Blickpunkt: Architektinnen – Margot Schürmann
Es gibt eine Anekdote von Margot Schürmann, die die Willenskraft dieser so wichtigen Architektin gut illustriert: Das gemeinsam mit ihrem Mann betriebene Büro nahm Anfang der 1970er-Jahre am Wettbewerb für die Bundesbauten in Bonn teil. Am Abend vor der Abgabe der Unterlagen waren alle Pläne fertig, das mit der Aufgabe betraute Team war mit der Beschriftung der Abgabepläne beschäftigt, als Margot Schürmann abends noch einmal ins Büro kam und die Wettbewerbsunterlagen begutachtete. Zwar war alles so gezeichnet, wie sie und ihr Mann es mit dem Team entworfen und persönlich freigegeben hatten, die Farben aber, mit denen die jeweiligen Funktionen der Gebäude auf städtebaulicher Ebene ausgewiesen waren, sagten ihr nicht zu. Der verantwortliche Projektarchitekt weigerte sich, den Plan – immerhin deutlich größer als eine Tischtennisplatte – nur der Farbgebung wegen neu zu zeichnen. Also setzte sich die Chefin selbst hin, arbeitete die ganze Nacht durch und zur Abgabe lag der Plan ganz nach ihrem Geschmack koloriert vor. Gewonnen wurde der Wettbewerb dennoch nicht, was wiederum ebenfalls ihrem Credo entsprach, Projekte lieber "richtig falsch" und bis zum Ende konsequent durchzuarbeiten, als sie auf halbem Wege umzuwerfen.
Margot Schürmann wird am 18. August 1924 in Ludwigshafen als Margot Schwilling geboren. Ihr Vater ist der renommierte Architekt Willy Schwilling, der unter anderem das Waldstadion im saarländischen Homburg entworfen hatte. Noch während des Zweiten Weltkriegs beginnt sie ihr Architekturstudium in München und setzt es nach Kriegsende in Darmstadt fort. Im Bach-Chor der Technischen Hochschule begegnet sie Joachim Schürmann. Sie heiratet den gebürtigen Rheinländer 1949, nachdem die beiden ihr Studium beendet und erste Anstellungen gefunden haben. Während er in Köln bei Wilhelm Wucherpfennig eine Stelle findet, arbeitet sie zunächst bei ihrem Vater und in der Folge ebenfalls in Köln im Büro von Karl Hell.
Ludwigshafen, München, Darmstadt und Köln
Die ersten eigenen Aufgaben sind Sanierungen zweier romanischer Kirchenräume in Köln, die nach dem Krieg in Trümmern liegen, aber nach und nach weitestgehend originalgetreu wieder aufgebaut werden und so im Laufe der Zeit entscheidend zum Bild jener Stadt beitragen, die immer wieder auf ihren Dom reduziert wird: 1956 wird die Krypta des herrlichen Kuppelbaus von St. Gereon wieder hergerichtet, seit demselben Jahr und bis 1960 die Klemenskirche im rechtsrheinischen Mülheim instandgesetzt.
Bis 1957 baut sich das junge Paar ein eigenes Haus im Kölner Stadtteil Deckstein. An einer Straßenecke bildet der eingeschossige Baukörper einen Winkel, der den dahinterliegenden Garten abschirmt. Deutlich dem damals wehenden Geist der architektonischen Moderne verpflichtet, weist der Bau auf die Vorbilder von Margot und Joachim Schürmann hin: Ludwig Mies van der Rohe und Alvar Aalto spielen für die beiden eine große Rolle, ohne dass bei diesem bemerkenswert reifen Frühwerk plumpe Zitate auftauchen. Sowohl dem Büro als auch der Familie wird das Gebäude mit seinem präzisen Grundriss ein dauerhaftes Zuhause werden, samt der später von Glyzinien bewachsenen Pergola und dem Garten.
