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Behaglichkeit für alle
von Uta Abendroth
16.02.2016

Den Begriff „Cocooning“ mag so recht niemand mehr hören. Auch wenn das Einrichten der eigenen vier Wände heute weniger der großen Inszenierung dient, sondern zumeist den individuellen Vorstellungen von Behaglichkeit folgt. Diese Erfahrung hatte auch der Architekt Josef Frank, der 1933 von Wien nach Stockholm emigrierte und dort Chefdesigner von Svenskt Tenn wurde, gemacht. Er vertrat die Ansicht, dass wir unsere Umgebung so gestalten sollten, als ob sie durch Zufall entstanden sei und prägte den Satz: „Man kann alles verwenden, was man verwenden kann.“ Seine Vorstellung von Design fasste er unter „Schönheit für alle“ zusammen. Schönes für jedermann boten in diesem Jahr auch wieder die Hersteller auf der Stockholm Furniture and Light Fair und präsentierten Holz noch immer als ihren beliebtesten Werkstoff, zeigten – mitunter sehr bunte – Textilien und Leuchten, die kurze Tage gemütlicher und heller erscheinen lassen – und das alles überwiegend in einer hochwertigen Formensprache und Ausführung.

Die Verwendung von natürlichen Materialien ist ja derzeit auch angesagt und führt dazu, dass das skandinavische Design auf einer Erfolgswelle schwimmt und ein ähnliches Hoch wie vor rund 50 Jahren erlebt. Es ist in diesem Zusammenhang auch wenig verwunderlich, dass Entwürfe von damals, die noch in den Schubladen schlummerten, hervorgeholt und wiederbelebt werden. Die so gewürdigten Klassiker von gestern werden mit unseren aktuellen Lebensgewohnheiten in Einklang gebracht.

Neues aus dem Archiv

Ein gutes Beispiel dafür sind die Möbel Hans J. Wegners, die von Carl Hansen & Son produziert werden. Der einflussreiche dänische Architekt und Designer besaß die Fähigkeit, die Konstruktion von Holzmöbeln extrem zu vereinfachen und einzigartige Verbindungen zu schaffen. In Stockholm wurde nun die Neuauflage einer frühen Arbeit von ihm präsentiert: Der 1950 entworfene Sessel „CH22“ mit seiner markanten Rückenlehne, dem hellen Holz und der geflochtenen Sitzfläche. Die Verbindungen zwischen der Lehne aus gebogenem Schichtholz und dem Gestell sind mit länglich-ovalen Abdeckelementen versehen – ein charakteristisches Merkmal, das sich auch bei dem Stuhl „CH26“ wiederfindet. Dieser Stuhl, ebenfalls 1950 entworfen, ging nie in Produktion. In der jetzt vorgestellten Version ist das Design und die Detailausbildung gleich geblieben, allein die Sitzfläche des Stuhls wurde um zwei Zentimeter erhöht, weil der Durchschnittsmensch einfach größer geworden ist. Sein Produkt-Portfolio erweitert Carl Hansen & Son mit Teppichen von Naja Utzon Popov. „Woodlines“ ist der Name der Kollektion, bei der die dänische Designerin und Künstlerin Motive entwickelte, die abstrahierte Holzmaserungen darstellen. Mehr skandinavische Rhetorik ist fast nicht mehr möglich.

Den 60. Geburtstag von Yngve Ekströms Sessel „Lamino“ feiert Swedese mit einer Sonderedition, die zwei Ausführungen des Sessels umfasst: Eine mit schwarz lasiertem Eschenholz und schwarzem Leder und die andere aus geöltem Eichenholz mit pflanzlich gegerbtem Leder, bei dem die Rückenlehne von einem Blattaufdruck verziert wird. Soweit, so klassisch. Die neue Kreativ-Direktorin von Swedese – Monica Förster – aber setzt insgesamt auf farbenfrohes und jüngeres Design: So hat Roger Persson mit „Botanic“ und „Konnekt“ zwei Hockerelemente kreiert, die sich im Wohnzimmer genau so gut machen wie in Hotel-Lobbys oder in Büros. Die gewählten Farben der Bezüge – verschiedene Grün- und Blautöne sowie Gelb – wirken sowohl ausgleichend wie auch elegant und tragen zum Wohlfühl-Faktor bei.

Ein geflochtener Korb diente den Designern Jesper Ståhl und Karl Malmvall als Vorlage für die Sitzschale ihres „Wick Chairs“, entworfen für Design House Stockholm. Der Stuhl, der für das handwerkliche Erbe des skandinavischen Designs ebenso stehen will wie für dessen Avantgarde, ist in Esche und Eiche erhältlich. Für den Unterbau stehen Holz- oder Stahlbeine sowie ein Drehfuß zur Wahl.

Verquickung von Zuhause und Büro

Die Produkte der jüngeren Labels des skandinavischen Designs – Muuto, Hay und Normann Copenhagen eignen sich für das Zuhause wie auch fürs Büro. Beispielsweise „Nic Nac“ von Nicholai Wiig Hansen für Normann Copenhagen: In den Körbchen aus pulverbeschichtetem Stahl lassen sich Büroutensilien ebenso gut aufbewahren wie Beautyprodukte oder Küchenhelfer.

