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Der Reiz der Tektonik

Die erste Frage vor der eigentlichen Interviewfrage: Wie dürfen wir Bernhard Prinz nennen? Fotokünstler, Fotograf, Bildhauer, Bildermacher? Die Frage überrascht Prinz kaum: Er ist es gewohnt, dass man ihn nach der jeweils bekannten Werkserie in eine Kategorie oder einem Medium zuordnet. Unsere Autorin Katharina J. Cichosch hat ihn interviewt.
09.05.2023

Bernhard Prinz wurde 1953 in Fürth geboren, hat an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg erst Malerei studiert und dann früh angefangen zu bauen, wie er formuliert. "Ich habe mich eigentlich immer schon mit Räumen, Architektur und Möblierung als gesellschaftliche Realität auseinandergesetzt, riesige ortsspezifische Objekte geschaffen. Irgendwann fanden Teile seiner Skulpturen dann in die Fotografie: auf großformatige Porträts, die Teile dieser Skulptur in der Hand halten. Da bin ich dann plötzlich mit diesen Fotoarbeiten zu Skulpturenausstellungen eingeladen worden", erklärt Prinz und fügt hinzu: "Daher kommt also dieser Twist – dass man sich immer fragt: Was ist denn der? Was macht denn der?" Fragen, die er offenbar durchaus produktiv findet. Also eben: Bildender Künstler. Ein Bildhauer im klassischen Sinn, meint Prinz, sei er nie gewesen. "Meine Objekte sahen eher aus wie Kulissen oder Staffagen, waren Modelle im wörtlichen Sinn, sowohl in ihrer Maßstäblichkeit wie in ihrer Funktion als Ideenträger für eigene Erfahrungen und Empfindungen." Neben den inszenierten Porträts, den allegorischen Darstellungen, fotografiert er heute zunehmend Architekturen, Mahnmale und öffentliche Räume.

Katharina J. Cichosch: Herr Prinz, sehen Sie eigentlich in allem erst einmal eine potenzielle Topografie? Klopfen Sie, wenn Sie zum Beispiel einen Regenschirm entdecken, den gleich mal auf sein Potenzial zur Landschaftswerdung ab – oder gehen Sie umgekehrt vor und suchen sich die Einzelteile zusammen, aus denen Sie Ihre Bilder schaffen?

Bernhard Prinz: Ich habe immer eine bestimmte Vorstellung im Kopf, das Bild ist sozusagen fertig, bevor ich auf den Auslöser drücke. Diese Vision, oftmals erst nur eine vage Stimmung oder Ausstrahlung, die sich schwer in Worten beschreiben lässt, wird im Atelier mit den unterschiedlichsten Objekten und Requisiten nachgebaut. Dabei ist es nebensächlich, ob sich die Gegenstände bereits in meinem Fundus befinden oder ich speziell danach suchen muss. Die Arbeit ist geglückt, wenn ein Arrangement aus einem guten Dutzend Regenschirmen und einer Vielzahl wild gemusterter Kleidungsstücke eher an den Aufbau eines klassischen Landschaftsbildes erinnert als an die Dokumentation dessen, was da wirklich auf dem Boden verstreut liegt.

Diesen Wahrheitsanspruch von Fotografie, den haben Sie ja schon sehr früh für sich abgehakt. Architektur wird demgegenüber ja oft als etwas unveränderlich Objektives – wörtlich: "in Stein Gemeißeltes wahrgenommen".

Bernhard Prinz: Eine recht frühe Arbeit von mir trägt den Titel "Schöne Lüge" (lacht). Die abgebildete Wirklichkeit als solche, die stelle ich immer erst mal in Frage.

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Nun könnte man ganz unbefangen Ihre Serien über Architektur auch erst einmal für Architekturfotografien halten. Da würden Sie wahrscheinlich aber widersprechen, oder?

Bernhard Prinz: Also diejenigen, die vorrangig Architektur fotografieren, die interessieren sich hauptsächlich für den Baustil oder die Geschichte der Gebäude, verbinden damit historische Ereignisse oder gesellschaftliche Umbrüche. Mich hingegen reizt eher die Tektonik von Gebäuden. Bauart Konstruktion, Materialität und Beschaffenheit wecken meine Neugierde. Es geht mir dabei nicht um eine exakte dokumentarische Wiedergabe, sondern um die Aufzeichnung einer Atmosphäre, eines Empfindens. Durch das oftmals monumentale Format meiner Arbeiten wird der Betrachter unmittelbar mit dem Bildraum konfrontiert, er schwankt zwischen wirklichem Raum und vorgetäuschter Realität.

