsserie „Borgen“ unter dem Titel „Gefährliche Seilschaften“ auch hierzulande die politischen Verhältnisse und Ränkespiele in Dänemark auf die Bildschirme brachte, konnte man sie im Büro der fiktiven dänischen Premierministerin Brigitte Nyborg stehen sehen: Sofas von Børge Mogensen (1914 bis 1972).
Der Architekt und Möbeldesigner ist in Dänemark eine Institution und sein Sofa „2213“ wird nicht von ungefähr „Botschaftssofa“ genannt, weil es tatsächlich in die dänische Staatskanzlei, in Ministerbüros und in zahlreiche Botschaften des Landes auf der ganzen Welt Einzug hielt. Es zählt – Mogensen hatte es 1962 zunächst für sein eigenes Wohnzimmer im Haus am Soløsevej entworfen – längst zu seinen bekanntesten Möbeln. Betrachtet man es genau, so stellt man fest: Noch in diesem späten Entwurf steckt einiges von den Anfängen Mogensens, dessen schlicht-funktionaler und unprätentiöser Gestaltungsansatz in vielem auf seinen Lehrer Kaare Klint zurückgeht. So orientiert sich das „2213“ an Klints kastenförmigem „Barcelonasofa“, das dieser 1929 für die Weltausstellung in Barcelona geschaffen hatte.
Michael Müllers Monografie „Børge Mogensen – Möbel mit Format“, die in der Nachfolge der Jubiläumsausstellung zu Mogensens 100. Geburtstag im Kunstmuseum Trapholt entstanden ist, klärt aber nicht nur darüber auf. Sie bietet einen hervorragenden Überblick über das Schaffen dieses bedeutenden Möbelarchitekten und ordnet ihn in den dänischen Kontext zwischen industrieller Produktion und Tischlerhandwerk ein. Werkstattzeichnungen, Skizzen und Aufnahmen von Möbeln sowie Fotografien von Mogensens Haus und seinem Alltag gewähren Einblick in die Welt des Designers.
Funktional und flexibel statt behäbig
So lernt Mogensen schon an der Kunsthandwerkschule, die er von 1936 bis 1938 besucht, den fast gleichaltrigen Möbeltischler Hans J. Wegner kennen, mit dem er während seiner ersten Arbeitsjahre eng zusammenarbeitet und mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Nach seiner Zeit an der Kunsthandwerkschule wechselt Mogensen an die Kunstakademie, in die Möbelklasse der Architekturschule. Dort unterrichtet, zunächst als Dozent, später als Professor, jener Kaare Klint, der eine ganze Generation dänischer Möbelgestalter prägen sollte und die, ob Hans J. Wegner, Finn Juhl oder Mogensen, schufen, was man heute „Danish Modern“ nennt. Sie alle traten an, die schweren, üppig gepolsterten Möbel des behäbigen „Klunkestils“ der Gründerjahre durch handwerklich perfekte, leichte, flexible und oft auch preiswerte Möbeln zu ersetzen.
Bei der Lektüre der stets informativen und sachlichen Darstellung von Mogensens Werdegang und seiner Entwürfe fallen fünf wesentliche, sein Schaffen prägende Aspekte auf: Seine anhaltende Prägung durch einen strikten Funktionalismus, wie ihn Kaare Klint lehrte, die Vorstellung von Design als einer Verbesserung historischer Vorbilder, der ausgeprägter Sinn für die Qualität und Schönheit des Materials Holz, sein Engagement für schlichte, erschwingliche und oft multifunktionale Möbel und eine ausgefeilte Proportionslehre, wie sie Klint bereits 1917 für industriell hergestellte Möbel erprobt hatte und die Mogensen übernahm.
Jeder Löffel und jedes Hemd wurde vermessen
Was diese detaillierten Vermessungsstudien angeht, so erwies sich Mogensen schon in der Architekturklasse der Kunstakademie als besonders gewissenhafter Schüler, etwa wenn es darum ging, Besteck und ein komplettes Service exakt zu vermessen, damit die Maße, in Standardisierungseinheiten umgewandelt, die Grundlage für die Dimensionen einer Anrichte oder eines Geschirrschranks bilden konnten. Noch in den 1950er Jahren, als er zusammen mit der Architektin Grethe Meyer an dem Schranksystem „Boligens Byggeskabe“ arbeitete, zeigen Mogensens detailgenaue Zeichnungen, wie akribisch er jedes Fach und jeden Abstand kalkulierte.
