Massive Oase
Der Aufwand und das Risiko von der Bauherrensuche über die Entkernung bis zur Realisierung für die Konversion des Hockbunkers "Frieda Ottensen" in Hamburg war immens. Warum war der große Aufschlag direkt zu Beginn für Sie das Richtige?
Björn Liese: Ende 2012 habe ich mich in Hamburg selbstständig gemacht, nachdem ich zuvor für ein Wiener Büro gearbeitet habe. Ich kannte niemanden in der Stadt und daher kann man wohl von glücklichen Zufällen sprechen, dass ich in der Anfangszeit ein großes Projekt starten konnte. Wir sind nach Ottensen gezogen und quasi direkt neben dem Wohnhaus steht der Hochbunker. Das war der Anreiz für die Recherche zu dem Thema Bunker und daraus formte sich die Idee, diesen Bestand für eine neue Nutzung umzubauen. Diese wurde schnell konkret, da sie von unseren damaligen VermieterInnen unterstützt wurde, die selbst in der Nachbarschaft wohnten und die Bauherrenschaft übernahmen. So konnte ich in den ersten Monaten viele Informationen zu dem Bau sammeln. Ein Großteil der Aufgabe war es zudem alle zuständigen Stellen für den Umbau zu begeistern. Der Bunker liegt in einer Hinterhofhoflage, quasi eine Insellage, die nur über Baulasten zugänglich war. Mit Blick auf das Genehmigungsverfahren war die Ausgangslage extrem schwierig. Meine Frau und ich haben das Projekt im Grunde parallel zu allen anderen Tätigkeiten vorangetrieben. Parallel habe ich freiberuflich für ein anderes Büro in der Stadt gearbeitet. Das bedeutete auch ein großes Risiko, denn wenn die Idee nicht funktioniert hätte, wäre auch ein Jahr Arbeit umsonst gewesen, frei nach dem Motto "no-cure, no-pay". Das das Projekt realisiert werden konnte, hatte für mich dann den Vorteil, dass es mir anschließend finanziell für die darauffolgenden Projekte eine Sicherheit gewährt hat.
Kann Sie nach dieser gemeisterten Herausforderung noch etwas schocken?
Björn Liese: In unserem Job ist nie ein Projekt wie das andere, darum wird es immer wieder Umbauten oder Sanierungen geben, die sehr fordernd sind. Bei dem Bunker war die Herausforderung den besonderen Charakter des Baus zu erhalten – ein Bunker hat keine Fenster, ein Wohnhaus in jedem Fall. Dazu kamen umfangreiche Bestimmungen des Denkmalschutzes und der energetischen Sanierung.
Der Bau steht in zweiter Reihe auf einem eng bebauten Grundstück – was bedeutete das für den Umbau?
Björn Liese: Das Glück des Bunkers war auch gleichzeitig die Schwierigkeit. Die Lage ist sehr schön, gleicht einer ruhigen Oase in einem beliebten Wohnviertel, umringt von spätklassizistischen Stadthäusern, die auch zum Teil unter Denkmalschutz stehen. Durch dieses schmale wie fragile Nadelöhr mussten wir schweres Gerät auf ein recht schmales Grundstück bringen. Dafür brauchte es im Vorfeld zahlreiche Absicherungen und Abstimmungen. Mit einem 120 Tonnen Kran haben wir dann einen Raupenbagger auf den Bunker gehoben, der sich nach und nach durch die massive Dachdecke gegraben hat – deren Dicke übersteigt die Wände und Geschossdecken bei weitem. Wir haben den Abbruch so geplant, dass sich der Bagger auf seinem eigenen Schuttberg nach unten arbeitet, und dann durch eine spätere Garageneinfahrt den ausgehöhlten Bau wieder verlässt. In erster Linie wurden also Außenwände erhalten.
Ein Teil der Ursprungsfassade sowie Wände und Decken sind in Sichtbeton verblieben. Parallel lassen Sie den BewohnerInnen viele Freiheiten für die Raumnutzung und die Ausstattung – die Wohnungen könnten bei Bedarf zusammengelegt oder Einheiten abgetrennt werden. Warum haben Sie sich entschieden, einen Teil der weiteren Gestaltung in die Hände der NutzerInnen zu legen?
