Leben, bei der Documenta 13 in Kassel steht die Auseinandersetzung mit dem Leben, das Verhältnis vom Menschen zum Objekt, die Relation von Raum und Zeit und damit auch der Ort im Fokus der Betrachtungen. Dass so auch Politik und gesellschaftliche Konstruktionen ins Spiel gebracht werden, verwundert nicht, denn Orte liefern immer auch zeitliche Bezüge, die schließlich selbst, meist mittelbar, auf politische Dimensionen verweisen. Und dann, so fordert es Carolyn Christov-Bakargiev, künstlerische Leiterin der Documenta, sei bitte schön auch die Perspektive von anderen Lebewesen, Hunden zum Beispiel oder Bienen, mitzudenken. Ob das Ergebnis Kunst ist oder auch nicht, verliert an Bedeutung, da alles was getan wird, „von der Kunst zumindest aufgenommen werden könne“. Nun denn. Auch wenn in Kassel nicht alle Werke auf gleichem Niveau spielen, das Murren und Munkeln im Vorfeld der größten Kunstausstellung der Welt ob einer vermuteten Konzeptlosigkeit scheint nach einer ersten Sichtung rasch vergessen. Die Vielzahl der beteiligten Künstler ist überwältigend, die Bandbreite der Arbeiten verstörend und erfrischend zugleich.
Zum Beispiel in der Friedrichstraße. In das dortige alte Hugenottenhaus ist durch das Projekt des Chicagoer Künstlers Theaster Gates endlich wieder Leben eingezogen. Mit Arbeitern aus Kassel und Chicago gemeinsam wurde das seit den 1970er Jahren leer stehende Gebäude wieder nutzbar gemacht. Ein Projekt sozial und praktisch, verschränkt in Ort und Zeit. Gleich nebenan hat Tino Sehgal einen ursprünglich von Arnold Bode gestalteten Saal des Grand City Hotel Hessenland in tiefste Dunkelheit getaucht, die Angst macht beim Betreten und erst wieder weicht, wenn unsichtbare, aber deutliche hörbare Helfer einen unsicheren Weg durch die Finsternis gewiesen haben. Die erduldete Subtraktion einer Wahrnehmungsebene, die den Besucher direkt zur Klärung von Relationen und Abhängigkeiten führt.
Leicht konsumierbar ist die Documenta 13 also nicht. Der Rundgang durch Fridericianum, Documenta-Halle, Kulturbahnhof und die anderen Ausstellungsorte offenbart das tiefe Eintauchen von Carolyn Christov-Bakargiev und ihres Teams in die Komplexität von politischen, gesellschaftlichen, historischen und naturwissenschaftlichen Zusammenhänge, die oftmals auch eine Verbindung zu lokalen Ereignissen oder Orten ziehen, die wiederum direkt oder über die ausgestellten Arbeiten mit anderen Ausstellungsorten in der Welt, in Kabul, Alexandria oder Alberta in Kanada verbunden sind. Dass inhaltliche Tiefe dennoch – wenn auch nicht zwingend – mit leichter Inszenierung einhergehen kann, beweisen die Arbeiten in der Karlsaue. Um sich die Werke im weitläufigen Park zu erschließen, muss der Besucher sich im wahrsten Sinne des Wortes auf den Weg machen. Weit verstreut, manchmal versteckt warten die Arbeiten auf die Entdeckung. Auch dort verschränken sich Raum und Zeit für den Besucher zu einer ganz praktischen Dimension.
Documenta 13
Von 9. Juni bis 16. September 2012
Kassel
d13.documenta.de