Wenn Sie Bauwerke fotografieren, eine Boulderwand zum Beispiel oder eine Hochhaussiedlung, dann sparen Sie den einordnenden Kontext größtenteils aus. Wenn man es nicht besser wüsste, dann könnte man diese architektonischen Strukturen und Oberflächen auch für abfotografierte Miniaturenmodelle halten. Ein einordnender Maßstab bleibt aus.

Bernhard Prinz: Genau, das ist ein gutes Beispiel: die Boulderwand. Da hatte ich am Anfang noch ein Stück vom Boden im Bild und mich gefragt, ob ich ihn drin lasse oder herausnehme. Ich habe mich fürs Rausnehmen entschieden. Der anfänglich nicht exakt ablesbare Maßstab erweckt so den Eindruck von Künstlichkeit und Unwirklichkeit. Mich interessieren die Momente, in denen die Eindeutigkeit des Abgebildeten und damit die Sicherheit kippt, wenn das Bewusstsein des Betrachters ins Schwanken gerät und die Lesbarkeit des Motivs changiert. Durch Ausschnitt, Perspektive oder Farbverschiebung widersetzen sich meine Arbeiten gesicherten Zuordnungen, ihnen ist das Umfeld, der Kontext entzogen. In den Arbeiten ist allerdings fast immer ein Detail mit abgebildet, an dem sich die wirklichen Größenverhältnisse letztendlich doch ablesen lassen, z.B. ein Beleuchtungskörper oder ein Sicherungskasten.

So sieht man es auch in Ihrer Arbeit "SKOPJE, Fragmente I–X, 2022", die im letzten Jahr als Edition erschienen ist. Was hat es damit auf sich?

Bernhard Prinz: Ich wollte immer eine Edition machen, die als Fußnote oder Zusatz funktioniert, quasi als weiterführende Erklärung zu den bekannten Werkgruppen. Als ich im letzten Jahr im Balkan hauptsächlich brutalistische Architekturen und Mahnmale fotografierte, bin ich auf das ehemalige Hauptpostamt in Skopje gestoßen, ein futuristisch anmutendes Gebäude von 1982 mit faszinierenden Details. Eigentlich wollte ich eine großformatige flächenfüllende Arbeit realisieren, bin aber an den signifikanten Elementen des Baus gescheitert. Nachdem ich mich drei Tage lang vergeblich abgemüht hatte, hab‘ ich aus der Not eine Tugend gemacht und mich auf die vermeintlich störenden Elemente konzentriert und prägnante Bestandteile in knappen Ausschnitten festgehalten. Durch den Beschnitt und die häufig ungewohnte Perspektive werden die einzelnen Bauteile nochmals stark abstrahiert und erinnern eher an Farbflächenmalerei oder kubistische Skulpturen. Auch Abnutzung und Verwitterung des Baumaterials verstärken diesen Eindruck noch.

Spielt es eine Rolle, dass ihr Publikum erkennt, um welche Bauwerke es sich handelt?

Bernhard Prinz: Nein, überhaupt nicht! Wie bei den allegorischen Porträts, die ich fotografiere, ist es mir wichtig, dass man sich erst mal die Frage stellt: Was will der, also ich der Künstler, überhaupt damit? Wie bringt er die oder denjenigen dazu, sich so zu positionieren? Und nicht vorschnell, wer ist da abgebildet und in welcher Beziehung steht die Person zum Fotografen? Ähnlich verhält es sich bei den Architekturen. Die erste Frage beim Rezipienten sollte sein: Wie kommt es überhaupt dazu, was bezweckt der Künstler damit? Wen es darüber hinaus interessiert, für den liegt bei meinen Ausstellungen immer eine Liste aus, die Gebäude, Architekten und Aufnahmeorte benennt. Diese Daten sind allerdings nie Bestandteil der Arbeit. Dass z.B. Oscar Niemeyer dieses Haus als Teil eines Messegeländes im Libanon gebaut hat, ist erst mal sekundär.

