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Beton, Buch
und Sand
von Adeline Seidel
17.08.2015

„Die Bibliothek am Strand“ – für alle „Herzkino“-Freunde klingt das verdächtig nach einem Romantitel á la Rosamunde Pilcher oder eben nach einer Erzählung für Pascal Mercier-Leser über männliche Einsamkeit. Abgesehen davon, dass solch ein Ort einen interessanten Raum für Geschichten abgeben könnte, eignet ihm in der nicht-fiktiven Realität etwas Sonderbares.

Eine Bibliothek, hier, am Strand? Will man am Strand etwa nicht Spaß, Zerstreuung oder Müßiggang? Zelebriert man unter brennender Sonne etwa nicht die Wonnen herrlicher Trägheit? Vielleicht genießt man hier an kühleren Tagen auch einen besinnlichen Spaziergang, während der Wind einem das Meeressalz in die Poren treibt, das Wasser rauscht und die Wellen heranrollen. Doch wozu braucht es eine Bibliothek am Strand, noch dazu an der Nordchinesischen Bohai Küste, die ein beliebtes Urlaubziel ist und deren goldgelbe Strände viele Resorts und an Vergnügungen reiche Freizeitparks zieren?

Fest steht immerhin: Die Bibliothek steht einstweilen zwischen Strand und Nirgendwo, denn noch hat man mit dem Bau des geplanten Resorts in ihrer unmittelbaren Nähe nicht begonnen. Also wirkt der Betonklotz wie eine Fata Morgana. Der eine oder andere wird sich die Augen reiben, denn die Bibliothek ist eine herrliche Architekturcollage: Ihr Äußeres erinnert mit seinem groben Beton an Bauten Le Corbusiers, im Innern kitzeln Bilder von Jørn Utzons Bagsværd Kirche wach – und die „Bunkerattitüde“ des Baus hätte Paul Virilio und Claude Parent sicher gefallen.

Fast ein wenig trotzig steht der Bau auf dem Sand, als hätten die Architekten von Vector Architects einfach ein Handtuch ausgebreitet. Klare Kanten bestimmen die rechteckige und an drei Seiten verschlossene Form. Nur zum Meer hin gibt sich das Gebäude offen. So ist der Lesesaal – soweit man das auf den Bildern erkennen kann, denn leider konnten wir nicht mal schnell nach China fliegen und den Strand aufsuchen – ein hoher, großzügig geschnittener Raum. Unterschiedliche Ebenen und Stufen schaffen unterschiedliche Lesebereiche: Zum Schmökern gibt es Sessel und einen direkten Zugang zum Strand, wer konzentrierter zu Werke gehen möchte, findet auf der oberen Ebene Schreibtischreihen. Eine horizontale Fensterfront erstreckt sich über die gesamte Länge des Raumes und gibt von jedem Sitzplatz aus den Blick auf das ewig bewegte Meer frei.

Für eine introvertierte Stimmung sorgt die runde Decke aus rohem Beton, die aus der Wand gegenüber der Glasfront praktisch herauswächst.Tageslicht dringt durch runde Einschnitte in der Decke in den Raum, wobei Lichtflecken den dunklen Boden auflockern. Die Leuchten und das feine Geländer, beides aus schwarzem Stahlrohr, verleihen dem Raum etwas Bahnhofsartige samt kosmopolitischem Gestaltungseklektizismus. Dennoch bleibt der Innenraum insgesamt überraschend schlicht und frei von ideologisierendem Kitsch.

Im Gegensatz zum Lesesaal erscheinen die anderen beiden Räume, ein Meditationsraum und ein Raum für lautere Aktivitäten, intim und behaglich. Wie ein Tuch wölbt sich die Betondecke bauchig in die beiden Räume, und das Licht, das durch schmale Fensterschlitze einfällt, verleihen den Räumen schon fast etwas Sakrales. Für all jene also, die nicht wollen, dass ihre Bücher mit Sonnenmilch getränkt werden oder Sand zwischen die Seiten gerät, scheint diese Bibliothek am Strand der richtige Ort. Zumal man hier auch seine Blässe beibehalten kann, die ja in China, in dem Land, das angeblich den „Facekini“ erfunden habe, ein Ideal von Schönheit darstellt. Vielleicht ergibt sich ja für den einen oder anderen auch eine romantisch-ernsthafte Begegnung am Bücherregal? Kein kurzweiliger Strandflirt, versteht sich. Eher einer, wie er im Buche steht.

www.vectorarchitects.com


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Das Gebäude spielt mit einer Vielzahl von verschiedenen, aber spezifischen Stimmungen – zum Beispiel durch unterschiedliche Raumhöhen und Raumformen. Alle Fotos © Vector Architects
Das Dach, ein Strand aus Beton, ist begehbar.
Durch die breite Fensterfront des großzügigen Lesesaals kann man das Meer genießen und auf klebrige Sonnenmilch verzichten.
Für eine introvertierte Stimmung sorgt die runde Decke aus rohem Beton, die aus der Wand gegenüber der Glasfront praktisch herauswächst.
Auch wer nicht die Bibliothek aufsucht, findet ein schattiges Plätzchen.
Zum Meer hin gibt sich die Bibliothek offen.
Der Bau erinnert an Bauten von Le Corbusier, Jørn Utzon und Claude Parent.
Die Architekten verzichten im Meditationsraum auf viel Tageslicht und Ausblicke – es geht ja schließlich um Einkehr.
Fast schon sakral wirkt der Meditationsraum durch das geschickte Spiel mit dem Licht.
Zwischen Meer und Nirgendwo steht die Bibliothek von Vector Architects.
Die Treppe führt auf die Dachlandschaft.
Tageslicht dringt durch runde Einschnitte in der Decke in den Raum und formt das Licht zu einem Kegel.