Die neue Klasse
Ein modernes Bürohaus, das mit einer flexiblen Raumaufteilung wie eindrucksvollen Fassade überzeugt und auch zur baulichen Umgebung passt: das war der Anspruch von BMW für die Ausschreibung eines architektonischen Wettbewerbs im Jahr 1968. Der Wiener Architekt Karl Schwanzer reichte daraufhin einen Entwurf für einen Ingenieursbau ein – eine fast 100 Meter hohe, futuristische Hängekonstruktion mit vier zylinderförmigen Hauptelementen, die mit ihrem einzigartigen Aufbau beste Voraussetzungen bot, zu einem gebauten Wahrzeichen für den Automobilhersteller zu werden. "Für Karl Schwanzer kam der Auftrag für das BMW-Verwaltungsgebäude in seiner Architektenlaufbahn zur richtigen Zeit. Er hatte bereits mehrere Verwaltungsbauten geplant wie durchgeführt und leitete seit 1960 den Lehrstuhl für Gebäudelehre und Entwerfen an der TU Wien", so seine langjährige Mitarbeiterin Leonie Manhardt. Laut dem Ausschreibungstext sollten Bürohaus, Rechenzentrum und Parkgebäude architektonisch in einem engen Zusammenhang stehen sowie mit den Verwaltungsgebäuden außerhalb des Werksgeländes eine Einheit bilden. Zudem war eine Garage gefordert, denn das Grundstück diente den Angestellten von BMW bis dato als Parkplatz.
Der experimentelle Entwurf des Architekten mit runden Büroräumen und flexiblen Flächen polarisierte. Die Unternehmensführung überzeugen konnte schließlich BMW-Vertriebschef Paul Hahnemann: In Form eines 1:1 Funktionsmodellbaus von einer der kleeblattförmigen Etagen, ließ dieser die Idee in der Bavaria-Filmstadt räumlich erfahrbar werden. Da das BMW-Hochhaus bereits bei seiner Entstehung fortschrittlich gedacht war, setzte Karl Schwanzer mit seiner Kreation Maßstäbe im Bereich der modernen Büroarchitektur: Mit 22 Geschossen und einer Höhe von 99,50 Metern bietet das Hochhaus bis heute den Höhepunkt des Ensembles. Die Zylinder hängen an einer kreuzförmigen Stahlkonstruktion, wofür die oberen Etagen zuerst gefertigt wurden, parallel entstanden weitere Elemente am Boden. Hydraulisch in kleinen Schritten entlang des Kerns aus Stahlbeton nach oben bewegt, konnte der Bau so in mehreren Segmenten vervollständigt werden. "Maßgebend für die Konstruktion war eine äußerst kurz bemessene Bauzeit, da das Außenbild der Anlage zur Zeit der Olympischen Spiele im August 1972 fertiggestellt werden musste. Mit Rücksicht darauf wurde die Konstruktion eines Hängehauses aus Beton gewählt, die schlanken Stützen und die gleichzeitige Ausführung von Rohbau- und Ausbauarbeiten gewährleistete", so Manhardt.
