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Dorte Mandrup

Blickpunkt: Architektinnen – Dorte Mandrup

In unserer Serie "Blickpunkt: Architektinnen" stellen wir Ihnen in regelmäßiger Folge das Werk von Architektinnen vor – wie die Bauten von Dorte Mandrup, die wie Skulpturen aus Landschaften erwachsen und deren einzigartige Ästehtik fortführen.
von Falk Jaeger | 25.08.2022

Dorte Mandrup-Poulsens berufliche Orientierung verlief keineswegs geradlinig: 1961 in Dänemark geboren, ging sie zunächst in die USA, um an der Georgia Southern University Bildhauerei und Keramik zu studieren. Doch in Dänemark anerkannte Künstlerin zu werden, war zu dieser Zeit kaum vorstellbar. So nahm sie ein Medizinstudium auf, bevor sie in die Architektur wechselte. Ein Metier, in dem sie ihre Interessen an Kunst, haptischer Arbeit mit Materialien, Naturwissenschaften und sozialen Verhältnissen vereint sah. 1991 schloss sie das Studium an der Aarhus School of Architecture ab. 1999 erfolgte die Gründung des eigenen Architekturbüros in Kopenhagen, das mittlerweile mit gut 75 MitarbeiterInnen international tätig ist und neben zahlreichen Kulturbauten auch Sozial- Wohnungs- und Kommerzbauten realisiert, zum Beispiel für IKEA. In Berlin ist sie derzeit mit der Planung des Exilmuseums befasst, ein geschwungener Backsteinbau, der den Ruinenrest des einstigen Anhalter Bahnhofs in seine Architektur einbezieht.

Exilmuseum, Berlin

Dorte Mandrup ist viel auf Reisen, um Architektur in aller Welt zu besichtigen, in jüngster Zeit intensiv Bauten des frühen 20. Jahrhunderts in Nordeuropa und Nordamerika, aber auch traditionelle und zeitgenössische japanische Architektur, "wegen ihrer unmonumentalen Leichtigkeit und Poesie", wie sie sagt. Ihre jüngste Ausstellung in der Berliner Architekturgalerie Aedes war vom Feinsten, architektonisch, ästhetisch und inszenatorisch. Sie überlässt nichts dem Zufall und man spürt, dass die Arbeit am Modell, an unzähligen Modellen, vorangetrieben wird. Das Studium der Bildhauerei ist nicht vergessen. Ihr Thema ist vor allem die karge nordische Natur, Projekte, die sich mit der Landschaft auseinandersetzen. Unberührte Natur spornt Dorte Mandrup offenkundig zu besonderen Leistungen an. Sie nennt sie "unersetzliche Orte" von rauer, ergreifender Schönheit, die sie mit einzigartigen Gebäuden besetzt. Mit Gebäuden, die als Artefakte sowohl von faszinierender Ästhetik, als auch von einer verblüffenden Angepasstheit sind, so als ob sie schon immer hierher gehört hätten. Die Bauten belassen der Natur das Primat, setzen ihre Umgebung in dienender Funktion in Szene und markieren dennoch ohne jeden Anflug von Camouflage signifikante Zeichen. Diese heikle Ambivalenz meistern neben ihr allenfalls die Norweger Snøhetta mit einigen ähnlichen Projekten.

"The Whale", Andøya

Da ist das Wal-Observatorium 185 Meilen nördlich des Polarkreises in Norwegen, das sich im Wind duckend in die Landschaft schmiegt und mit seiner Stromlinienform tatsächlich an einen Wal erinnert. Oder das 2021 vollendete Wattenmeer-Zentrum im Ribe, errichtet in traditioneller Reetdach-Bauweise, jedoch alles andere als heimattümelnd, sondern als Bauskulptur, die aus der Landschaft erwächst und den Ort zum Sprechen bringt. Das darüber hinaus eine künstlerische Aussage jenseits der Alltagspragmatik macht und trotzdem als zeitgemäßes Infozentrum und Museum erscheint und perfekt seine Funktion erfüllt. Ebenso das überraschenderweise ziemlich elegant wirkende Icefjord Besucherzentrum in Ilulissat, am Ende der Zivilisation 250 km nördlich des Polarkreises an der Westküste Grönlands gelegen. Mit seiner dynamischen Bumerang-Form und dem begehbaren Dach setzt es die landschaftlichen Linien fort und scheint, leicht schwebend aufgeständert, die Natur so wenig wie möglich berühren und stören zu wollen. Die gläsernen Fassaden bieten eine überwältigende Aussicht auf die Gletscherlandschaft – wie lange noch?