Schluss mit Schnörkeln
Børge Mogensens berufliche Laufbahn beginnt 1942 – er ist gerade mal 28 – als Leiter des Möbeldesignbüros der FDB, des Verbands der Verbrauchergenossenschaften Dänemarks, für den er in den folgenden Jahren ein komplettes Möbelprogramm auf die Beine stellt. „Wie viele andere funktionalistische Möbelgestalter“, so Müller, „war Børge Mogensen fertig mit den alten Klunkestil-Möbeln und dem, was er ,Fleischer-Garnituren’ nannte; mit Schnörkeln verzierte Sekretäre und dunkle, wuchtige Sofas, die kostbaren Platz raubten und nicht von menschlichen Proportionen her gedacht waren. ,Es gibt keinen Grund, weshalb eine Sofagarnitur aussehen muss wie ein mit Wasser aufgepumpter Schinken’, stichelte er und fügte hinzu: ,Warum soll man eine kleine Wohnung bis zum Gehtnichtmehr mit plumpen, unpraktischen Möbeln vollstopfen, wenn man stattdessen in Schränke und Tische investieren kann, die weniger wuchtig und so raffiniert gemacht sind, dass sie mehr Platz bieten und sich vielseitiger gebrauchen lassen?’ Mit ihren schlichten und vernünftig kombinierbaren Möbeln statt wuchtiger Garnituren wollten Mogensen und die FDB wieder den Menschen in den Mittelpunkt stellen.“
Verbessern, was es schon gibt
Dass sich Mogensen während seiner gesamten Laufbahn von historischen Möbeltypen inspirieren ließ, die er weiterentwickelte und verbesserte, zeigt beispielsweise sein Esszimmerstuhl „J39“, den er 1947 für die FDB entwarf und der eine vereinfachte Version von Kaare Klints „Kirchenstuhl“ von 1936 darstellt. Auf Vereinfachung zielte er auch 1945, als er und Hans J. Wegner gemeinsam für die jährliche Innungsausstellung die Einrichtung einer Drei-Zimmer-Wohnung entwarfen. Mogensen steuerte unter anderem ein zweisitziges „Sprossensofa“ aus Mahagoni bei, das später zu einem seiner bekanntesten Möbel werden sollte.
Inspiriert von Chaiselongue, Daybed und Windsorstühlen
Dieses „Sprossensofa“ ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen ließ sich Mogensen bei dem Entwurf gleichermaßen von der französischen Chaiselongue, dem englischen Daybed und Windsorstühlen inspirieren, deren Eigenschaften er kombinierte. Zum anderen zeigt das Sofa, wie sehr der Einrichtungsgeschmack der Dänen damals noch von behäbigen Möbeln geprägt war. Die Möbelfabrik Fritz Hansen produzierte das Sofa zwar, stellte seine Herstellung aber nach nur 50 verkauften Exemplaren schon bald wieder ein. Erfolg war dem Sofa erst beschieden, als Fritz Hansen 1962 einen neuen Anlauf wagte: Inzwischen hatte sich der Publikumsgeschmack verändert. Nun gehörte das „Sprossensofa“ – meist mit wollenen Karopolsterbezügen von Lis Ahlmann, mit der Mogensen oft und gern zusammenarbeitete – zum festen Inventar vieler dänischer Haushalte. Besonders beliebt war es bei Lehrern und Akademikern, die nicht nur seine Bequemlichkeit schätzten, sondern auch die Geisteshaltung, die in seinem Design zum Ausdruck kam.
Murks und Plunder zu Mondpreisen?