Manfred Sack gibt in der schönen Monografie des Büros ein Gespräch mit Margot Schürmann über das Ziel ihrer Architektur wieder, der es darum ginge, "eine gewisse Vollkommenheit anzustreben, die der Selbstverständlichkeit eines Eies nahezukommen versuche, von dem man nichts weglassen, dem man aber auch nichts hinzufügen könne." Und in der Tat wird diese Zielsetzung nicht nur im ersten eigenen Haus sichtbar, sondern auch in den unmittelbar folgenden. In Köln entstehen das Haus Gold (1958) und das Haus Rautenstrauch (1959), in der Nähe der irischen Hauptstadt Dublin das wunderbare Haus für Joachim Schürmanns Bruder, den Bildhauer Werner Schürmann, dessen Skulpturen nicht nur den eigenen Garten in Köln, sondern immer wieder auch andere Projekte zieren – etwa die Kirche St. Pius X. in Köln (1958–1961). Das Hofhaus in Irland ist eines der wohl schönsten realisierten Häuser dieses an schönen Gebäuden so reichen Œuvres. Gefasst von dicken Backsteinmauern öffnet es sich
fast ausschließlich zum Hof, der von massiven Holzstützen gesäumt wird. Um diesen inneren Außenraum sind die Lebensräume der sechsköpfigen Familie organisiert, wenige kleine Fensteröffnungen setzen gezielte Ausblicke in die Außenwelt, all das so entworfen, dass der Bauherr das Haus mit zwei Gehilfen bis 1964 weitestgehend eigenhändig errichten
konnte.
Wohnhäuser, Kirchenbau und Stadtreparatur
Was sich zu Beginn ankündigt, verstetigt sich: Kirchenbau begleitet die Arbeit von Margot und Joachim Schürmann. Neben der schon genannten Kirche St. Pius X. in Flittard entsteht in Wuppertal mit dem Gotteshaus Christ König bis 1960 eine Variation des architektonischen Themas eines über massiven Wänden scheinbar schwebenden Daches. Mit dem Kloster St. Sebastian in Neuss und dem stringenten Haus Klöcker in Köln geht das Paar ab 1960 in eine merklich brutalistische Phase über, deren vielleicht schönstes Zeugnis das fast japanisch anmutende eigene Wohn- und Atelierhaus auf der Darmstädter Rosenhöhe ist. Gebaut anlässlich der Berufung von Joachim Schürmann auf die Professur für Gebäudekunde und Entwerfen der Technischen Hochschule Darmstadt, gruppiert der Bau Wohnräume und Gartenhöfe auf einem quadratischen Raster. Inzwischen ist der einst schöne Garten zur Straße hin renditeträchtig mit zwei baugleichen Einfamilienhäusern zugestellt worden.
Ende der 1960er-Jahre diskutiert die Stadt Köln die Wiederbelebung der Altstadt zwischen Dom und Heumarkt und die Arbeiten am Opus magnum der Schürmanns beginnen. Die Kirche Groß St. Martin wird saniert und von Margot und Joachim Schürmann und ihrem Team in ebenjener Akkuratesse aktualisiert, wie sie es schon in den ersten beiden Kirchen in den 1950ern erprobt hatten. Das Ergebnis ist einer der schönsten Kirchenräume Kölns. Rund um die Kirche mit ihrem prägnanten Turmabschluss entsteht ein ganzes Stadtviertel neu, das die Struktur der Altstadt in einer Art und Weise in eine zeitgemäße Architektursprache übersetzt, wie sie damals nur wenige ArchitektInnen zu leisten im Stande waren. Kleinteilig und mit historisch tradierten Elementen wie Balkonen, Erkern, Vor- und Rücksprüngen und unterschiedlichen Dachformen agieren Margot und Joachim Schürmann hier und fügen so die Neubauten wie selbstverständlich in die Bebauungsstruktur der Kölner Altstadt ein. Für das eigene Büro entsteht als südlicher Abschluss des Martinsquartiers das Haus in der Lintgasse 9, das als "Außenstelle in der Innenstadt" fungiert. Für 20 Mitarbeitende ist das Gebäude konzipiert und so entworfen, dass die jeweiligen Etagen auch als Wohnungen umgenutzt werden könnten.
