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Spaardersbad, Gouda, NL; Blick in die ehemalige Schwimmhalle, die heute als Gemeinschaftshof dient Architektur: Mei architects and planners, Rotterdam, NL

Abriss ist keine Lösung

"Nichts Neues – Besser Bauen mit Bestand" heißt die aktuelle Ausstellung im Interimsquartier des Deutschen Architekturmuseums im Osten von Frankfurt. Bis zum 15. Januar 2023 zeigt diese die Dringlichkeit der Thematik auf.
17.10.2022

Worin liegt das Potenzial von Bauen mit Bestand? Welche Möglichkeiten eröffnen sich mit Rückbau, Umbau oder Anbau? Und wie lässt sich dabei zum Klimaschutz beizutragen? Für die die aktuelle Ausstellung "Nichts Neues – Besser Bauen mit Bestand" des DAM in Frankfurt am Main haben die KuratorInnen Katharina Böttger, Jonas Malzahn und Mathias Schnell internationale Beispiele zusammengetragen, anhand derer ein Neudenken über den Umgang mit Bestandsarchitektur in Gang gesetzt werden soll. Mathias Schnell führte durch die Schau.

Anna Moldenhauer: Herr Schnell, warum hat das KuratorInnenteam das Thema "Bauen mit Bestand" aufgegriffen?

Mathias Schnell: Was das Thema Umbaukultur so unumgänglich macht, ist die Tatsache, dass die Klimawende nur durch eine Bauwende möglich ist. 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes werden vom Bau- und Gebäudesektor erzeugt, in Deutschland ist die Branche für 50 Prozent des Müllaufkommens verantwortlich, das muss man sich mal vorstellen. In der Ausstellung ist ein Interview zu sehen, das wir mit dem Architekturtheoretiker Ákos Moravánszky geführt haben. Darin stellt er fest, dass seit Jahrhunderten mit Bestand gebaut wird, dessen Bedeutung im Zuge der Industrialisierung jedoch verloren ging. Er weist aber auf einen Paradigmenwechsel hin, der gerade durch die Klimakrise und Krisen im Allgemeinen – auch in der Architektur – stattfindet: nämlich die Erde als geschlossenes System zu betrachten. Kreislaufgerechtes, kollektives und prozesshaftes Bauen müsse immer mehr Standard in der Architektur werden.

Warum wurde die Dringlichkeit des Themas nun wiederendeckt? Es gab ja vor kurzem beispielsweise einen offenen Brief seitens ArchitektInnen, WissenschaftlerInnen und Institutionen an die Bundesbauministerin Klara Geywitz, in dem ein temporärer Stopp von Gebäudeabrissen und eine Neuregelung der derzeit gültigen Vorschriften gefordert wurde.

Mathias Schnell: Das ist ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren. Das Wissen um das Ausmaß der Klimakrise ist nun auch bei der breiten Masse und der Politik angekommen. Es wurde erkannt, dass wir wirklich ein Problem haben und nach den Ursachen gesucht werden muss. Und die liegen ganz klar auch im Bauen. Es muss verstanden werden, wie viele Ressourcen ein Neubau tatsächlich verbraucht, denn in einem Gebäude steckt sehr viel graue Energie, die vom Abbau der Rohstoffe bis zur Produktion von Baustoffen und der Bauteile erzeugt wird – ebenso während dem Transportweg zur Baustelle, dem Bau des Gebäudes und der Entsorgung. Die Rechnung, dass Abriss günstiger ist, geht also nicht immer auf, vielleicht für den Investor, aber bestimmt nicht hinsichtlich des Klimas. Mit Hilfe der Ausstellung versuchen wir diese Diskussion jetzt auch in Frankfurt aufzunehmen.

In der Schau sind 24 verschiedene Projekte zu sehen, die ein großes Themenspektrum abdecken. Nach welchen Kriterien haben Sie diese ausgewählt?

