Kennen Sie Lauenförde? Wenn nicht, dann ist es höchste Zeit, dies nachzuholen. Hier sitzt mit der Firma Tecta einer der wichtigsten Sachwalter des Bauhaus-Erbes, hier werden in aufwendiger Handarbeit Re-Editionen einiger der großen Bauhaus-Entwürfe von Walter Gropius, Marcel Breuer und Ludwig Mies von der Rohe hergestellt, hier haben die legendären Architekten Alison und Peter Smithson einige ihrer ganz wenigen Gebäude errichtet, hier geht der Avantgardismus der frühen Zwanzigerjahre eine spannungsreiche Liaison mit dem Jetzt und Heute ein.
Es ist eine deutsch-deutsche Geschichte. Als Axel Bruchhäuser 1972 aus der damaligen DDR floh, war das dortige Familienunternehmen - einer der wichtigsten Möbelhersteller in der DDR - liquidiert worden. Noch im selben Jahr übernahmen Axel Bruchhäuser und sein Bruder Werner die Firma Tecta in Lauenförde vom Architekten Hans Könecke. Bruchhäuser machte sich schnell auf die Suche nach den Meistern des Funktionalismus, besuchte Mart Stam in der Schweiz und Marcel Breuer in New York und spürte die Familie El Lissitzkys in Russland auf. Er erwarb erste Lizenzen für die Neuauflagen der Arbeiten und legte so den Grundstein für seine Rolle als Sachwalter und Testamentsverwalter vieler Klassiker der Moderne. Zahlreiche Entwürfe wie die Glasvitrine von Breuer und der Sessel „F51" von Walter Gropius wurden von Tecta erstmals maschinell hergestellt und sind noch heute unverzichtbarer Teil des Tecta-Programms mit einem beträchtlichen Anteil am Umsatz. Aus den spannenden ersten Jahren Bruchhäusers bei Tecta erzählen eine Vielzahl von Sammlerstücken, Zeichnungen, Briefen, Prototypen und alten Preislisten, die an allen Wänden des Produktions- und Verwaltungsgebäudes aufgehängt sind. Axel Bruchhäuser kann zu jedem Stück eine persönliche Geschichte erzählen.
Doch blieb Tecta beim Bauhaus nicht stehen, sondern öffnete sich aktiv zeitgenössischen Strömungen und suchte die Zusammenarbeit mit Künstlern und Architekten wie Stefan Wewerka, Jean Prouvé, Alison und Peter Smithson, Sergius Ruegenberg oder Al Hansen, immer auf der Suche nach einer zeitgemäßen Interpretation der Bauhaus-Grundsätze.
Entwürfe wurden neu interpretiert und überarbeitet, in Kooperation mit Stefan Wewerka entstand der sogenannte Einschwinger, gebogen aus einem einzigen Stahlrohr, eine geradezu radikale Reduktion des Kragstuhls.
Eine besonders enge Verbindung verband Bruchhäuser mit dem Architektenpaar Alison und Peter Smithson. Die Smithsons sind als führende Architekturtheoretiker und Erneuerer im Bereich des Siedlungs- und Städtebaus bekannt geworden, ohne jedoch ein umfassendes bauliches Werk realisiert haben zu können. Nach dem Economist Building in London und dem letztlich gescheiterten Wohnkomplex Robin Hood Gardens (ebenfalls in London) konnten sie erst wieder ab dem Jahr 1993 baulich tätig werden. In enger Zusammenarbeit mit Axel Bruchhäuser entstand dessen Wohnhaus, das „Hexenhaus" in Bad Karlshofen sowie das mehrteilige Kragstuhlmuseum auf dem Gelände von Tecta in Lauenförde. Zahlreiche Anbauten an das Werksgebäude und im Park platzierte Skulpturen und Interventionen entstanden ebenfalls nach den Plänen der Smithsons. Mit den Smithsons entstand eine Art der Zusammenarbeit zwischen Bauherrn und Architekten, die es heute kaum noch gibt. Bei den zahlreichen Besuchen der Architekten bei Tecta wurde diskutiert, gestritten, um jedes Detail gerungen. Es ging dabei nie primär um Geld, sondern um das gemeinsame Ziel, etwas Visionäres zu verwirklichen. Zuhören und Zulassen können, nur in diesem Geiste konnte der Kosmos Tecta tatsächliche Gestalt annehmen. Oft kam es vor, dass Alison Smithson durch die Produktionshallen lief und überall Verbesserungsvorschläge und Ideen einbrachte. Einige Entwürfe wurden dann sogar nach ihren Plänen geändert. Eine anstrengende, aber letztendlich wunderbare und gewinnbringende Zusammenarbeit, wie es Axel Bruchhäuser heute erklärt.
Das Kragstuhlmuseum präsentiert auf inzwischen 6.000 Quadratmeter (die Fertigstellung des letzten Bauabschnitts erlebte Peter Smithson nicht mehr) einige eindrucksvolle Sammlungen: Von der Kragstuhlsammlung, die die Geschichte des „hinterbeinlosen" Stuhls von der starren Kragkonstruktion bis zum federnden Freischwinger dokumentiert, über das Jean Prouvé Archiv mit über hundert Originalen des französischen Meisters und die Sammlung „Urmodelle der Moderne" mit Stuhl-Originalen von Schinkel bis Wewerka, bis hin zum Alison und Peter Smithson-Archiv und Wewerka-Studio.
So gerät der Besuch in Lauenförde zu einem Parforceritt durch die klassische Moderne und Nachkriegsgeschichte, zu einer lebendigen Auseinandersetzung mit Gestaltung, Kunst und Architektur und zu einem Gesamterlebnis, das in unserer schnelllebigen Zeit einen inspirierenden und wohltuenden Kontrapunkt setzt.
Zum Ausklang des Bauhaus-Jahres 2009 zeigt das Kragstuhlmuseum/Tecta-Archiv Lauenförde die Installation „Gropius spaziert". Die Künstlerin Katharina Hohmann hat das berühmte Direktorenzimmer des Bauhaus-Gründers Walter Gropius noch einmal nachgebaut. Noch bis zum 5. April 2010 ist die Arbeit in Lauenförde zu sehen.