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Nun wird dieses Interview auch in englischer Fassung erscheinen. Ich frage mich, wie sich die Titel Ihrer Arbeiten eigentlich übersetzen lassen. Wie handhaben Sie das bei Ausstellungen im Ausland? Sind da zusätzliche Erklärungen nötig?

Bernhard Prinz: Das ist tatsächlich nicht ganz einfach. Meine wie Köder ausgelegten Titel erinnern oft an flapsig formulierte Werbeslogan, Maximen aus der Geschäftswelt, einfache Handelsbezeichnungen oder auch christliche Mahnsprüche. Dabei ist der Klang oder das Lautmalerische oft wichtiger als die eigentliche Bedeutung. Für eine frühe Arbeit habe ich einen Ausspruch Malapartes über seine Villa auf Capri genutzt: triste, dura, severa. Man muss nicht unbedingt Italienisch verstehen, das Timbre allein umschreibt das Bild. Für Zwei Eier im Glas, einen Diptychon mit einem weißen und einem braunen Ei, den ich erstmals in der Serpentine Gallery in London gezeigt habe, war keine schlüssige Übersetzung zu finden. Es gibt im Englischen kein Idiom, das den Bildwitz der Arbeit aufgreifen würde. Im Grunde nutze ich im Ausland immer meine deutschen, oft in Versallienschrift gesetzten Titel, die landessprachliche Übersetzung kommt dann kleingedruckt dazu.

Im Kunstforum International schrieb Susanne Boecker einmal: "Bernhard Prinz nimmt Oberflächen wahr, ohne je auch nur den Versuch zu machen, "hinter die Fassade" zu schauen." Damals ging es um Ihre Porträtarbeiten. Kann man das auch für Ihren Umgang mit Architekturen stehen lassen?

Bernhard Prinz: Oh, das ist aber wirklich schon sehr lange her. Damals habe ich auch ganz provokativ behauptet, dass Personen, die ich ablichte, für mich nur eine Art von Knetmasse darstellen, aus der ich dann meine Denkinhalte forme. Wie bereits erwähnt interessieren mich bei meinen Architekturaufnahmen weniger die Geschichte der Bauwerke, noch gesellschaftliche Veränderungen, die dabei immer mit einhergehen. Sich ständig wiederholende Gesetzmäßigkeiten, Raster und Rapporte sowie offengelegte bauliche Konstruktionen verdichten sich stattdessen zu meinen Bildinhalten. Oft sind das dann auch Gebäude, die sich in einer Art Zwischenstadium befinden, entweder noch nicht fertiggestellt oder schon wieder dem Verfall anheimgegeben, sie vagabundieren zwischen Richtfest und Ruine.

Dieses Mäandern funktioniert bei Bauwerken, die noch nicht zu stark im Bildkanon definiert stehen oder historisch zu stark belastet sind. Reizt es Sie trotzdem manchmal, diese unsichtbare Grenze zu überschreiten? Und wie gehen Sie Ihre Motivsuche an – wissen Sie vorab, welche Architekturen für die künstlerische Arbeit in Frage kommen?

Bernhard Prinz: Ich bin gerade zweieinhalb Wochen in Italien gewesen und hab mich mit rationaler Architektur auseinandergesetzt. Eine gewisse Begeisterung für diesen oftmals von Mussolini vorangetriebenen Baustil lässt sich nicht verheimlichen. Ich komme aus Nürnberg, bin quasi neben dem Reichsparteitagsgelände aufgewachsen und habe mich schon immer mit strengen, klaren Gebäudetypen beschäftigt. Leider sind diese Bauwerke meistens zu bekannt, zu monströs und mit einer Portion politischer Ideologie aufgeladen, als dass ich sie für meine künstlerische Arbeit verwenden könnte. Es gibt eine Reihe früherer Arbeiten wie z.B. Idee – Ideal - Ideologie, die untersuchen, wie wir mit den Inhalten der Formen umgehen und ob man diese Formhülsen auch recyceln kann wie leere Milchflaschen. Aber meistens ist die Architektursprache nur sehr schwer von ihren ideologischen Inhalten zu trennen, als dass ich sie für meine Bildvorstellung nutzen könnte. Nein, das ist mir dann einfach zu konkret.

Edition
Bernhard Prinz
SKOPJE, Fragmente I – X, 2022

10 Inkjet Prints in Mappe
Blattformat je 40 x 50 cm
Auflage 12 + 3 AP