Architektur als familiäre Berufung
Über ihren Mann sagte Margot Schürmann einmal: "Manchmal hat er eine närrische Idee – aber dann ist sie einfach gut." Joachim Schürmann wiederum nennt seine Frau "eine Meisterin des Grundrisses". Präzision und Genauigkeit werden im Büro als hohe Güter gehandelt, die nicht nur die Mitarbeitenden an ihre Grenzen bringen, sondern auch diejenigen, die das Entworfene statisch berechnen und auf der Baustelle realisieren müssen. Niemals laut, aber in der Sache so bestimmt, dass sie im Zweifel Nachtschichten von sich und anderen erwartet, ist Margot Schürmann dabei. Auf der einen Seite wird die Atmosphäre im Büro als "familiär" beschrieben, auf der anderen bleibt bis zuletzt klar, wer Chef, wer Chefin ist. Das führt auch dazu, das frühe und langjährige MitarbeiterInnen sich irgendwann vom Büro abwenden, weil die Perspektive der Partnerschaft fehlt. Als "prägend" und entscheidend für die eigene Karriere wird die Zeit im Büro von Margot und Joachim Schürmann dennoch von fast allen ehemaligen Mitarbeitenden beschrieben. Und in der Tat wenden sich auch die vier Kinder – zwei Töchter, zwei Söhne – allesamt der Architektur zu und sind im Laufe der Zeit immer wieder an Projekten des Büros beteiligt. In den 1980er- und 90er-Jahren beweisen sie in dieser Konstellation, dass sie auch große Bauvolumen in gleicher Präzision umsetzen können. In Köln entsteht mit dem Postamt 3 ein gewaltiger, aber dennoch angemessen feingliedriger Neubau für das Briefzentrum, in Lemgo das Engelbert-Kämpfer-Gymnasium, in Lüdenscheid die Sparkasse.
Ab 1989 arbeiten Margot und Joachim Schürmann an jenem Bau, der bis heute mit ihrem Namen verbunden ist – zunächst als Abgeordnetenbürohaus entworfen und heute von der Deutschen Welle genutzt. Das Haus aus drei leicht zueinander versetzten Riegeln schreibt den Schwung der bestehenden Gebäude um den Südflügel des Plenarsaals und das alte Abgeordnetenhaus entlang der Kurt-Schumacher-Straße als sinnfällige horizontale Ergänzung zu Egon Eiermanns Hochhausturm fort. Mit seinen zur Rheinaue orientierten Pergolen fügt es sich wie selbstverständlich in die Landschaft ein und variiert architektonische Grundthemen von Addition und Subtraktion. Ein durch und durch uneitler Bau, der sich ganz in den Dienst seiner Aufgabe stellt, dabei aber gleichermaßen selbstbewusst um die eigene architektonische Qualität weiß und sich nicht vor seinem namhaften Nachbarn verstecken muss.
Die Fertigstellung dieses wegen des Hochwassers 1991 und Schwierigkeiten mit den am Bau beteiligten Firmen medial zum "Skandalbau" hochstilisierten Gebäudes im Jahr 2002 aber erlebt Margot Schürmann ebenso wenig, wie die Auszeichnung mit dem Großen BDA-Preis 2008. In Venedig stirbt sie 1998 fast auf den Tag genau 24 Jahre vor ihrem Mann. Als berufstätige Mutter ist sie in gesellschaftlichen Konventionen der 1950er- und 60er-Jahre ebenso angeeckt wie als hartnäckige Chefin. Vor allem aber hat sie als Architektin gemeinsam mit ihrem im Dezember 2022 verstorbenen Mann mit einer Vielzahl eindrücklicher Raumschöpfungen von poetischer Sachlichkeit bundesdeutsche Architekturgeschichte geschrieben.
*Anmerkung der Redaktion: Die von Margot und Joachim Schürmann entworfene Villa in Köln-Lindenthal steht aktuell zum Verkauf.