Mogensen, so stellt Müller fest, „hatte immer schon eine gewinnende, aber auch sehr direkte Art. Er stürzte sich stets mit Charme und Verve in Gespräche und Diskussionen, ganz gleich, ob beruflich oder privat. Seine Hemdsärmeligkeit und sein bisweilen aufbrausendes Temperament konnten über sein vielschichtiges und feinfühliges Inneres hinwegtäuschen. Er hielt mit seiner Meinung nie hinter dem Berg, vor allem nicht, wenn es um Möbel ging.“ So richtete sich sein Zorn 1962 gleich gegen die gesamte dänische Möbelbranche. In einem langen, zusammen mit dem befreundeten Architekten Arne Karlsen verfassten Text mit dem Titel „Gebrauchskunst auf Abwegen“ wurde nicht nur polemisch Kritik an der jüngsten Produktion geübt; es wurden auch Namen genannt. Der Vorwurf lautete: Die Designbranche kehre der dänischen Designtradition den Rücken, die den Begriff „Danish Modern“ geprägt habe und vernachlässige vor lauter skulpturaler Formensprache die Funktion.
Der anklagende Ton des Textes wurde mit einem Eingangszitat von Poul Henningsen von 1927 vorgegeben, in dem es heißt: „Liebe Freunde im Kunsthandwerk! Wie könnt ihr erwarten, dass wir euch weiterhin mit Achtung begegnen, während unter dem Deckmantel der Kunst der Schwindel grassiert? Solange alle modernen Aufgaben noch ihrer Lösung harren? Wir haben kein einziges vernünftiges Wasserglas, keinen Teller, keine Waschschüssel, weder Löffel, Messer noch Gabel. Währenddessen kann man sich in den Häusern der besseren Gesellschaft gar nicht retten vor Murks und Plunder zu Mondpreisen. (...) Reißt euch zusammen und packt die Aufgaben an, schafft Dinge, an denen die Menschen im Alltag Freude haben! Runter mit dem Künstlerhut, weg mit dem Künstlerschlips und rein in den Arbeitskittel.“
Mogensens und Karlsens Beispiele für solchen „Murks“ sind ein Besteck von Jens H. Quistgaard, aber auch Möbel von Verner Panton, die Mogensen für „reine Gags“ hielt. Pantons „Heart Cone Chair“, dessen Lehne an ein Herz, aber auch an Mickey-Mouse-Ohren erinnern, tauge, so Mogensen, vielleicht als Jux für ein paar Stunden oder einen Drink an der Bar, aber nicht für den Alltag. Entsprechende Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten.
Erstaunt stellt man fest: Die Kontroverse ist längst wieder aktuell. Auch heute stecken Designer und Designstudenten in derselben Zwickmühle, wobei der aktuelle Zeitgeist recht gern von Funktion auf Kunst umschalten zu können glaubt.
Betrachtet man in dem stets mit erhellenden Fotografien und Zeichnungen ausgestatteten Band Möbel wie das Aufbewahrungssystem der „Øresund-Serie, die Mogensen für die schwedische Firma Karl Andersson & Söner entwickelte, oder das mittels Vermessungsstudien in seinen Maßen akribisch auf alles das, was in ihm Platz finden sollte abgestimmte Schranksystem „Boligens Byggeskabe“ (was soviel heißt wie „Wohnungsbauschränke“), so fällt auf: Das perfekt durchentwickelte Schranksystem wurde zwar ein Verkaufserfolg, geriet aber, da Mogensen Abstriche bei Material und Verarbeitung ablehnte, zu teuer, als dass es sich junge Leute hätten leisten können. „Hätte man“, so fragt Müller mit Blick auf Mogensens Engagement für ein soziales und demokratisches Design, „den jungen Leuten nicht etwas Praktisches geben können, das noch bezahlbar war?“ Was er nicht erwähnt: Eben das hat später IKEA anhand ähnlicher, aber wesentlich billigerer Systeme realisiert.
Børge Mogensen aber ließ sich nicht beirren. Bei all seinen Entwürfen kam es ihm, wie er es 1958 in einem Interview formulierte, darauf an, „Dinge zu kreieren, die dem Menschen dienen, mit dem Mensch im Mittelpunkt, statt auf Teufel komm raus den Mensch den Dingen anzupassen.“
Børge Mogensen – Möbel mit Format
Von Michael Müller
240 S., geb., 201 Abb.
Verlag Hatje Cantz, Berlin 2016
Deutsche Ausgabe: ISBN 978-3-7757-4210-8
Englische Ausgabe: ISBN 978-3-7757-4211-5
49,80 Euro