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Vom Bauhaus lernen: Die Ausstellungsreihe "Useful Objects Under 10$" des Museum of Modern Art versuchte ab 1938 die Amerikaner an qualitätsvolles Industriedesign heranzuführen.

Was geschah wirklich in Amerika?

Philip Johnson und MoMA-Gründungsdirektor Alfred Barr jr. gelten als Propheten des Bauhauses in den Vereinigten Staaten. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld geht auf Spurensuche.
von Jochen Stöckmann | 27.06.2017

Ob sie wirklich gleichberechtigte "Partners in Design" waren – Alfred Barr jr. und Philip Johnson? Ende der zwanziger Jahre hatte Barr längst seinen festen Platz, seine Lebensaufgabe gefunden als Gründungsdirektor des New Yorker Museum of Modern Art. Johnson dilettierte zur gleichen Zeit als Philosoph in der Nachfolge Nietzsches, mit dem Architekturstudium sollte der sprunghafte Geist erst 1940 beginnen. Aber womöglich prädestinierte genau diese ungleiche, spannungsreiche Paarung das Duo für jene einflussreiche Rolle als "Pioniere des Bauhauses in den USA", die in der Ausstellung der Bielefelder Kunsthalle nicht nur stur behauptet, sondern bisweilen pittoresk ausgemalt wird. Etwa mit Schwarzweißfotos neben den jeweiligen Objekten. So gesellt sich zum Schach-Tisch des Bauhäuslers Heinz Nösselt (1924) ein Fotodokument des Jahres 1945: Alfred Barr in der Galerie Julien Levy beim "Schach-Turnier", das von Marcel Duchamp durch Vorlesen der jeweiligen Spielzüge zum Happening umfunktioniert wird.

Zweimal "Schach", gewiß. Doch der Zusammenhang mit dem Bauhaus wird durch das bloße Fotomotiv nicht beglaubigt. Vor allem aber: von Johnson keine Spur. Der hatte sich auch nicht blicken lassen, als Barr 1928 im Newark Museum Inexpensive Articles of Good Design besuchte, eine Ausstellung, die musterhaft jene vom Bauhaus propagierte Verschmelzung der Architektur mit bildenden und angewandten Künsten vor Augen führte. Das nahm Barr sich zum Vorbild und verschaffte dem MoMA mit "Modern Architecture" (1932) und "Machine Art" (1934) von Beginn an großen Einfluss. Er wies seinem Museum die Aufgabe zu, "Verständnis zu fördern für das, was es für die lebendigste, in unserer Zeit produzierte Kunst hält". Dabei assistierte Philip Johnson –  als Leiter der Architekturabteilung.

Prüfstein für diese Zusammenarbeit ist die gemeinsame Europatour zum Ausgang der "roaring twenties". 1927 machten sich Barr und Johnson auf die Suche nach herausragenden Architekten, nicht zuletzt für ihre Ausstellung zum Bauen in der Moderne. Die Wahl fiel unter anderen auf Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe. Die Museumsschau mit den jüngsten Arbeiten und Entwürfe dieser zwei Bauhaus-Direktoren wurde 1932 von Johnsons epochemachendem Buch "The International Style" begleitet. Im Zusammenhang mit eher theoretischen Erwägungen schauten die beiden "Partner" nach neuen Präsentationsformen. Denn zumindest Barr hatte bei der Grand Tour ein festes Ziel vor Augen – die Aufgaben eines Museums grundlegend neu zu bestimmen.

Heim-Installation: Die Bielefelder Ausstellung rekonstruiert die Einrichtung der Apartments von Philip Johnson und Alfred Barr.

Erlebnisse und Erfahrungen der Bildungsreise zu illustrieren fällt den Bielefelder Kuratoren sichtlich schwer. Formelhafte Wandtexte wechseln ab mit Erinnerungsfotos oder Ansichten von mittlerweile legendären Ausstellungsprojekten um 1930. Als prägend wird der gemeinsame Gang durch das frisch eingerichtete "Kabinett der Abstrakten" im Provinzialmuseum in Hannover herausgestellt. Zum Foto dieses kürzlich restaurierten Kunstraums von El Lissitzky erscheint in Bielefeld eine Schrift an der Wand: Johnsons Prämisse, dass ein modernes Museum "der Installation ebenso viel Bedeutung einräumen muss wie der Ausstellung selbst".

