Winterharte Häuser 12
Fertig unfertig
Die kleine Ortschaft Merlischachen liegt auf halber Strecke zwischen Luzern und Küsnacht am Ufer des Vierwaldstättersees. Nach Südosten blickt man von hier über das Wasser in die Morgensonne und auf die meist schneebedeckten Hänge der Urner Alpen. Schöner wird selbst die Schweiz nur selten. Kein Wunder, dass Merlischachen schon seit vielen Jahren ein äußerst beliebter Wohnort mit entsprechenden Immobilienpreisen ist. Auch die neuen Besitzer dieses alten Bauernhofs mussten lange suchen, bevor sie mit Glück und Geschick das 15.000 Quadratmeter große Grundstück am Rande von Merlischachen fanden.
Schroffe Berge, robuste Häuser
Für den Umbau engagierten sie die Architekten Gabriele Hächler und Andreas Fuhrimann, die für ihre radikalen und oft auch skulpturalen Bauten bekannt sind. Der Hof in Merlischachen bestand aus Wohnhaus, Scheune und Schuppen, ein Sammelsurium eher pragmatischer Landwirtschaftsbauten, die stets mit dem gebaut und umgebaut worden waren, was die direkte Umgebung hergab. Die Architekten schauten sich die Gebäude an, dann die Landschaft, und entschieden sich, sowohl die kräftigen, robusten Bautypologien der umliegenden Höfe und Häuser als auch die schroffen Bergspitzen in der Ferne als Referenzpunkt für ihre Arbeit zu nutzen.
Das bestehende Wohnhaus stammte aus den 1980er-Jahren und die Architekten fanden, es sei von „zweifelhafter architektonischer Qualität“. Es wurde abgerissen, nun bildet das neue Haus mit dem schlichten Schuppen gegenüber und dem Kräutergarten den neuen Eingang zum Grundstück. Ein von Bäumen gesäumter Weg führt zur etwas weiter entfernten Scheune, die von den Architekten mit wenigen Eingriffen „zeitgemäss“ instand gesetzt wurde.
Hohe, karge Räume
Die Häuser der Umgebung sind häufig so genannte Riegelbauten, das ist so eine Art schlichte Variante eines Fachwerkhauses. „Die grafische Qualität der von den Riegeln gebildeten Muster hat uns schon lange fasziniert“, so die Architekten, also wollten sie diese Qualität auch für ihren Neubau nutzen, allerdings sollte es auch keine nostalgisch romantische Kopie der alten Typologie werden. Rau, robust und pragmatisch wie die alten, vielfach überformten Gebäude, so sollte auch der Neubau sein. Das ist gelungen. Obwohl er mit seinen vier Geschossen und immerhin 280 Quadratmetern Wohnfläche deutlich größer ist als viele andere Wohnhäuser in der Gegend, fügt er sich dennoch in diese schroffe und unprätentiöse Landschaft ein. Man läuft um das Haus und wundert sich, ob das wirklich ein Neubau ist - oder ob den seltsamen Formen nicht doch ein Umbau zugrunde liegen muss. Seine Form und Materialität verbinden ihn deutlich mit dem Ort und geben ihm gleichzeitig eine starke Autonomie.
Auch in den Innenräumen findet sich diese Dualität. Einerseits setzt die Architektur auch hier auf ein rohes und unfertiges Erscheinungsbild aus rauem Beton und sichtbaren Sperrholzplatten. Die daraus entstehende etwas schrullige Robustheit der Räume wird wohl erst mit den Jahren und durch die Wohnspuren der Bewohner behaglicher werden. Andererseits wird auf keinen Luxus verzichtet, das Haus hat betont große, helle Räume, die viele Nutzungsoptionen zulassen, einen großen Kronleuchter und einen Aufzug. „Das Ziel war“, so die Architekten noch einmal, „eine Sprache zu entwickeln, die sich aus der traditionellen Architektur nährt, jedoch sofort als zeitgenössische Architektur erkennbar und nicht konservativ romantisierend ist. Das Changieren zwischen Einfachheit, bäurischer Direktheit, zeitgemäßem Komfort und architektonischer Raffinesse verleiht dem Wohnhaus einen ganz spezifischen Charakter.“ Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, aber diese eigenen Vorgaben haben die Architekten offensichtlich voll erfüllen können: Ein Haus wie ein Berg, wenn auch ein besonders komfortabler.