Prächtige Villen und zahleiche Bootshäuser säumen das südliche Ufer des Genfer Sees, wo der kleine französische Ort Thonon-les-Bains Urlauber und Kurgäste in die Grenzregion zwischen Frankreich und der Schweiz lockt. Ungestört könnte der Blick an der Seepromenade entlanggleiten, würde er nicht plötzlich an einem rostroten, rechteckigen Bau hängen bleiben, der sich deutlich von den angrenzenden, weiß verputzten Villen abhebt. Das Konzept der Zürcher Architekten Kaufmann und Widrig für das zweigeschossige Einfamilienhaus lebt von zwei Polen und bewegt sich zwischen Anpassung und Abgrenzung. Auf der einen Seite sollte sich das Gebäude bestmöglich in die umliegende Umgebung einfügen, was die Architekten aufgrund der Beschaffenheit des Grundstücks von Beginn an vor eine Herausforderung stellte. Das parkähnliche Areal gehörte nämlich ursprünglich zur angrenzenden Nachbarvilla und wurde früher als Obstgarten genutzt. Die langgestreckte, parzellenartige Form des Grundstücks, das an der schmalen Nordseite bis zum Ufer des Genfer Sees vorstößt, begrenzte den Spielraum bei der Gestaltung des Grundrisses, was letztlich zu der einfachen, rechteckigen Geometrie des Gebäudes geführt hat. Was Bautechnik und Materialien angeht, so orientierten sich die Architekten ebenfalls an Vorhandenem. Die braun-rostige Patina der stählernen Fassade ist an die wettergegerbte, raue Oberflächenverkleidung der zahlreichen Bootshäuser in der Umgebung angelehnt. Was als Zugeständnis an die eher bodenständige Seite der herrschaftlichen Nachbarschaft aufzufassen ist, grenzt das Wohnhaus zugleich bewusst vom Prunk der umliegenden Villenlandschaft ab. Das Innere des Hauses ist ebenfalls durch Kontraste geprägt. Einerseits verleihen die mit Lärchenholz vertäfelten Wände den Wohnräumen eine Atmosphäre der Geborgenheit und ein warmes Flair und erinnern so beinahe an ein alpines Chalet. Der anthrazitfarbene Betonboden mit seiner kühlen, zeitgenössischen Eleganz bildet dazu einen Kontrast und sorgt dafür, dass der wohlige Hüttencharme nicht überhand nimmt. Großzügige Fensterfronten mit Seepanorama und Dachfenster versorgen das Gebäudeinnere nicht nur zu jeder Tageszeit mit reichlich Tageslicht, sie verleihen dem kubischen Raum gleichzeitig ein galerieartiges Antlitz. Die Innenausstattung nahm der Besitzer des Wohnhauses, ein Schweizer Unternehmer, selbst in die Hand. Geschmackvoll stehen hier wuchtige, lederne Möbelklassiker neben strengen, zeitgenössischen Entwürfen. So setzt sich das Konzept der Gegensätzlichkeit von außen nach innen fort.
Blickfang in Rostrot
von Milenka Thomas | 28.11.2012
Am südlichen Ufer des Genfer Sees haben die Zürcher Kaufmann Widrig Architekten ein Wohnhaus erbaut, Foto © Georg Aerni
Am südlichen Ufer des Genfer Sees haben die Zürcher Kaufmann Widrig Architekten ein Wohnhaus erbaut, Foto © Georg Aerni
Der galerieartige Wohnraum wurde mit Möbelklassikern eingerichtet, Foto © Georg Aerni
Die Holzvertäfelung im Gebäudeinneren sorgt für ein warmes Ambiente, Foto © Georg Aerni
Die rostrote Patina der Gebäudefassade erinnert an die umliegenden Bootshäuser, Foto © Georg Aerni
Das längliche Gebäude wurde im ehemaligen Obstgarten der Nachbarvilla errichtet, Foto © Georg Aerni
Große Fensterfronten erlauben eine weitreichende Sicht auf den Genfer See, Foto © Georg Aerni
Das Wohnhaus reicht bis auf wenige Meter an das Ufer des Genfer Sees heran, Foto © Georg Aerni