Auf solchen Thesen beruhte "Modern architecture: International Exhibition" des MoMA. Bereits in einer Werbebroschüre für potentielle Sponsoren kündigt Johnson einen neuen Typus von Architekturausstellung an, mit Stahlrohrmöbeln und "Fotografiegestellen" aus Glas und Metall, dazu eigens für das Museum angefertigte Modelle und großformatige Fotos, ohne Rahmen direkt auf die Präsentationswände ganzflächig aufgezogen. Vorzugsweise gestaltet von Mies van der Rohe persönlich. Am Ende blieb es bei konventionellen Podesten mit Hussen. Und die musste Johnson selbst herstellen lassen und aufbauen. Kein gewaltiger, aber ein entscheidender Unterschied. Der jedoch – und das ist die Crux auch dieser designgeschichtlichen Ausstellung – in historischen Fotos nicht recht greifbar wird.

Zwei Beispiele für Produktgestaltung am Bauhaus und in dessen Umfeld, wie sie Johnson und Barr als Vorbildlich ansahen: Tischleuchte "Type K" von Christian Dell
Bauhaus-Leuchte von Wilhelm Wagenfeld und Carl Jakob Jucker

Aus dieser Not versucht die vom Montreal Museum of Fine Arts übernommene Ausstellung eine Tugend zu machen – mit der "Entdeckung" der Privatwohnungen von Barr und Johnson. Tür an Tür im selben Apartmentblock haben beide ihre Wohnungen modern ausstatten lassen, ein dreidimensionales Bauhaus-Manifest. Mit kargem Budget konnte Familienvater Barr allerdings nur auf preiswerte Nachbauten hoffen. Es war die Zeit, als die in Bielefeld nicht gewürdigten Pioniere – etwa Hans Knoll – gerade einmal anfingen, Avantgarde-Entwürfe zu sammeln um die industrielle Fertigung dieser Unikate aufzubauen. Derweil schöpfte der Junggeselle Johnson aus dem Vollen. Er ließ Bauhaus-Originale in die USA verschiffen und holte den Direktor gleich dazu, als Innenarchitekt: "Mies macht sich so viele Gedanken über das Arrangement der Stühle in einem Raum wie andere Architekten dies hinsichtlich der Wirkung von Gebäuden auf einem Platz tun."
Das hört sich im Wortsinne „spacig“ an, ist aber leider nur ganz konventionell arrangiert: Hinter Absperrkordeln stehen pedantisch aufgereiht sämtliche Möbel, vom Barcelona Chair über den Donald Deskey-Tisch bis hin zu Marcel Breuers B22-Etagere. Von Flair und Raumgefühl der Bauhaus-Wohnungen keine Spur. Da war Johnson mit seinen Museums-"Installationen" der Zeit sehr viel weiter voraus. Diese Ausstellungsarchitektur erwies sich zudem als so stabil, dass das MoMA auf Reisen gehen konnte, quer durch die USA, mit Präsentationen in Colleges oder Warenhäusern. Die Schau "Useful Objects of American Design under 10 $" stieß 1939/40 auf großes Publikumsinteresse – und wurde zur Mustermesse für sparsame, funktionale Gestaltung des Alltags. Daran orientierte sich noch nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 das Walker Art Center Minneapolis mit der "Everyday Art Gallery" und 1949 das Detroit Institute of Art mit "An Exhibition for Modern Living". 

Warenpräsentation im Scheinwerferlicht: Kunstvoll inszeniert die Bielefelder Ausstellung Alltagsgegenstände und Maschinenteile.

Den Anfang aber hatte Johnson gemacht mit der Schau "Objects: 1900 and Today". Dabei ging es um Industriedesign, das nun den Prinzipien der modernen Architektur folgen sollte: "maschinenartige Einfachheit, glatte Oberflächen, Verzicht auf Ornamente." Angeregt durch die Europatour, von einem Trend, den der amerikanische Kulturtourist 1930 bei der Werkbund-Schau in Paris aufgeschnappt hatte. Dort war, so berichtet Johnson, "das deutsche Industriedesign dem Rest der Welt weit voraus. Programmatisch schlüssig, brillant installiert ragt es wie eine Insel der Integrität aus modernistischer Willkür heraus." Die Formulierung "modernistische Willkür" lässt allerdings Distanz erkennen. Dann kommt das Jahr 1933, Johnson veröffentlicht seine Einschätzung über "Architecture in the Third Reich". Der Text wird in Bielefeld glatt unterschlagen. Auch Johnsons Sympathien für die Nazis kommen nicht zur Sprache. Stattdessen heißt es nur lapidar, in Sachen Design-Ausstellungen sei es "im MoMA zu einer längeren Verzögerung gekommen, da Johnson das Museum im Dezember 1934 verließ, um seinen radikalen politischen Neigungen nachzugehen". Diese zeitweilige Trennung war kaum verwunderlich, sah sich doch Direktor Barr mit Sätzen konfrontiert wie: "First Die Neue Sachlichkeit is over. Houses that look like hospitals and factories are taboo. ... Second, architecture will be monumental."