Björn Liese: Die geplante Nutzung des Gebäudes hat sich mit den InvestorInnen weiterentwickelt, die im späteren Verlauf der Planung dazukamen. Die Struktur lässt so eine flexible Unterteilung der Geschosse zu, die an die Lebensphasen und den Bedarf der BewohnerInnen angepasst werden kann. Zudem hat jede Person eigene Vorstellungen, wieviel Sichtbeton und Spuren des Abbruchbaggers im Innenraum gewünscht sind. Zu meiner Freude ist der Sichtbeton sehr beliebt: 15 Wohneinheiten fasst der Bunker und von diesen hat nur eine Partei beschlossen, eine der Bestandswände zu verputzen. Mit Blick auf die Grundrisse gibt es in den Eigentumswohnungen Kernzonen, um die entweder wie in Form von Windmühlensegeln Wände eingezogen werden können. Die Dämmung haben wir indes von außen angebracht.
Was war Ihnen bei der Auswahl der Unternehmen für die Innenausstattung wichtig – ich habe gesehen, sie haben unter anderem mit Hager (Berker) zusammengearbeitet?
Björn Liese: Wir haben eine Grundausstattung beplant und bemustert, unter anderem mit Berker "R.classic". Die EigentümerInnen können im Nachgang dann selbst entscheiden, inwieweit sie diese beibehalten möchten.
Das Gebäude ist Co2 neutral, wie wird das erreicht?
Björn Liese: Die Kennzeichnung der Co2-Neutralität bezieht sich in erster Linie auf die Beheizung des Gebäudes. Die Planung für den Umbau begann Ende 2012, im Jahr 2014 haben wir die ersten Pflöcke eingeschlagen – weit vor den aktuellen Kriegsauswirkungen wie der Energieversorgungskrise. Der Bauherr hatte dennoch damals sehr weitsichtig gesagt, "er möchte sich nicht abhängig machen von Putins Gas". Es hat eine Weile gedauert, bis wir Unternehmen und PlanerInnen gefunden hatten, die eine Kombination aus Wärmepumpe, Eisspeicher und Wärmerückgewinnung umsetzen konnten. Die Anlagen dazu werden mit Ökostrom betrieben und sind auf den Restflächen rund um den Bunker verbaut. Das System ist sehr zuverlässig und dient als Erfahrungswert für weitere Projekte. Parallel zeigt es uns aber auch, dass wir unsere Bauvorhaben angesichts des Klimawandels zukünftig noch wandlungsfähiger planen müssen.
Welche "Lessons learned" haben sie für die folgende Projekte mitgenommen?
Björn Liese: Die Planungen, Abwägungen und Diskussionen rund um den Umbau waren immens zeitaufwändig, aber im Endeffekt die Grundlage, um die Haustechnik zu realisieren. Zudem ist die Basis für ein zukunftsfähiges Gebäude eine wandlungsfähige Gestaltung und die fängt bei veränderbaren Raumkonfigurationen an. Im Detail haben wir beispielsweise Wände nur minimal mit Bewehrungsstahl ausgestattet, sodass nachträglich Türen ohne großen Aufwand eingeschnitten werden können.
Was möchten Sie mit Ihrer Architektur für die Stadt von Morgen beizutragen?
Björn Liese: Die Offenheit bisher erfolgreiche Konzepte hinterfragen. Und zwar auf allen Seiten, denn die Planarbeit ist nicht immer das Nadelöhr. Da gibt es bereits großen Willen neue Wege zu gehen – sei es bei der Gebäudetechnik, Baustoffen, Wandelbarkeit von Gebäuden, Umnutzung von Gebäuden. Auch auf der Seite der BauherrInnenseite ist die Offenheit wichtig, um nicht sofort an Grenzen zu stoßen.
Woran arbeiten Sie gerade?
Björn Liese: An vielen unterschiedlichen Projekten, beispielsweise für die Hochbahn in Hamburg, zusammen mit einem Partnerbüro. Im Bereich der Infrastruktur ergeben sich viele Spezialthemen, von der Planung zentraler Busbahnhöfe bis zu U-Bahn Stationen. Aufgrund der aktuellen Situation in der Branche sind die Planungen im Wohnungsbau deutlich zurückgegangen, daher ergeben sich nun auf anderen Ebenen neue Lernfelder.