Mathias Schnell: Die Ausstellung ist in die sechs Themenbereiche Umbau, Rückbau, Anbau, Reaktivierung von Leerstand, Stadt- und Dorferneuerung sowie Bauen im Denkmal gegliedert, in denen wir jeweils vier Beispiele vorstellen. Diese sind nicht älter als sieben Jahre und bilden unterschiedliche Maßstäbe ab, vom Einfamilienhaus bis zur Großwohnsiedlung. Bauen mit Bestand hat weder Grenzen im Maßstab noch in der Kultur, denn auf jedem Kontinent gibt es hierzu gute Beispiele. Dann waren uns verschiedene Nutzungsformen wichtig – vom Wohnen und Arbeiten bis zu öffentlichen Räumen. Was uns außerdem ein Anliegen war, dass auch für den Display der Ausstellung mit Bestand gearbeitet wird. Dieser besteht nun aus bereits verwendeten Elementen aus dem Materiallager des DAM. Zudem hat uns eine Druckerei für die Präsentation der Exponate Papier zur Verfügung gestellt, das von den Aufträgen übriggeblieben ist und nicht mehr eingesetzt werden kann. Wir haben also bewusst mit dem gearbeitet, was da ist. Das ist dann nicht immer perfekt – auch ein Thema beim Bauen mit Bestand. Das Papier hat zum Beispiel unterschiedliche Weißtöne und Qualitäten. Man sieht die Nutzungsspuren und dass die Dinge vielleicht nicht immer zusammenpassen – aber da stellt sich für uns auch die Frage, ob man Schönheit, wie wir sie anstreben, heute eventuell neu definieren muss. Im Zuge unserer Recherchen wurden wir in dem Kontext auch mit der Aussage konfrontiert, dass in der Verschwendung keine Schönheit mehr liegen kann. Mit dem Bestand lässt sich eine andere Form von Schönheit finden und hierzu stellen wir Beispiele vor. Bei der Frage des Klimaschutzes haben wir parallel mit der Initiative Architects for Future zusammengearbeitet.

Tainan Spring, Tainan, TW; Betonstützen im und um den Pool erinnern an das ehemalige Einkaufszentrum, 2020 Architektur: MVRDV, Rotterdam, NL

Ein Haus, das An- oder Umbauten hat, bietet zudem atmosphärisch eine Lebendigkeit, die Neubauten nicht leisten können.

Mathias Schnell: Das kann man auch im städtebaulichen Kontext sehen. Eine Stadt ist eine Collage, da sie aus verschiedenen Epochen besteht. Durch die Sichtbarkeit der früheren Nutzung bekommt sie eine Lebendigkeit und das lässt sich auch an einem Gebäude wahrnehmen. Umbau und Sanierung gehören zu den häufigsten Bauaufgaben in Deutschland. Dazu zeigen wir internationale Lösungen für eine neue Nutzung des bestehenden Raums. Etwa „Sesc 24 de Maio“ Paulo Mendes da Rocha + MMBB Arquitetos in São Paulo, ein ehemaliges Einkaufszentrum, das nun der Gesellschaft als Treff- und Servicepunkt dient, inklusive Schwimmbecken auf dem Dach, einem Theater, Restaurants und Angeboten der medizinischen Versorgung. Das ist ein sehr schönes Beispiel, wie aus einem kommerzialisierten Raum ein Raum für alle in der Stadt geworden ist. Zu sehen ist auch das in den 1930er-Jahren erbaute Schwimmbad "Spaardersbad Gouda" in den Niederlanden, dessen Bau die Bevölkerung einst selbst finanzierte. Mei architects haben nun dort sechs Wohneinheiten integriert, inklusive einem zentralen Treffpunkt über dem ehemaligen Becken. Der Eingriff war im Wesentlichen die Öffnung der Außenfassade für mehr Tageslicht und die Belüftung sowie der Einbau einer Glashülle im Gebäude. Ansonsten ist sehr viel vom Bestand erhalten geblieben. Ein anderes Beispiel ist ein Gebäude auf einem Psychiatriegelände in Belgien aus dem Jahr 1908, das seine Funktion verloren hat und abgerissen werden sollte. Die ArchitektInnen Jan de Vylder und Inge Vinck haben dieses teilweise zurückgebaut und geöffnet, so dass es keine klare Funktion mehr hat, aber als Freiraum von den PatientInnen zum Rückzug genutzt werden kann. Zudem wurde mitgedacht, dass eine anderweitige Nutzung auch in Zukunft möglich ist.