PLACE – A Symbiosis Between Architecture and Context | Dorte Mandrup, Copenhagen

Dorte Mandrup scheint eine Affinität zum UNESCO-Welterbe zu haben, denn neben Ilulissat und Ribe entsteht in Wilhelmshaven das Trilaterale Weltnaturerbe-Wattenmeer-Partnerschaftszentrum TWWP als gläserner Aufbau über einem Weltkriegsbunker sowie im Niederländischen Groningen das Wattenmeer Welterbe-Zentrum. Die historische Barockstadt Karlskrona ist ebenfalls als Welterbestätte geschützt und bekommt einen Bibliotheksbau, der die Balance zwischen Historie und Moderne in respektvoller Weise zu halten verspricht. In der Bibliothek, die gleichzeitig als multifunktionales Kulturhaus den "Dritten Ort" repräsentiert, den man ohne Konsumabsicht aufsuchen kann, kommt ein dritter Aspekt von Dorte Mandrups kontextbezogener, ästhetisch ansprechender Architektur zum Tragen. Ihre Architektur soll die Menschen einladen mitzumachen, mitzugestalten, sie sich zu eigen zu machen. So zeigt sich ein humanistischer Ansatz ihrer Arbeit, der wohl noch aus ihrer "vorarchitektonischen" Orientierungsphase stammt.

Dorte Mandrup ist eine der wenigen international wahrgenommenen Architektinnen in Europa. Präsent ist sie in internationalen Jurys wie für den Mies van der Rohe Award oder dem RIBA Honours Committee, als Gastprofessorin in Mendrisio, als Trägerin zahlreicher Auszeichnungen wie dem Kunstpreis Berlin der Akademie der Künste oder als Ausstellerin bei der Biennale Venedig. Und all die Ehrungen haben sicher nichts mit der Quote zu tun. In ihrem Heimatland ist sie freilich die einzige prominente Baukünstlerin. "In Dänemark scheinen wir uns auf der Tatsache auszuruhen, dass wir denken, wir hätten Gleichberechtigung, obwohl wir in Wirklichkeit weit davon entfernt sind", beklagt sie das "strukturelle Ungleichgewicht" und setzt sich für ein Netzwerk der Frauen in der Architektur ein. Auch plädiert sie für Quoten an Universitäten, in Wettbewerben und Jurys und betont, "dass es in der Branche Maßnahmen zur Gleichstellung und Vielfalt geben muss - ähnlich wie wir uns an bestimmte Anforderungen halten müssen, wenn es um die Nachhaltigkeit geht." Angesichts der Tatsache, dass auch in Dänemark an den beiden Architekturschulen die Zahl der weiblichen Hochschulabsolventinnen die der männlichen übersteigt, mahnt sie, in den Büros und den Führungsetagen das Gleichgewicht der Geschlechter anzustreben. Das sei nicht schwierig, sondern eine Frage des Willens. Dafür setzt sich Dorte Mandrup in Verbänden, Politik und Fachöffentlichkeit ein. Sie ist mit ihrer nonkonformistischen, humanistisch geprägten Haltung nach wie vor in öffentlichen Debatten präsent. Das unterscheidet sie von den meisten erfolgreichen männlichen Kollegen, die sich aufs Renditeerwirtschaften oder auf das Erschaffen von Baukunst beschränken.

Tipp:

PLACE: Dorte Mandrup, Architecture et paysage en symbiose
8. September bis 6. November 2022

Le Bicolore
Maison du Danemark
142 Avenue des Champs-Elysées
75008 Paris

"Good architecture creates the good life." | Architect Dorte Mandrup | Full Documentary