Nicht nur diesen ästhetischen Maximen der Nazis gegenüber zeigte Johnson sich aufgeschlossen. Als er um finanzielle Unterstützung seiner Ausstellung mit Bauhaus-Architekten werben musste, konfrontiert Johnson seinen Partner Barr mit der Frage: "Die Gönner von Mies sind Juden, wollen wir die wirklich?" So berichtet es Franz Schulze in seiner Johnson-Biographie – und relativiert diesen Antisemitismus als Ansichten "eines ganz durchschnittlichen amerikanischen Snobs des oberen Mittelstands". 

Der Ausstellungskatalog ist bei Arnoldsche Art Publishers erschienen.
Der Katalog zeigt eine Vielzahl historischer Aufnahmen - hier Alfred Barr, Philip Johnson und Margaret Scolari Barr in Cortina, 1932.

Tatsächlich trägt Johnson Eleganz und Exklusivität auf Fotos arrogant zur Schau. Derart auffällig, dass sich die Frage stellt, stellen sollte, wie ein derartiger Geck als "Bauhaus-Pionier" hat wirken können. Womöglich ging es Johnson um Design-Vorstellungen, gegen die Hannes Meyer – Verfechter von "Volksbedarf statt Luxusbedarf" – bei seinem Amtsantritt als Bauhaus-Direktor mit der Bemerkung polemisierte, dass zuvor in Dessau "beispiellose Reklame getrieben und aus jedem Teeglas ein problematisch-konstruktives Gebilde gemacht wurde"? Oder waren Barr und Johnson nur kleine Fische im Kielwasser einer mächtigen ökonomischen Strömung, jenem Fordismus, der zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise den Massenkonsum stimulierte – auch durch das "verschönerte" Erscheinungsbild der Gebrauchsgüter. Dieser "visual appeal" einer Warenwelt aus Reagenzgläsern, Toaster, Edelstahlspülen oder Registrierkassen wird in Bielefeld nach dem MoMA-Muster von "Machine Art" glänzend ausgeleuchtet – mit Spotlights und blitzenden Glasvitrinen. Erhellend wirkt das heute nicht mehr, denn die historische Dimension bleibt ausgeblendet: Propeller und Kugellager waren wichtige Artikel im Rüstungs-Arsenal der Nazis. Funktional gestaltete Greifzirkeln nutzten "Rassenkundler" für ihre Schädelmessungen. Dieses Wissen um die Dinge geht verloren, wenn sie Jahrzehnte später allzu gediegen ausgestellt werden. Diese Art der "Installation" schärft kaum mehr den Blick auf das Design und seine Geschichte. Und so bleibt der Besucher dann auch vor der Kunsthalle selbst stehen wie der Ochs vorm Berg. Das Gebäude ist eben nicht nur – wie annonciert – "der einzige europäische Museumsbau von Philip Johnson". Tatsächlich hat der Architekt das klobig-brutale Gebäude 1966 als Archetypus entworfen, nach dem monumentalen Muster eines germanischen Hünengrabs. Das Haus selbst dementiert – genauer betrachtet – was auf dem Fassadentransparent behauptet wird: dass hier ein "Bauhaus-Pionier" am Werke war.

Partners in Design 
Alfred H. Barr Jr. und Philip Johnson. Bauhaus-Pioniere in Amerika
 

Kunsthalle Bielefeld
bis 23. Juli 2017


Katalog:

Partners in Design 
Alfred H. Barr Jr. und Philip Johnson. Bauhaus-Pioniere in Amerika
hrsg. von David A. Hanks und Friedrich Meschede
240 S., geb., deutsch, 200 Abb.
Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart 2017
ISBN 978-3-89790-496-5
38 Euro

Der Ausstellungskatalog zeigt zahlreiche Fotografien der Wohnungen von Philip Johnson.
Bilder der Ausstellung "Machine Art" des Museum of Modern Art von 1934.