Dass die ArchitektInnen an dieser Stelle zurücktreten und die finale Formensprache den NutzerInnen überlassen, anstatt ihre eigene Handschrift verewigt sehen zu wollen, finde ich besonders. Haben Sie generell das Gefühl, dass sich der Blick der ArchitektInnen dahingehend öffnet?

Mathias Schnell: Absolut. Der Begriff der Stararchitektur hatte in den achtziger, neunziger und in den nuller Jahren Hochkonjunktur. Seit einiger Zeit merken wir, auch dank einer neuen Generation an PlanerInnen, dass es nicht mehr nur um die Einzelperson geht, sondern um kollektive Entscheidungsprozesse und den interdisziplinären Blick auf Architektur und Stadt. Das sind Gruppen, die nicht nur aus ArchitektInnen bestehen, sondern beispielsweise SoziologInnen und PolitikwissenschaftlerInnen miteinbeziehen, die verschiedene Blicke auf die gebaute Umwandlung werfen. Somit wird auch die gesellschaftliche Bedeutung von Architektur in den Fokus gesetzt. Zudem gibt es vermehrt Projekte, die sich den Potenzialen des zirkulären Bauens widmen, wie bei einem Gewerbebau vom Baubüro in situ in Winterthur, für dessen Aufstockung zu über 70 Prozent recycelte Materialien verwendet wurden – von der Fassade, zu den Fenstern bis zu den Türgriffen. Der CO2-Ausstoß konnte so im Vergleich zu einem Neubau um mehr als die Hälfte reduziert werden.

Was würden Sie sagen, ist die größte Herausforderung für ArchitektInnen, die sich aktuell mit Bauen im Bestand beschäftigen? Sind das die Regularien?

Mathias Schnell: Viele ArchitektInnen, mit denen wir gesprochen haben, berichten in der Tat von den teils absurden Hürden, die die bestehenden Regularien und Gesetze erzeugen. Beispiel: Eine Treppe, die nicht verwendet werden darf, weil sie nicht mehr der DIN-Norm entspricht, aber auch nicht ersetzt werden kann, weil sie unter Denkmalschutz steht. Die Bundesstiftung Baukultur fordert daher auch aktuell eine neue Umbauordnung ein. Zudem haben wir in der Recherche gesehen, dass der Umbau an sich oft nicht reicht. Für eine erfolgreiche Umnutzung oder Neubelebung einer Fläche muss auch die Weiterentwicklung der Umgebung miteinbezogen werden.

Was möchten Sie mit "Besser Bauen mit Bestand" an das Publikum senden?

Mathias Schnell: Das Publikum sind wir alle, denn Architektur geht alle an. Daher war es uns wichtig, die Vielfalt des Themas zu zeigen und für möglichst viele ein Angebot zu machen. Das reicht von der Präsentation der internationalen Best-Practice-Projekte über die filmischen ExpertInneninterviews bis hin zu komplexeren Fragestellungen bei den in Frankfurt situierten Projekten. Vermittlungsstationen laden ein, sich näher mit Baustoffen zu beschäftigen. Wir haben ein breites Rahmenprogramm organisiert – über Familienführungen und Bauworkshops bis zu Fahrradtouren und Diskussionsveranstaltungen mit ExpertInnen aus Praxis, Forschung und Verwaltung. Es gibt auch eine Veranstaltung namens „Besser bauen mit der Nachbarschaft“, in der es darum geht, eine Baukultur zu schaffen, in die man diese miteinbindet. Das ist das A und O: Wir müssen alle in der Vermittlung erreichen. Das ist nicht einfach und es ist wichtig, mit unterschiedlichen Vermittlungsstationen eine Balance zu finden.


Nichts Neues. Besser Bauen mit Bestand
Bis 15. Januar 2023

DAM Ostend
Henschelstr. 18
60594 Frankfurt am Main

Telefon: +49 (0)69 212-38844