Mit dem innovativen Fassaden- und Innenraumkonzept des Vierzylinders folgte Karl Schwanzer dem Konzept der "gebauten Kommunikation", da dieser zur Repräsentation des Unternehmens und zur Unterstützung produktiver Arbeitsabläufe dienen sollte. Zwei Gänge führen hierfür kreuzförmig durch den Stockwerkskern und verbinden die einzelnen Teambüros miteinander. So gut wie alle MitarbeiterInnen sitzen auf einer Fläche, Einzelbüros sind selten. "Der Verwaltungsbau hatte sich seit den 1950er-Jahren deutlich von der Bürozelle zum Großraumbüro oder einer Kombination von beiden entwickelt. Abzusehen war, dass durch die kybernetische Organisationsentwicklung dieser Trend noch verstärkt werden würde. Die Erfahrung ergab, dass lange horizontale Wege zu vermeiden waren und vertikale mechanische Kommunikationen betrieblich und wirtschaftlich bessere Nutzeffekte brachten. Großflächige, zusammenhängende Büroflächen ermöglichten eine kurzwegige, austauschbare Büroorganisation mit großer Übersichtlichkeit. So entstand die organisch strukturierte Bürolandschaft, bei der eine zentrale intensive Kontaktfläche im Kernzentrum der Aufzugsgruppen zur Verfügung blieb", resümiert Manhardt. Mit der internen Bezeichnung "Ein Bürohaus der Neuen Klasse" brachte BMW das Niveau des Gebäudes den Punkt. Bei der notwendigen Sanierung im Jahr 2004 seitens Peter P. Schweger wurde die Fassade zwar gereinigt, neu gedämmt, isoliert und mit zahlreichen neuen Fensterscheiben versehen – der dynamische Charakter des Gebäudes wurde aber glücklicherweise nicht verändert. Die eindrucksvolle Konzernzentrale und das ebenfalls von Karl Schwanzer entworfene BMW-Museum stehen heute unter Denkmalschutz und gelten als ein Wahrzeichen der Stadt München. In diesem Jahr jährt sich das Jubiläum des ikonischen Baus zum fünfzigsten Mal und wird seitens BMW im Juli mit einem Festakt gewürdigt.
Multifunktional gedacht
Seit Ende der 1960er-Jahre ist auch die weitere Bebauung des Areals deutlich fortgeschritten, denn der österreichische Architekt Wolf dPrix von Coop Himmelblau hat mit der BMW-Welt den Vierzylinder um ein Markenerlebnis- und Auslieferungszentrum ergänzt. "Zu Beginn des Wettbewerbes war das Programm des Gebäudes, außer dass es multifunktional sein sollte, nicht entschieden. Da habe ich an ein Dach gedacht, das nicht als ein räumlich bestimmendes, sondern als ein räumlich differenzierendes Element funktionieren sollte. Unter diesem Dach konnten sich bei der Entstehung des Projekts alle gewünschten Funktionen entwickeln. Es ist ein hybrides Gebilde, eine Mischung aus urbaner Passage, Marktplatz und Theaterbühne. Es ist mehr als nur ein Schauraum entstanden", so dPrix. Die bestehenden Ikonen von BMW wurden mit der Architektur von Coop Himmelblau harmonisch ergänzt: "Es entstand ein städtebauliches Ensemble, wobei der Doppelkegel als visueller 'Turning Point' an der daneben liegenden Kreuzung dient. Neben der städtebaulichen Nähe zum Vierzylinder war die Multifunktionalität des Gebäudes ein entscheidender Punkt", so dPrix.
Auch die weitere Bebauung des Areals ist bereits in Planung: Als Sieger des internationalen Architekturwettbewerbs "BMW München – urbane Produktion" gingen kürzlich die Entwürfe der Architekturbüros OMA, Rotterdam und 3XN, Kopenhagen hervor. Gemeinsam möchte BMW eine gesamtheitliche Weiterentwicklung realisieren, die das Quartier um das Werk berücksichtigt: "Die zwei ersten großen Projekte sind die neue Fahrzeugmontage und ein neuer Karosseriebau. Damit schaffen wir die Basis für innovative, nachhaltige und wettbewerbsfähige Produktionsprozesse. Wir bereiten unser Werk für die Produktion der Modelle der 'Neuen Klasse' vor, unser Schritt in die dritte Phase der Elektromobilität. Mit dem Architekturwettbewerb wollen wir eine mögliche Öffnung des Werkes im Zentrum der Stadt München gestalten. Der Wandel unseres Werkes dient der Zukunftssicherung des Standortes und seiner Arbeitsplätze", so Werkleiter Peter Weber. Die einstige Vision von Karl Schwanzer "Gebaut um das Morgen zu gestalten" wird so fortgesetzt.