Die Poetin
„Ich konzentriere mich stets auf die Geschichten hinter den Objekten und das menschliche Verhalten als Reaktion darauf“, erklärt Bilge Nur Saltik ihre Designphilosophie. Die gebürtige Istanbulerin, die nach ihrem Industrie- und Grafikdesignstudium in der Türkei in einer Art Dauerschleife stecken blieb und überwiegend Promotion-Jobs abarbeitete, packte schließlich ihre Koffer und zog nach London. „Ich musste eine neue Perspektive für meine Karriere finden“, sagt sie rückblickend und ergänzt: „Als ich meinen Master-Studiengang am Royal College of Art begann, war es wie ein Schlag ins Gesicht … aber ein guter! Meine ganze Wahrnehmung von Design hat sich komplett verändert, es war wie so eine Art zweite Bewusstseinsstufe, die mich zu der Designerin gemacht hat, die ich heute bin.“
Bilge Nur Saltik pendelt heute zwischen den Welten, zwischen Ost und West. In ihrer Heimat arbeitet sie eng mit traditionellen Handwerksleuten zusammen. Dabei bringt sie ihnen jedoch bislang unübliche Materialien nahe, so dass sich durch das Wissen sowie die Techniken der Fachleute und ihr Design neuartige Objekte ergeben, die alt und neu in sich vereinen. Ein Beispiel dafür sind die Vasen „Op“, bei denen die Designerin das Ziel verfolgte, nur eine Vase wie ein ganzes Bouquet erscheinen zu lassen. Das geht natürlich nur dank eines Tricks: Bilge Nur Saltik hat eine Art Cloche entwickelt, die einen kaleidoskopischen Effekt erzielt. Das Glas, das diesen Eindruck erweckt, ist sehr dick und wird in Istanbul von Hand geschnitten, so dass sehr präzise „Ecken“ entstehen. Da jedes einzelne Stück ein einmaliges „Schnittmuster“ hat, ist die Wirkung jedes Mal eine andere, aber allen gemeinsam ist die Besonderheit, dass eine Blume durch die optische Brechung wie ein ganzer Strauß erscheint. Diese Vasenserie ist der persönliche Favorit von Bilge Nur Saltik: „Ich habe immer mit Illusionen und mit optischen Täuschungen gearbeitet. Mit den „Op“-Vasen habe ich einen Weg gefunden, dass, was in meinem Kopf ist, in ein Produkt zu übertragen. So kann jetzt jeder das Spielerische, das Illusionen innewohnt, in seinen Alltag bringen.“
Ein andere Produktserie, die von ihrem Professor in London, Tord Boontje, angestoßen wurde, sind die „Loud Objects“. Als Betrachter sieht man zunächst eher typische Objekte aus Marmor in unterschiedlichen Nuancen: Einen Kerzenhalter, eine Etagere sowie eine Vase. Der Clou liegt im Detail, denn überraschenderweise handelt es sich gleichzeitig um Lautsprecher, die via Bluetooth Musik widergeben können. „Wir alle haben diese elektronischen Apparate bei uns zu Hause, die oft genug überhaupt nicht zu unserem Einrichtungsstil passen, sondern geradezu außerirdisch wirken“, sagt Bilge Nur Saltik. „Ich habe daher die Elektronik in dekorative Accessoires integriert, so dass man auf technische Extrateile verzichten kann.“
Mit dem Keramikgeschirr „Share.Food“ konnte die 28-Jährige 2014 den New Design Britain Award gewinnen. Die Idee der Schalen und Becher liegt im Teilen von Essen und Trinken. Daher haben alle Teile keinen abgeflachten Boden, sondern einen mit „Knick“. So lassen sich die Gefäße zur einen oder zur anderen Seite kippen, das Gegenüber kann sich leichter bedienen. Und dabei, davon ist die Designerin überzeugt, kommt eine ganz andere Kommunikation zwischen Menschen in Gang. Ansehnlich ist zudem, dass die Böden sich farblich von der weißen Keramik abheben und so ein interessantes Farbenspiel auf der Tischplatte inszenieren.
Für die Domotex hat Bilge Nur Saltik ein Konzept erarbeitet, bei dem es um das Spiel mit Kontrasten geht: harte und weiche Oberflächen sowie industriell und manuell gefertigte Beläge. „Transitions“ sollen haptisch erlebbare Lösungen für den Boden werden. Damit spinnen sie den roten Faden von Saltiks Designphilosophie weiter. (ua)
Eine Vorschau auf Bilge Nur Saltiks Projekt für die Domotex finden Sie hier.