Stefan Diez’ System „New Order“ dominierte den Stand von Hay und machte noch einmal deutlich, dass ein Büro so wenig wie möglich nach Büro aussehen soll. Nicht etwa, weil ein klassisches Büro per se unattraktiv ist, sondern sondern weil jeder Mensch unterm Strich mehr Zeit im Büro als zu Hause verbringt und sich deswegen am Ort der Arbeit einfach pudelwohl fühlen soll. Line Deppings und Jakob Jørgensens Tisch „Frame“ für Wrong for Hay ist nun dank einer Einlegeplatte erweiterbar und ist nun auch mit einer robusten Linoleumoberfläche erhältlich. Dem „Home-Office“ am Esstisch steht also nichts mehr im Wege.

Internationales Skandinavisches Design

Dass skandinavisches Design aber längst nicht mehr nur von skandinavischen Gestaltern gestaltet wird, zeigte sich in diesem Jahr auf der Messe deutlich. International bekannte Namen fehlten nicht: Inga Sempé für Wästberg, die Bouroullec-Brüder für Hay und Doshi Levien für Bolon waren auf der Stockholmer Möbelmesse vertreten. Jasper Morrison stellte bei Fredericia gleich drei Produkte vor: Den schlichten rechteckigen Eichentisch „Taro“, den in verschiedenen Größen erhältlichen Beistelltisch „Pon“ sowie das an eine großzügige Polsterbank erinnernde Sofa „Kile“. Die jungen deutschen Designer Kaschkasch sind mit einem weiteren Produkt bei Karl Andersson & Söner präsent, dem Regalsystem „Cavetto“. Die Kanten der Regale sind so geformt, dass Rücken- und Seitenwände ohne zusätzliche Beschläge eingesetzt werden können. Das hölzerne „Cavetto“ kann frei im Raum oder an der Wand stehen und wirkt modern, edel aber auch zeitlos.

Eine Brücke zwischen Gestern und Heute schlagen auch die Norweger Anderssen & Voll. Ihr Sofa „Hector“ für Erik Jørgensen lädt mit weichen Polstern zum Entspannen ein. Gleichzeitig aber wirkt die hohe Rückenlehne eher streng. Die Couch fügt sich ein in die skandinavische Wohnästhetik, wo es nicht um das größte Spektakel geht, sondern um praktische Lösungen und um den richtigen Maßstab – eben Möbel für „normale“ Wohnungen mit ebenso normalen Grundrissen, die man aber mit den angebotenen Objekten ohne Abstriche beim Design einrichten kann.

Die Software fürs Heim

Zur Einrichtung gehören in den skandinavischen Ländern Leuchten mit einem ganz eigenen Selbstverständnis dazu. Ein Klassiker, dessen Möglichkeiten offenbar noch lange nicht ausgeschöpft sind, ist „Caravaggio“. Die Leuchte von Cecilie Manz präsentierte Lightyears in Stockholm nun als „Caravaggio Read“: Eine Serie aus zwölf Tisch-, Steh- und Wandleuchten, die funktionales und gerichtetes Licht liefern. Louis Poulsen stellte „Patera“ von Øivind Slaatto vor – eine kugelförmige Pendelleuchte, deren Look zwischen modernem Kronleuchter und dezentem Ballon schwankt. Bei so viel Poesie wirkt „w164 Alto“ von Wästberg fast brutal schlicht: Dirk Winkel gestaltete den neuen Deckenfluter aus zwei unterschiedlich dicken wie hohen Stahlrohren. Die ausgeklügelte LED-Technik ermöglicht eine gleichmäßige Lichtverteilung von fast 180 Grad und die obere Platte des kürzeren wie dickeren Rohres fungiert als Dimmrad mit integriertem Schalter.

Die Leuchte überzeugte auch die Jury des „Editors Choice Awards“ der Stockholmer Messe, die „w164 Alto“ zum „Best Product“ der Messe erklärte. Bei dem erstmalig vergebenen Preis wählten drei Chefredakteure – Adeline Seidel von Stylepark, Walter Bettens von DAMn Magazine und Marcus Fairs von Dezeen – neben dem besten Produkt auch den besten Messestand (Kategorie „Best Stand“) und den vielversprechendsten Jungdesigner (Kategorie „Rising Star“). Der Messestand von Designer Pietro Ferruccio Laviani für Foscarini gewann die Auszeichnung für den „Best Stand“ und Cecilia Xinyu Zhang und Sigrid Hägg von Studio BEY wurden zum „Rising Star“ ernannt.

Last but not least: Das Faible der Skandinavier für textile Accessoires zeigte sich auf der Messe in Stockholm nicht nur bei Sesseln und Sofas oder den zahlreichen Akustikpaneelen für Decke, Wand und Tisch, sondern auch in einer schier unüberschaubaren Vielfalt von Teppichen, Plaids und Kissen. Schließlich bringt diese „Software“ Wohnlichkeit ins Heim. Herausgehoben sei an dieser Stelle das Kissen „Knot“ von Ragnheiður Ösp Sigurðardóttir – das wohl das meistberührte Objekt der Messe. Der Handschmeichler steht dafür, dass Berühren und Wohlfühlen, Tastsinn und Erdung miteinander verquickt sind. Wo man wieder beim Thema ist: Sinnlichkeit und Behaglichkeit beim Wohnen. Die Skandinavier wissen längst, wie es geht.